„Es gab doch kein Bekennerschreiben“ (Teil1)

Rechtfertigungsstrategien der Ermittlungsbehörden für das Versagen

Im Rahmen des Birlikte Festivals am 8.6.2014 in der Kölner Keupstraße  hielten sechs Nebenklagevertreter Vorträge zu einzelnen Aspekten des Verfahrens. Hier drucken wir in zwei Teilen den Vortrag von Rechtsanwalt Reinecke ab. Der Vortrag war weitgehend frei gehalten worden und wurde für die Veröffentlichung überarbeitet.

„Es gab doch keinen Bekennerschreiben“ Das ist eigentlich die häufigste Erklärung wenn es um die Frage geht, warum nicht gegen Rechtsradikale ermittelt wurde. Ich will dieses Argument etwas abklopfen und auch die Gedanken die dahinter stecken.

 Otto Schilys „Dienstanweisung“

Der Bombenanschlag hier in der Keupstraße war kurz vor 16:00 Uhr. Es gab um 17:04 Uhr eine erste Meldung des Lagezentrums der Polizei. Die lautete wie folgt:

Betrifft terroristische Gewaltkriminalität. Hier Anschlag auf zwei Geschäfte in Köln Mülheim.“ Es heißt dann u. a. weiter „Ich teile folgenden Sachverhalt mit: bei der Explosion von zwei Geschäften auf der Keupstraße, das heißt in Köln Mülheim wurden zehn bis fünfzehn Personen verletzt. Davon einige schwer. Da es im Umkreis Zimmermannsnägel gefunden wurden geht man von einem Anschlag aus.“

Das war die erste, die spontane und auch richtige Reaktion. Zu diesem Zeitpunkt gab es eben die Bombe und es gab Zimmermannsnägel. Sie müssen sich diese Bombe so vorstellen: Ein Fünfliter-Gasbehälter mit Schwarzpulver gefüllt und dann achthundert Zimmermannsnägel, jeweils ca 10 cm lang nicht im Behälter drin sondern sehr sorgfältig außen drum mit Klebeband Schicht für Schicht befestigt. Da kann man schon allein von der Konstruktion der Bombe davon ausgehen, dass das nicht jemand war, der irgendeine konkrete Person umbringen wollte. Es dauerte allerdings keine halbe Stunde, bis es eine weitere Meldung aus demselben Lagezentrum gab. In der es hieß es:

 „Die in Bezug genannte Lagemeldung wird korrigiert. Bisher liegen keine Hinweise auf terroris­tische Gewaltkriminalität vor. Nach bisherigen Erkenntnissen handelt es sich um einen Anschlag unter Verwendung von USBV (unkonventionelle Sprengvorrichtung) bei dem ein Personen- und Sachschaden entstand. Es wird nach berichtet.“

Mittlerweile hat es natürlich in den Untersuchungsausschüssen von Bund und Ländern immer wieder den Versuch gegeben aufzuklären, wie es innerhalb einer halben Stunde zunächst zu einer Meldung kommt „terroristische Gewaltkriminalität“ und eine halbe Stunde später wird das zurückgenommen. Wie nicht anders zu erwarten, hat der verantwortliche Herrn Behrens (damaliger Innenminister in NRW) gesagt, er sei dafür politisch verantwortlich aber veranlasst habe er es nicht. Wer es eigentlich veranlasst hat, weiß man bis heute nicht und das ist das ist ein grundsätzliches Problem, das wir im NSU-Prozess haben: Es gibt jede Menge Entschuldigungen vor allem von Leuten, die damals nicht in der Verantwortung standen. Diejenigen, die damals ermittelt haben und die damals in der Verantwortung standen, sind im Grunde genommen bis heute verstockt, wenn wir z.B. im Prozess hören: „Was soll denn ihre Frage, natürlich gibt es eine türkische Mafia“. So z.B. der Leiter der Mordkommission München zu der Frage, warum er in diese Richtung ermittelt hatte und nicht ins rechtsradikale Milieu. Auch heute wird von den damals Verantwortlichen keine Verantwortung übernommen.

