„Du mieser Verräter, ohne Dich säße ich doch gar nicht hier!“

 (Es darf spekuliert werden)

Im NSU-Verfahren ist „Sommerpause“. Zeit für einen Rückblick. Dieser fällt für Frau Zschäpe vernichtend aus, beispielhaft etwa der Artikel von Tom Sundermann in  Zeit online oder auch im Kölner Stadtanzeiger (online nicht abrufbar). Ein Jahr vorher, bei Beginn der Sommerpause 2013, gab sich die Verteidigung noch überaus optimistisch. Rechtsanwältin Sturm in einem Radio Interview:

„ Wir gehen mit einem ausgesprochen guten Gefühl in die Sommerpause; man muss ganz klar sagen, dass die ohnehin ausgesprochen dünn gestrickte Anklage bislang aus unserer Sicht nicht wirklich substantiiert wurde.“ (WDR-Echo des Tages vom 6.8.2013).

Zschäpes Misstrauensantrag

Soweit ich sehen kann, gibt es solche Erklärungen im Moment nicht. Wie auch?  Der wirkliche Aufreger im letzten Monat war das „Misstrauensvotum“ von Frau Zschäpe gegenüber ihren Verteidigern. Sie erklärte am Mittag des 16.07.2014, dass sie kein Vertrauen mehr zu ihren Verteidigern habe. 

 Sie hatte dies zunächst einem der sie bewachenden Polizeibeamten erklärt. Die anschließende schriftliche Erklärung, die sie über einen Anwalt dem Gericht zukommen ließ, soll dann schon wieder sehr viel zurückhaltender gewesen sein. Das Gericht lehnte den Antrag dementsprechend ab. Trotzdem bleibt natürlich die Frage: Warum kam es überhaupt zur Ablehnung und warum gerade zu diesem Zeitpunkt.  Die zweite Frage ist wohl etwas leichter zu beantworten als die erste. Am 15.07.  und 16.07.2014  hatte das Gericht Tino Brandt vernommen,  einen (bis heute) bekennenden Rechtsextremisten, gleichzeitig aber seit 1994 Spitzel des Verfassungsschutzes. Er hatte eine Spitzenposition im „Thüringer Heimatschutz“, jener rechtsextremen Gruppierung, in der auch das Trio mitarbeitete und in der es sicherlich auch mit geprägt wurde. Tino Brandt baute unter den Augen und sicherlich auch mit den Mitteln des Verfassungsschutzes den THS auf.

 Tino Brandt als Biedermann

Nun war es nichts Neues, dass (auch) Tino Brandt in seiner Zeugenaussage Beate Zschäpe eine eigene politische Auffassung bescheinigte, die sie ohne Weiteres vertreten und für die sie eintreten konnte. Das haben auch bereits andere Zeugen gesagt. Seine eigene Rolle verharmloste er allerdings erheblich. Er betonte, wie sehr es ihm um die Legalität der Tätigkeit gegangen sei, dieses sei auch Gesprächsthema bei den sogenannten „Mittwochstreffen“, Schulungstreffen und Vorträgen gewesen. Auch Beate Zschäpe habe an den „Mittwochstreffen“ immer wieder teilgenommen. Dass sich bei diesen Treffen die Diskussionen auf dem Boden der Gewaltfreiheit bewegten, erscheint zweifelhaft, leitete Tino Brandt seine Befragung damit ein, dass er die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland gefährdet sähe, weil man das „Leuchter-Gutachten“ nicht verbreiten dürfe.

Man kann also davon ausgehen, dass es auf den Treffen deutlich (wort-)radikaler und militanter zuging als Herr Brandt dem Gericht schilderte. Es gibt auch Zeugenaussagen, nach denen Brandt sogar eine Art Vorbild für das Trio gewesen sein soll. Auch die erste Aktion Zschäpes, von der in der Anklage die Rede ist, spielt in Rudolfstadt, Brandt ist – obwohl schon V-Mann – mit von der Partie – für ihn als Rudolfstädter eine lokale Aktion:

