Selten konnten sich schlecht bezahlte Beschäftigte an so viel Zuspruch erfreuen, wie in diesen Tagen. Zu Recht wird um 21:00 Uhr aus Dankbarkeit geklatscht, immer wieder sieht man, dass viele Menschen sich auch persönlich bei diesen Personen bedanken. Sie werden mittlerweile als die wahren Helden bezeichnet. Die Coronakrise gestattet einen neuen Blick, wer in dieser Gesellschaft wirklich „Leistungsträger“ sind.
Leistungsträger nach physikalischen Gesetzen …..
Natürlich könnte man die Frage physikalisch angehen, da „Leistung“ ja eine physikalische Kategorie ist, in Watt gemessen wird und nichts anderes bezeichnet als den Energieumsatz pro Zeiteinheit. Legt man diesen physikalischen Begriff zugrunde, so wären sicherlich Möbelpacker, Stahlarbeiter, Arbeiter in Schlachthöfen, Müllarbeiter aber auch Pflegerinnen die tatsächlichen Leistungsträger dieser Gesellschaft, da sie oft die körperlich schwerste Arbeit leisten. Jeder weiß, dass die Entlohnung dieser Leistungsträger im Regelfall deutlich schlechter ist, als die Entlohnung derjenigen, die zwar meist (mindestens einen) Kofferträger haben, selbst aber wenig Energie pro Zeiteinheit umsetzen.
…nach Einkommen und Reichtum…..
Sicherlich würde die Anwendung des physikalischen Begriffes der Leistung auf die Gesellschaft zu kurz greifen. Allerdings gibt es einen Missbrauch des Begriffes des „Leistungsträgers“, der in der platten Tautologie besteht, dass derjenige, der viel verdient, auch ein Leistungsträger sein muss, weil er sonst nicht so viel verdienen würde. Die Gleichsetzung von Leistungsträgern mit Millionären (von den man oft gar nicht weiß was sie tatsächlich leisten) ist platt, man kann sie aber in Artikeln wie diesem nachlesen.
…. oder nach gesellschaftlicher Nützlichkeit ermitteln
Man kann natürlich – und das ist eine der positiven Seiten der gegenwärtigen Krise – auch fragen, wer für den Zusammenhalt der Gesellschaft besonders nützlich ist. Zwar klatschen auch die „Börsianer“ auf ihrem „Parkett“ gelegentlich, am lautesten dann, wenn wieder einmal zwei Firmen fusionieren und Tausende von Beschäftigten „freigesetzt“ werden. Das hat natürlich nichts mit dem 10.000fachen Klatschen für Pflegerinnen, Ärzte, Kassiererinnen etc. zu tun.
Oder nehmen wir die sogenannten Leistungsträger der Bertelsmann-Stiftung, die im letzten Jahr in einer Studie ermittelt hatten, dass die Hälfte der deutschen Krankenhäuser eingespart werden könnte. Nicht so viele aber doch 15 % der Krankenhausbetten wurden in Italien und Spanien schon seit 2011 auf Druck der „Leistungsträger“ der EU eingespart, das Ergebnis sieht man heute; welche katastrophalen Auswirkungen es gehabt hätte, wenn tatsächlich die Schließung der Krankenhäuser entsprechend des Vorschlages der Bertelsmann-Stiftung durchgeführt worden wäre, kann man nur ahnen.
Solidarität statt Privatisierungswahn
Der Slogan „Leistung muss sich wieder lohnen“, stammt ursprünglich von Helmut Kohl und sollte Teil der „geistig moralischen Wende“ werden, unter Guido Westerwelle war dies vor allen Dingen der Angriff auf die Steuereinnahmen des Staates und dessen Verschlankung. Die Forderung steht in untrennbarem Zusammenhang mit insbesondere der Privatisierung notwendiger öffentlicher Dienstleistungen. Es ist nicht nur ein Glück, dass die Studie der Bertelsmann-Stiftung nicht umgesetzt wurde, sondern es ist ein mindestens genauso großes Glück, dass es einem Leistungsträger wie Mehdorn nicht gelungen ist die Deutsche Bahn an die Börse zu bringen. Niemand will sich ausmalen, was heute mit der Bahn los wäre, wenn ihm dies tatsächlich gelungen wäre.
Diese Sorte „Leistungsträger“ zeichnen sich letztlich dadurch aus, dass sie zur Not auch über Leichen geht, und hart zwar nicht mit sich selbst und ihren Boni wohl aber gegen alle anderen sind, die die Gesellschaft tatsächlich zusammenhalten.
