„Es gab doch kein Bekennerschreiben“ (Teil 2)

Rechtfertigungsstrategien der Ermittlungsbehörden für das Versagen

Im Rahmen des Birlikte Festivals am 8.6.2014 in der Kölner Keupstraße  hielten sechs Nebenklagevertreter Vorträge zu einzelnen Aspekten des Verfahrens. Hier drucken wir in zwei Teilen den Vortrag von Rechtsanwalt Reinecke ab. Der Vortrag war weitgehend frei gehalten worden und wurde für die Veröffentlichung überarbeitet. Den ersten Teil finden Sie hier.

Die Leugnung der Zusammenhänge zwischen dem Mordfall Yasar (Nürnberg) und dem Anschlag in der Keupstrasse

 Entgegen der im Prozess immer wieder von Polizeibeamten aufgestellten Behauptung wurde eben nicht in alle Richtungen ermittelt. Es wurde zumindest ganz bewusst nicht in die rechtsex­tremistische Ecke ermittelt. Ich will das vielleicht auch noch anhand eines rein kriminalistischen Beispiels deutlich machen. Es gab sehr klare Hinweise von einer Zeugin aus Nürnberg die 2005 gesagt hat „Die Täter, die ich hier auf dem Video von der Keupstraße gesehen habe, das sind dieselben die ich in Nürnberg am Tatort Yasar mit dem Fahrrad gesehen habe“ Und dann ist die Zeugin solange vernommen worden, bis sie sagte „So 100%ig sicher bin ich mir auch nicht.“ Damit war diese Spur für die Polizei erledigt. Man konnte im Stadtanzeiger im November 2011 lesen, dass ein Redakteur im Jahre 2006 beim recherchieren die Ähnlichkeit des Phantombildes aus Nürnberg und des Phantombildes aus Köln erkannt hat. Er hat bei der Polizei Köln angerufen und gefragt, was ist denn da und dann gab die Polizei die Auskunft „Haben wir alles abgecheckt. Hat nichts miteinander zu tun.“ Dazu finden wir heute nichts in der Akte. Es gibt einen einzigen Vermerk von der damaligen Sonderkommission in Nürnberg wo sinngemäss sagen „wir haben mit den Kölner Kollegen gesprochen. Haben mal überlegt, ob das so sein könnte und da aber die Tatausführungen unterschiedlich waren, (einmal Pistole, einmal Bombe) sind wir zum Ergebnis gekommen, dass es nicht derselbe Täter sein kann“. Rein kriminalistisch muss man sagen „Okay, dass man mit so einer Zeugin allein, die die Täter gesehen hat, niemanden verurteilen kann, dass ist völlig klar“. Aber man kann erwarten, dass die Polizei eine Arbeitshypothese macht (wo alle anderen Hypothesen ohnehin ohne jede Bestätigung geblieben waren), was ergibt sich für das Täterprofil, wenn wir davon ausgehen, dass der Bombenanschlag in Köln und der Mordanschlag in Nürnberg Yasar von ein und denselben Personen verübt worden sind. Da Yasar aber schon der sechste Mordfall der Ceska Serie war, wäre es also um ein Täterprofil für Morde an Migranten und einem Bombenanschlag auf eine von Migranten bewohnte Strasse gegangen. Viele Möglichkeiten blieben da nicht. Selbst auf dieser rein kriminalistischen Ebene wurde also möglichen Hypothesen nicht nachgegangen, vielleicht nicht einmal obwohl sondern weil das Ergebnis ganz eindeutig gewesen wäre. Zusammengefasst: Es gab genügend Hinweise und sie sollten und sie wollten nicht gesehen werden.

Gab es wirklich kein Bekennerschreiben?

 Das Argument „Es gab ja kein Bekennerschreiben“ ist so noch nicht einmal richtig. Es trifft zu, dass es zum Anschlag in der Keupstraße keinen Bekennerschreiben gab, zumindest nicht bevor das Paulchen-Panter-Video nach dem 04.11. 2011 verbreitet worden ist. Es trifft aber nicht zu, dass es keine allgemeine Bekennung des NSU gegeben hätte. Bereits im Jahre 2002 ist in mindestens zwei rechtsradikalen kleinen Fanzises – kleine Heftchen die mit Auflage von 500 bis 1000 – ein Manifest des NSU verbreitet worden. Ich will es zitieren, weil das auch der Verfassungsschutz gelesen hat. Da heißt es:

Die Aufgaben des NSU bestehen in der energischen Bekämpfung der Feinde des Deutschen Volkes und der bestmöglichen Unterstützung von Kameraden und nationalen Organisationen. Solange sich keine grundlegenden Änderungen in Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten weiter geführt. Getreu dem Motto: „Sieg oder Tod“ wird es kein zurück geben. Entschlossenes bedingungsloses Handeln soll der Garant dafür sein, dass der morgige Tat dem deutschen Volke gehört. Jeder Kamerad ist gefragt, auch du!!! Gib Dein Bestes – Worte sind genug gewechselt, nur mit Taten kann ihnen Nachdruck verliehen werden. Der NSU ist keine abstrakte Sache. Jeder Kamerad gehört dazu, sofern er den Mut findet zu handeln und seinen Beitrag zu leisten. Wie erfolgreich der nationalsozialistische Untergrund in der Zukunft sein wird, hängt auch von Deinem Verhalten ab. Das Zeichen des NSU symbolisiert die Sympathie und Verbundenheit gegenüber der neuen Bewegung. Es verkörpert jedoch auch die Ablehnung der bestehenden Verhältnisse und die Bereitschaft, dagegen vorzugehen.“