Die wesentliche Weichenstellung für das Verfahren erfolgte dann am Folgetag, am 10.06. in der Tagesschau (im Film bei Sekunde 35). Der damalige Bundesinnenminister Schily erklärte (Es lohnt sich, dies noch einmal im Orginal anzusehen. Es sind nicht nur die Worte sondern auch der überhebliche Gestus, der bemerkenswert ist, und Widerspruch von vornherein nicht duldet)

  „Die Erkenntnisse die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund sondern auf ein kriminelles Milieu. Aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, sodass sich eine abschließende Beurteilung dieses Ereignisses nicht vornehmen kann.“

Aus den Akten ergab sich zu diesem Zeitpunkt nichts für ein kriminelles Milieu. Schily ist natürlich auch im Untersuchungsausschuss befragt worden und er hat, wie es im Untersuchungsausschuss möglich ist, eine eigene persönliche Erklärung abgegeben. (Bei dem Link muss dann die 60. Sitzung aufgeufen werden.)  Aber nicht zu diesem Punkt. Er konnte natürlich auch nicht erklären wie er dazu gekommen ist. Er hätte von irgendwelchen Lagezentren irgendwelche Berichte vorliegen gehabt und denen hätte er das irgendwie entnommen, genaueres konnte er nicht erinnern. Er hat aber in seinem einführenden Statement im Untersuchungsausschuss unter anderem folgendes gesagt. :

 „Der absolute Misserfolg unserer Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen berührt mich in besonderer Weise in mehrfacher Hinsicht. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus insbesondere Gewalt bereitende gewalttätige Rechtsextremismus war eine der wichtigsten innenpolitischen Aufgaben im Regierungsprogramm und auch das darf ich sagen, mein vorrangiges persönliches Anliegen. Es gibt dafür auch eine Reihe von Beispielen in denen das zum Ausdruck gebracht worden ist. Ich erinnere daran, dass wir das Bündnis für Demokratie und gegen Gewalt und Extremismus gegründet haben, dass wir eine Aussteigeinitiative beim Bundeskriminalamt in Werk gehabt gesetzt haben und vieles Andere.“

 Otto Schily als Wiederholungstäter

Diese mehr oder weniger warmen Worte sind vielfach dahin verstanden worden, als habe Schily die politische Verantwortung übernommen. Man kann daran sehen, wie unverbindlich und folgenlos eine solche Übernahme ist. Eine wirkliche Einsicht fehlte bei Schily. Man muss diese Äusserungen mit seinen Taten und zwar nicht nur die im Zusammenhang mit der Keupstraße sondern auch vorher konfrontieren. Es gibt einen sehr interessanten Bericht im Fernsehmagazin Panorama vom 07.06.2002,also zwei Jahre vor dem Anschlag unter dem Thema „Tricksen und Lügen – Politiker vertuschen das Ausmaß rechtsradikaler Gewalt“. Hier  einige Auszüge:

 „Und eins mag Otto Schily besonders gern: Erfolgsmeldungen, und zwar die eigenen.

0-Ton Otto Schily: (Bundesinnenminister, 24.5.2002) “Wir können zunächst einen erfreulichen Sachverhalt feststellen, dass sich im Verlauf des Jahres, des vergangenen Jahres, die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten verringert hat.”

Kommentar: Und mehr noch: Schilys Bericht steckt voller Überraschungen, enthält sogar eine echte Sensation: In Mecklenburg-Vorpommern, jahrelang berüchtigt für braunen Terror, wurde das Problem scheinbar ganz beseitigt. Schily vermerkt für 2001: keine einzige rechtsextremis­tische Gewalttat.

Dieses Opfer aus Mecklenburg also hat es nie gegeben, jedenfalls für Schilys Statistik. Der Grieche Joannis Kalionikidis wurde im September 2001 überfallen, von Nazis. ………

Kommentar: Die Berliner Bürokraten aber bleiben ungerührt. Und Schily beharrt darauf: Keine rechtsex­treme Gewalttat in Mecklenburg-Vorpommern, auch auf Nachfrage.