Natürlich muss sich Leistung lohnen; aber jetzt lohnt es sich, einmal darüber zu diskutieren, welche Leistung tatsächlich von der Gesellschaft belohnt werden soll und welche nicht. Heute käme niemand auf die Idee, dass nicht die Krankenschwester oder die Ärztin „Leistungsträger“ sind, sondern diejenigen, die sich Gedanken darüber machen, wie Krankenhäuser noch profitabler werden können, auf Kosten von Patienten und durch Einsparungen im Personal.
Es wäre ein positives Ergebnis dieser Krise, wenn es gelingt die jetzigen Gefühle der Zusammengehörigkeit dauerhaft in Solidarität umzusetzen. Das wird dringend notwendig sein, wenn die Diskussion um die Frage losgeht, wer und wie die jetzt gemachten Schulden zu bezahlen sind. Es ist völlig eindeutig, dass eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes, etwa in die Höhe wie noch in der Ära Kohl (53 %) erforderlich sein wird. Man muss dann natürlich auch diese Steuerbelastung erst bei 120.000,00 oder 150.000,00€ einsetzen lassen (nicht bei 55.000,00€, wie der heutige Spitzensteuersatz) und hätte dadurch sogar die Möglichkeit, den Steuersatz langsamer steigen zu lassen, sodass tatsächlich die mittleren Einkommen entlastet würden. Völlig unbelehrbar bleibt wieder einmal die es FDP, die sich jetzt schon Sorgen um die zukünftige Privatisierung gemacht. Im Kölner Stadtanzeiger vom 25.03.2020 sagt Christian Lindner:
„Auch wollen wir keine weitgehende Abhängigkeit der Wirtschaft vom Staat, der seinerseits nur mit der Aufnahme von Schulden operiert. Das heißt, der Staat muss sich möglichst bald und möglichst weitgehend aus den Bereichen zurückziehen, in die er jetzt eingegriffen hat, und das alte Maß von Eigenverantwortung wiederherstellen. Wer über diese Krise ein System der Planwirtschaft oder des Sozialismus etablieren wollte, der würde die gleichen negativen Wirkungen erleben, die aus der Geschichte bekannt sind.“
Platter geht es nun wirklich nicht. Während der Krise sollen diejenigen die sonst am lautesten nach Eigeninitiative schreien (damit allerdings vor allen Dingen die Senkung des Rentenniveaus, der Krankenversorgung der sonstigen Sozialleistungen meinen) vom Staat umfassend alimentiert werden, um möglichst nach der Krise sofort das Geschäft der weiteren Privatisierung von Staatsleistungen wieder aufnehmen zu können. Wahrscheinlich sollen dann auch als erstes die jetzt auf Staatskosten anschafften zusätzlichen Betten auf den Intensivstationen entsorgt werden. Und spätestens bei der nächsten Pandemie regelt dann alles der Markt. Wenn der nächste unbekannte Virus sieht, dass es kein ausreichendes Angebot an Intensivbetten gibt, wird er schon das Anstecken sein lassen.
Wenn man aus dieser Krise etwas lernt, dann das völlige Versagen des Marktes bei der Bewältigung der Sicherstellung der Gesundheit der Bevölkerung. Das ist auf anderen Gebieten der Daseinsversorgung nicht anders.
Eberhard Reinecke
Update:
Heute am 25.3.2020 veröffentlicht der Kölner Stadtanzeiger einen Kommentar meines Freundes Christoph Butterwegge (leider hinter der Bezahlschranke) deshalb hier das Resumee, das mir aus dem Herzen spricht:
Vielleicht erfährt der Wohlfahrtsstaat aufgrund des aufopferungsvollen Einsatzes von Ärzten, Sanitätern, Kranken- und Altenpflegern in der Corona-Krise wieder mehr öffentliche Wertschätzung. Bis zum Höhenflug des Neoliberalismus, der den Wohlfahrtsstaat wahlweise als bürokratisches Monster, bequeme soziale Hängematte oder als Klotz am Bein des Wirtschaftsstandorts verunglimpfte, waren die meisten (West-)Deutschen zu Recht stolz auf ihren Sozialstaat. Möglicherweise besiegelt die Pandemie nun das Scheitern des Neoliberalismus und bewirkt eine Kehrtwende.
Marktradikalismus war gestern. In Zukunft gilt: Retten kann uns nicht der von den meisten Ökonomen, aber auch Politikern und Publizisten vergötterte Markt, sondern nur ein funktionsfähiges, gut ausgestattetes Gesundheits- und Sozialsystem. Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Sozial- und Gesundheitspolitik der vergangenen Jahrzehnte unserem Gemeinwesen geschadet hat und Solidarität statt Wettbewerbswahn und Ellenbogenmentalität herrschen muss, hätte das Virus für die Gesellschaft am Ende auch etwas Gutes bewirkt.