„Ich weiß gar nicht, ob ich den Herrn noch als Kollegen bezeichnen kann“

… sagte Rechtsanwalt Heer am 06.05.2013 zu Rechtsanwalt Reinecke

Der Kölner Rechtsanwalt Wolfgang Heer ist einer der drei Verteidiger von Beate Zschäpe, Eberhard Reinecke und Reinhard Schön vertreten NSU-Oper als Nebenkläger.

Stellungnahme der Rechtsanwälte Schön und Reinecke zur Auseinandersetzung mit der Verteidigung Beate Zschäpes:

Das Zitat in der Überschrift war das Ergebnis zweier Stellungnahmen, die wir zu den Befangenheitsanträgen der Verteidigung Zschäpe und der Verteidigung Wohlleben abgegeben hatten. Darin offenbart sich aber auch ein grundsätzlicher Konflikt, der dieses Verfahren in München durchziehen wird. Die Fragen heissen einfach: Gibt es Wichtigeres als eine „Verteidigerstrategie“? Was bedeutet die Unschuldvermutung und wer ist an sie gebunden. Gibt es Verbindendes zwischen der Verteidigung Zschäpe (oder auch anderer Verteidiger) und den Nebenklägervertretern, weil wir alle als Rechtsanwälte tätig sind und jeder auch schon mal auf der anderen Seite steht?

Gegenüber dem Befangenheitsantrag der Verteidigung Zschäpe hatten wir u. a. gerügt, dass die darin vorgetragenen Tatsachen schon vor dem ursprünglichen Prozessbeginn am 17.04.2013 bekannt waren und dass es nicht erforderlich gewesen wäre, diesen Antrag erst am Samstag vor Prozessbeginn bei Gericht einzureichen. Dies verlängere die Qual der Opfer der Verbrechen. Die Verteidigung konterte: Sie könne selbst im Rahmen ihrer Verteidigungsstra­tegie entscheiden, wann sie Anträge stellt. Ohne Zweifel richtig, aber nur wer selbstverliebt in der scheinbar so abgeschotteten Welt seiner Strafverteidigung agiert, kann übersehen, dass jeder dieser Schritte rein faktische Auswirkungen auf die Opfer hat. Genauso wenig, wie die Verteidiger verpflichtet sind, zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Anträge zu stellen, sind wir verpflichtet, auf dem Bauch zu liegen und andachtsvoll zu akzeptieren, was mit dem Heiligenschein der „Verteidigunsstrategie“ bemäntelt wird. Es bleibt schlicht festzustellen, dass ein ohnehin aussichtsloser Antrag (sowohl im hiesigen Verfahren wie in einer eventuellen Revision) gestellt wurde und dass wir uns das Recht herausnehmen, das Leid der Opfer als ein höheres Rechtsgut einzuschätzen, als ausgeklügelte Prozesstrategien, die im Übrigen mit dem Kern des Schuldvorwurfes absolut nichts zu tun haben.

Mediale Hinrichtung?

Wenn es um die Medienarbeit für Frau Zschäpe geht, werden allerdings schon mal die Glacehandschuhe ausgezogen. Ein Interview mit dem SWR, auf das von der Homepage Stahl verlinkt wird, ist mit dem Zitat von Rechtsanwalt Stahl überschrieben: „Eine mediale Hinrichtung“. Offenbar merkt Herr Rechtsanwalt Stahl gar nicht, was er da sagt. Wir werden im Prozess über mindestens 10 Personen sprechen müssen, die froh gewesen wären wenn sie „nur“ medial und nicht real hingerichtet worden wären. Solche sprachlichen Entgleisungen belegen nur, wie extrem sich die Verteidigung von jeglicher Sicht auf Opfer freigemacht hat. Ihre Gefühlskälte entspricht dem „coolen“ Auftreten von Beate Zschäpe am ersten Verhandlungstag.

Zur Aufkündung des „Kollegenstatus“ kam es aber erst, als wir im Zusammenhang mit dem Ablehnungsantrag des Angeklagten Wohlleben gegen die Legende von der „Maximal­anklage“ gewehrt habe, die auch in verschiedenen Veröffentlichungen immer wieder verbreitet wird. Meine Auffassung, dass „maximale Straftaten auch eine maximale Anklage“ verdienen, gefiel den Verteidigern nicht. Ebensowenig, dass ich die Bundesanwaltschaft gelobt habe, dass sie nicht einen Teil der Vorwürfe nach § 154 StPO eingestellt hat weil es sowieso egal wäre, ob die Angeklagte Zschäpe dreimal oder zehnmal lebenslang bekäme.