O-Ton Interviewer: “Halten Sie das für glaubwürdig, dass also plötzlich keine einzige rechtsextreme Gewalttat in Mecklenburg-Vorpommern…..”
Otto Schily: (Bundesinnenminister, 24.5.2002) “Entschuldigung, es kann ja sein. Wenn es so ist, dann kann es uns doch nur freuen.”
Interviewerin: “Vielleicht sollte man aber auch dort noch mal nachfragen.”
Otto Schily: “Ja, eben, fragen Sie Herrn Timm, der steht Ihnen sicher zur Verfügung.”
Kommentar: Und wir haben ihn gefragt.
O-Ton Interviewer: “Nun ist es so, dass in dem Verfassungsschutzbericht des Bundes die Zahl Null ist – wie ist das denn zu erklären?”
Gottfried Timm: (Innenminister Mecklenburg-Vorpommern) “Nein, ich hab‘ mir die Statistik des Bundes angesehen, nachdem sie veröffentlicht wurde und nicht etwa davor, weil vorher hatten wir sie nicht, und daneben die Statistik meines Bundeslandes gelegt und festgestellt: Bei uns sind es vierzig, beim Bund sind es null. Das ist das Problem.”
Kommentar:
Ein schwieriges Problem, denn – wie gesagt – Mecklenburg-Vorpommern hat in seinem eigenen Verfassungsschutzbericht vierzig Taten aufgelistet und diese auch an den Bund gemeldet. Schily allerdings macht daraus ungeniert eine glatte Nullnummer. Schwer verständlich.
O-Ton Gottfried Timm: “Ich hab‘ gesagt, wir haben vierzig.”

Das erinnert nun fatal an den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit durch statistische Tricks. Mit seiner Erklärung in der Tagesschau hat der damalige Bundesinnenminister letztlich die Dienstanweisung gegeben: „Es darf sich nicht um einen rechtsradikalen Anschlag handeln“.

 Die gezielte Vernachlässigung aller Spuren nach rechts

In der Aufarbeitung der Keupstraßenanschlages im Bundestagsuntersuchungsausschuss hat der zuständige Oberstaatsanwalt Wolf (Sitzung 22a) sich immer wieder darauf zurückgezogen hat, es hätte ja kein Bekennerschreiben gegeben und deshalb hätte man nicht von einem rechtsradikalen Hintergrund ausgehen können. Da stellt sich natürlich zunächst einmal die Frage, wieso geht die Polizei davon aus, dass zu einem rechtsterroristischen Anschlag ein Bekennerschreiben gehört? Das Gegenteil trifft zu. Dem Untersuchungsausschuss lag u. a. eine Auswertung des Bundesamtes für Verfassungsschutz – entstanden einen Monat nach dem Anschlag in der Keupstraße – also aus Juli 2004 vor . Ich zitiere die Frage, die Frau Petra Pau an den Leiter der hiesigen Ermittlungskommission Keupstraße Herrn Markus Weber gerichtet hat.

Petra Pau (DIE LINKE): In diesem Papier wird darauf hingewiesen, dass vor allem Nagelbomben von der englischen neonazistischen Organisation „Combat 18“ benutzt wurden und dass von dieser Organisation auch Anleitungen zum Bau solcher Bomben publiziert wurden. Da das Bundesamt für Verfassungsschutz einen rechtsextremen Hintergrund für die Tat in der Keupstraße nicht ausschließen konnte und der Bombenanschlag in der Keupstraße eben an das Vorgehen von „Combat 18“ erinnerte, suchte man auch nach Hinweisen auf Sympathisanten dieser Organisation in der Datei und fand tatsächlich 13 Nutzer der Homepage von „Combat 18“ im Großraum Köln. ……

Zeuge Markus Weber: Nein, kann ich mich – – Diese Informationen so zu bekommen – – Daran kann ich mich nicht erinnern, dass wir die so bekommen haben.

Petra Pau (DIE LINKE): Hat das Thema Rechtsextremismus da eine Rolle gespielt. Ich meine, wenn das Bundesamt solche handfesten Hinweise hat?

Zeuge Markus Weber: Es hat insofern keine Rolle gespielt, als da keine Informationen bezüglich Rechtsextremisten geliefert wurden oder thematisiert wurden, die zu weiteren Ermittlungen geführt hätten; nein.

Soweit im Bundestagsuntersuchungsausschuss. D. h. der Herr Weber hat dort schlicht geleugnet, den Zusammenhang, den das Bundesamt für Verfassungsschutz zumindest im Ansatz zutreffend analysiert hat, gekannt zu haben. „Combat 18“ und die Nagelbombenanschlägen in England kannte er nicht.