 

(Das Zeichen des NSU ähnelt einem auf dem Kopf gestellten Zeichen der SA). Wir hatten hier im Jahre 2002 radikale Bekennung zu „Sieg oder Tod“ Zu diesem Zeitpunkt waren bereits erste Mordtaten und auch der Bombenanschlag in der Probsteigasse begangen worden. Der Verfassungsschutz hat diese Veröffentlichung gelesen und als irrelevant behandelt und ist dem auch nicht weiter nachgegangen. Obwohl in der gleichen Ausgabe eben der Herausgeber des Fanzise schreibt „Dank an den NSU. Die 2,500,00 € haben Früchte getragen.“. D. h. es erfolgte sogar in selben Ausgabe ein Hinweis darauf, dass der NSU in der Lage ist, rechten Publikationen Geldmittel zur Verfügung zu stellen und wenn man weiß, dass ein Großteil der rechten Anhängerschaft von Sozialleistungen leben, dann ist 2.500,00 € sehr viel, das nicht unbedingt aus legalen Einkünften stammt. Der Verfassungsschutz könnte natürlich bei seinen vielen Spitzeln in der rechten Szene gedacht haben, dass ist jetzt ein Teil unseres Geldes.

Wenn man ernsthaft davon ausgeht, dass von Leuten gespendet worden ist, die im Untergrund leben, die also eigentlich keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen können, sondern sich auf andere Weise finanzieren, dann müsste das ein zusätzliches Alarmsignal sein. Das aber wie gesagt nichts ausgelöst hat.

Verharmlosung in den Verfassungsschutzberichten

Das geht darauf zurück, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und auch die Verfassungsschutzämter der Länder permanent das Problem des rechtsradikalen Untergrunds unterschätzt haben. Wir finden im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz für das Jahr 1998, also Anfang 1998 erschienen, durchaus einen Hinweis. Auf der Seite 24 heißt

 „Im Januar stellte die Polizei bei NEO-Nazis in Jena (das ist also Böhnhard, Mundlos, Zschäpe) unter anderem vier funktionsfähige Rohrbomben sicher. Konkrete Anschläge scheint die Gruppe damit nicht beabsichtigt zu haben. Gegen die drei Tatverdächtigen, die seither flüchtig sind, erging Haftbefehl.“

Warum soll jemand, der Rohrbomben plant, keine konkrete Anschläge beabsichtigen? Ich kann mir nicht vorstellen, wofür man Rohrbomben baut, wenn man keine konkreten Anschläge beabsichtigt. D. h. hier wurde von vornherein abgewiegelt, diese Abwiegelei zieht sich dann wiederum durch sämtliche weitere Jahresberichte, 2001 war der Tenor des Bericht „Es kann theoretisch einzelne gewaltbereite Personen in der rechten Szene geben, aber wir kennen niemanden“. Und so spielen sich die Verharmloser die Bälle gegenseitig zu. Ich hatte oben den damaligen  Bundesinnenminister mit seiner Stellungnahme im Untersuchungsausschuss des Bundes zitiert, in der er dann den Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2003 zitiert: „Anhaltspunkte für terroristische Aktivitäten anderer Rechtsextremisten (ausser einem Strafverfahren) lagen im Jahre 2003 nicht vor.“

Der damalige Verantwortliche für den Verfassungsschutz, der Innenminister, leugnet – wie ich am Anfang ausgeführt habe – weitgehend die Existenz rechtsradikaler Gewalt und reduziert sie mit statistischen Tricks. Das Bundesamt für Verfassungsschutz – getreu dieser Linie – schreibt Jahr für Jahr etwas von möglichen rechten Gewalttätern, auf die es aber keine konkreten Hinweise gäbe, selbst als die drei untertauchen. Schily setzt sich dann wieder in den Untersuchungsausschuss hin und sagt, der Verfassungsschutz kam ja selbst zu dem Ergebnis, dass es keine Hinweise auf solche rechtsradikalen Anschläge gibt. D. h. wir haben hier die vollständige Abschottung, weil man es nicht anders wollte.

 Auch beim Oktoberfestattentat gab es kein Bekennerschreiben

Wer die Vergangenheit nicht aufklärt, der steht in der Gefahr, dass sich so etwas wiederholt. Auch beim Oktoberfestattentat gab es bekanntlich kein Bekennerschreiben. Das Problem wurde seinerzeit dadurch erledigt, dass die Theorie von dem verwirrten Einzeltäter in die Welt gesetzt wird, von dem man kein Bekennerschreiben erwartet und sämtliche Hinweise zu Kontakten in die rechtsextreme Szene zu der Wehrsportgruppe Hofmann schlicht und einfach geleugnet wurden und zwar aus ganz bewussten politischen Kalkül für Franz Josef Strauss und seine Aussichten in der damaligen Bundestagswahl. Wenn man damals gesagt hätte „Es ist eine Gruppe, die hinter dem Attentat steht“, dann wäre das Argument „Aber es hat ja kein Bekennerschreiben gegeben“ heute eigentlich von Anfang an tot. Ich empfehle in diesem Zusammenhang das Buch oder den Film „Der blinde Fleck“ zum Oktoberfestattentat. Hier wird sehr nachvollziehbar am Ende dargestellt, dass die Blindheit gegenüber dem Wüten des rechten Terrors durch den NSU auch eine Wurzel in der Leugnung des Zusammenhangs zwischen dem Oktoberfestattentat und rechten Strukturen hat.

Eberhard Reinecke