„1995 bewarf sie die Gedenkstätte der Opfer des Faschismus in Rudolstadt mit rohen Eiern. Ergänzenden polizeilichen Erkenntnissen zufolge wurden bei dieser Gelegenheit auch Handzettel mit der Aufschrift „Deutsche lernt wieder aufrecht zu gehen. Lieber sterben als auf Knien leben. Schluß mit dem Hologaust oder Deutscher willst Du ewig zahlen?“ (Fehler im Original) auf Kränze geworfen“

Gesichert scheint auch, dass Tino Brandt zumindestens einen Teil der Gelder, die er vom Verfassungsschutz erhalten hat in politische Aktivitäten gesteckt hat. So soll er Busreisen für nicht zahlungskräftige Mitglieder ausgelegt haben oder auch ansonsten bei der Finanzierung von Propagandamaterial, etc. geholfen haben. Für den Mitangeklagten Carsten S. war z. B. die Fahrt zur rechten Demo gegen die Wehrmachtsausstellung in München im März 1997 eine Art Erweckungserlebnis. Wie weit bei der Festigung der rechtsradikalen Einstellung des Trios solche Fahrten oder auch die Teilnahme an einer Hess-Demonstration in Worms eine Rolle gespielt hat, ist bis heute nicht geklärt aber naheliegend. Es ist also leicht vorstellbar, dass es bei dieser biedermännsichen Zeugenaussage in Beate Zschäpe „gekocht“ hat. Sie weiß wahrscheinlich besser als jeder andere im Gerichtssaal, welche radikalen Reden Herr Brandt evtl. im Thüringer Heimatschutz und auf den Mittwochstreffen gehalten hat, sie fühlt sie vielleicht heute von ihm politisch „verführt“. Ob sie wirklich gedacht hat, wie in der Überschrift vermutet, weis ich natürlich nicht.

Die Untätigkeit der Verteidigung als Auslöser

Fest steht – und das habe ich nicht nur ich beobachtet -, dass Frau Zschäpe vor der Mittagspause des 16.07.2014 ihren Verteidiger Heer erkennbar dazu drängte, weitere Fragen an Herrn Brandt zu stellen, dieser allerdings eine abwehrende Handbewegung machte und die Verteidigung Zschäpe erklärte, keine Fragen mehr an den Zeugen zu haben. Zuvor war von der Verteidigung versucht worden, den Zeugen Brandt zu einer noch harmloseren Darstellung der „Mittwochstreffen“ zu bewegen mit Fragen wie, ob dort auch Skat gespielt worden wäre oder einfach nur Bier getrunken wurde.

Ich glaube nicht, dass Frau Zschäpe von ihren Verteidigern verlangt hatte, nachzufragen, ob nicht auch Deckchensticken oder Kochrezepte auf der Tagesordnung gestanden haben. Es spricht nun alles dafür, dass Frau Zschäpe eher dafür war, Herrn Brandt schärfer zu befragen, ihm seine vielleicht ja militanteren Reden und seine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz vorzuhalten.

Hier wird dann aber brennglasartig das Dilemma der Verteidigung deutlich: Laufe ich – wie die Verteidigung Zschäpe – immer noch dem Traum eines weitgehenden Freispruchs hinterher, dann muss ich natürlich die rechte Szene verharmlosen und je zurückhaltender Tino Brandt sich über den Inhalt der Zusammenkünfte äußert, desto besser, also werde ich ihm seine Tätigkeit für den Verfassungsschutz und seine vielleicht viel radikalen Töne nicht vorhalten.

Geht man hingegen – wie fast alle realistischen Beobachter des Prozesses – davon aus, dass Frau Zschäpe ohnehin zu einer hohen Strafe verurteilt wird, so kann man nachvollziehen, dass es ihr unter den Nägeln brennt, „einiges klarzustellen“ (so noch Verteidigerin Sturm am Anfang des Prozesses in SPIEGEL-ONLINE), dass sie den Drang hat, aus der Rolle der absolut bösen Täterin herauszukommen und andere – bis hin zum Verfassungsschutz – für Ihre Entwicklung verantwortlich machen will. Und dass gerade derjenige, der in ihrer politischen Entwicklung evtl. eine sehr große Rolle gespielt hat, der sie also auf dem Weg zu ihrer rechtsextremistischen Weltanschauung mit Wort und Tat beigestanden hat, weitgehend straffrei davonkommen soll, wird Frau Zschäpe auch nicht freundlicher stimmen. Dass dieser politische Mentor jetzt wegen des Verdachtes des Kindesmissbrauchs sitzt („Todesstrafe für Kinderschänder“) wird ihr da keine Genugtuung gewesen sein. Man kann sich also gut vorstellen, dass sie wollte, dass Brandt von ihren Verteidigern härter angefasst wird. Als das nicht geschah, brach es offenbar aus Zschäpe heraus. Dass der Ausbruch zu diesem Zeitpunkt kam, ist also leicht nachvollziebar, dass er überhaupt kam schon schwerer.