Die Spur 260

Jetzt bin ich im März dieses Jahres in Meckenheim gewesen und habe die sogenannten Spurenakten ausgewertet. Dabei habe ich festgestellt, dass die größte Arbeit der Sonderkommission darin bestand, beim Einwohnermeldeamt die Daten und Anschriften von Männern zwischen 25 und 35 auszuwerten, die im Umkreis von 10 – 12 (Fuss-)minuten um den Tatort wohnten. Das beruhte auf der Hypothese des BKA, dass die Täter Fahrrädern geschoben hatten und deshalb zirka zehn bis zwölf Minuten im Umkreis des Tatortes wohnen müssten.

Ich bin dann allerdings auf die Spur 260 gestoßen. Der als Spur 260 bezeichnete Aktenteil enthält einen Hinweis von UK-CTLO – das ist New Scotland Yard – an das BKA. Dieser wurde vom BKA weitergeleitet und beim Polizeipräsidium Köln am 29.09.2004 bearbeitet. Übersandt wurde ein mehr als 70 Seiten starkes Dossier, das sich mit Herrn David Copeland befasste, der im April 1999 drei Nagelbombenanschläge in London verübte und der sich im Vorfeld und im Randbereich rechtsextremistischer Gruppen bewegt hat insbesondere im Umfeld von Combat 18.Diese Spur wurde von der Polizei Köln dahingehend überprüft, dass nach Mitteilung von Scotland Yard David Copeland Einzeltäter gewesen sei und im Juni 2004 in Haft gesessen hatte, sodass eine Täterschaft von ihm nicht in Betracht kam. Damit wurde diese Spur zu den Akten genommen und geschlossen. Dass Herr Copeland als Täter nicht in Betracht kam, konnte sich eigentlich auch Scotland Yard denken, als es dieses 70 Seitige Dossier an das BKA übersandte.

David Copeland verübte im April 1999 drei Nagelbombenanschläge in London. Anschlagsziele waren Schwarze, Homosexuelle Inder und Juden. Die Attentate sind in verschiedenen Londoner Stadtteilen verübt worden. Es gab drei Todesopfer und etwa 160 zum Teil schwer Verletzte. Verwendet wurde eine Nagelbombe einfacher Bauart mit Schwarzpulver aus Feuerwerkskörpern und ein mit etwa 1500 größeren Nägeln befülltes Metallrohr (die Pläne für die Bombe entstammten einer rechten Untergrundpublikation). Bei seiner Verhaftung in seiner Wohnung finden die Ermittler Naziutensilien, Hakenkreuz, Neonazipropagandamaterial und eine Sammlung von Zeitungsaus­schnitten zu den Attentaten. David Copeland hatte allerdings auch kein Bekennerschreiben versandt. Er gestand seine Alleintäterschaft. All diese Informationen hat die Polizei Köln über das BKA von Scotland Yard bekommen und hatte nichts anderes zu tun als zu sagen „David Copeland ist nicht der Täter, also ist die Spur irrelevant“.

Die offensichtliche Seelenverwandtschaft, d. h. dass wir es hier mit jemanden zu tun haben, der aus Fremdenfeindlichkeit aus Hass gegen Schwarze und Homosexuelle diese Nagelbomben zündet wurde schlicht nicht gesehen, weil es nicht gesehen werden sollte/wollte. Spätestens nach diesem Hinweis hätte jedem klar sein müssen, dass rechtsradikale Anschläge sich nicht durch Bekenner­schreiben outen. Selbst wenn Herr Weber – wie er im Untersuchungsausschuss des Bundes erklärt hat – die Auswertung des Bundesamt für Verfassungsschutz nicht kannte, hätte er auf demselben Stand mit dieser Spurenakte kommen können. Diese Spurenakte wurde aber bewusst abgelegt und nicht weiterverfolgt. Ich habe jetzt im Prozess einen Antrag gestellt, diese Spurenakte beizuziehen. Der Generalbundesanwalt ist weiter der Meinung, dass sich diese Akte zu Recht bei den Spurenakten befindet und damit für uns nicht in kopierter Form zur Verfügung steht d. h. wir können nach Meckenheim fahren, können das uns dort Notizen machen. Wir dürfen sie (bisher) nicht kopieren, nicht fotografieren.