Das Dilemma der Verteidigungs“strategie“

Das Dilemma der Verteidigung ist einfach: Zschäpe soll nicht reden soll sich nicht einlassen (vielleicht will sie das auch nicht) aber sie will offenbar auch nicht zu allem schweigen und alles auf sich sitzen lassen. Der ganze Vorfall lässt aber auch weitere Rückschlüsse auf die Arbeit der Verteidigung zu.

Das beginnt schon mit der abwehrenden Geste von Rechtsanwalt Heer gegenüber Frau Zschäpe, als diese vor der Mittagspause auf ihn einredete. Solche Gesten habe ich häufig gesehen, wenn Anwälte versuchen, ihre Mandanten davon abzuhalten, selbst Fragen zu stellen oder selbst nicht die Fragen stellen wollen, die nach Meinung ihrer Mandanten gefragt werden müssten. Dabei ist die Sache doch an sich sehr einfach. Wenn man vernünftig mit einem Mandanten diskutiert, worauf es in einer Beweisaufnahme ankommt und vorher mit ihm mögliche Frage durchgeht, werden sich solche Situationen selten ergeben. Darüber hinaus kann man nun jedem Mandanten sagen, dass bei aus seiner Sicht fehlenden Fragen auch eine Unterbrechung des Verfahrens beantragt werden kann, so dass man ggf. weitere Fragen abklärt. Vorliegend also: Die Verteidigung regt die Mittagspause an und bespricht dann mit der Mandantin, welche Fragen gestellt werden sollen. Im übrigen allerdings: Der Mandant ist Frau des Verfahrens. Besteht sie darauf, bestimmte Fragen zu stellen, dann ist der Anwalt verpflichtet, dies zu tun, oder den Mandanten bei eigenen Fragen zu unterstützen.

Glaubt man den Presseveröffentlichungen über die Stellungnahme von Frau Zschäpe zu ihrem „Misstrauensantrag“ – die Nebenkläger haben bisher vom Gericht diese Stellungnahme nicht zugeleitet bekommen -, dann soll Frau Zschäpe über einen weiteren Anwalt u. a. auch erklärt haben, dass ihre Vorstellungen von einer Befragung evtl. „laienhaft“ seien. Dies erstaunt nun in hohem Maße: Wenn man tatsächlich über eine Verteidigungsstrategie verfügt, dann muss man diese natürlich mit dem Mandanten besprechen, weil bekanntlich am Ende des Verfahrens der Mandant sitzt und nicht der Anwalt. Der Mandant muss eine Strategie nachvollziehen können und deshalb – zumindestens bei zentralen Zeugen wie Tino Brandt – eigentlich auch genau wissen, warum bestimmte Fragen gestellt werden und andere nicht gestellt werden. Insofern lässt dieser Vorfall durchaus Rückschlüsse darauf zu, dass die Verteidigung entweder überhaupt keine Verteidigungsstrategie hat oder dass diese Frau Zschäpe nicht erklärt wurde oder von ihr nicht verstanden worden ist. Alle diese Varianten bilden aber einen guten Nährboden für den erlebten Ausbruch.

Am 23. und 24.09.2014 soll Tino Brandt weiter vernommen werden. Es wird interessant sein zu beobachten, ob und ggf. welche Fragen die Verteidigung von Frau Zschäpe an diesen Zeugen noch stellen wird, insbesondere ob sie auch dessen Verantwortung für die Entwicklung von Frau Zschäpe und damit in einem gewissen Umfang auch die Verantwortung des Verfassungsschutzes thema­tisieren wird. Sicherlich werden im übrigen die Nebenklagevertreter einige Fragen haben.

Eberhard Reinecke