Verstoß gegen Unschuldsvermutung?

Die Verteidiger sahen dies als Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Die Unschuldsvermutung gilt allerdings ausschließlich im Verhältnis zwischen den Angeklagten und Gerichten bzw. staatlichen Verfolgungsorgangen. Sie bindet niemanden in der öffentlichen Auseinandersetzung, sie bindet auch keine Rechtsanwälte, die Opfer vertreten. Die Unschuldsvermutung verpflichtet darüber hinaus weder Gericht noch Staatsanwaltschaft, so zu tun, als sei das Verfahren ein weißes Blatt Papier, das völlig neu beschrieben werden müsste, und in dem jedes Ergebnis gleich wahrscheinlich wäre. Mit der Eröffnung des Hauptverfahrens hat das Gericht – wie jedes Gericht – einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, d. h. es geht auf Grund der Aktenlage davon aus, dass eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. Mit den Haftentscheidungen hat das Gericht sogar jeweils einen dringenden Tatverdacht bejaht, der regelmäßig eine deutlich höhere Verurteilungswahrscheinlichkeit voraussetzt, als der hinreichende Tatverdacht.

Was bedeutet die Unschuldsvermutung für die Morde? Die juristische Feststellung, dass es zum Tod von Menschen gekommen ist, wird auch erst im vorliegenden Strafverfahren getroffen werden. Verlangt die Unschuldsvermutung, so zu tun, als stände gar nicht fest, ob es Tote gegeben hätte?

Oder nehmen wir Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Darf ich erklären, dass sie gemordet haben? Oder muss diese Frage auf Ewigkeit wegen der Unschuldsvermutung offen bleiben, weil nie mehr ein Prozess gegen die beiden stattfinden wird? Es ist nun völlig eindeutig, dass die Feststellungen im vorliegenden Prozess keine bindenden Entscheidungen zu Lasten Böhnhardt und Mundlos wären. Wären sie nicht tot, sondern auf der Flucht und würde ihnen später der Prozess gemacht, so könnte kein Gericht auf die Feststellung des vorliegenden Verfahrens zurückgreifen, sondern müsste erneut das gesamte Geschehen verhandeln und auch beide Uwes könnten sich dann erneut auf die Unschuldsvermutung berufen. (Sicherlich würden sie dann auch Verteidiger finden, die dieses Prinzip verteidigen). Es ist also offenbar unsinnig, unter Berufung auf die Unschuldsvermutung zu verlangen, nur noch von „mutmaßlichen Mördern“ zu sprechen, dann müsste man dies auch machen, selbst wenn Beate Zschäpe verurteilt würde.

Und was ist mit der Gesinnung von Frau Zschäpe?

Laut Spiegel Online wies die Verteidigung Behauptungen „sie würden die Gesinnung ihrer Mandantin teilen“, zurück. Ist das nicht selbst vorverurteilend? Von welcher Gesinnung distanziert sich hier die Verteidigung, wenn im Verfahren noch keine festgestellt wurde?

Die historische Dimension

Die Verteidiger übersehen auch, dass die Unschuldsvermutung zwar im Rahmen des Verfahrens gelten mag, nicht aber im Rahmen der Feststellung historischer Sachverhalte. Niemand wird die Tatsache bestreiten können, dass Brutus an der Ermordung von Cäsar beteiligt war, auch wenn niemals ein Strafverfahren dazu stattgefunden hat, geschweige denn ein solches mit rechtsstaatlichen Garantien.

In einer historischen Aufarbeitung hat eben auch das Schweigen von Angeklagten eine völlig andere Dimension als in einer juristischen. Juristisch dürfen aus dem Schweigen einer Angeklagten keine für sie negativen Schlüsse gezogen werden. Politisch historisch ist dies ohne Weiteres möglich. So lassen sich eine Vielzahl von Fragen formulieren, für die es bis heute keine auch nur halbwegs nachvollziehbare Antwort gäbe, wenn Beate Zschäpe nicht mit ihren Spießgesellen unter einer Decke gesteckt hätte:

  • Wie kommt jemand dazu, ein menschenverachtendes Video wie „Paulchen Panther“ zu verschicken, nachdem seine beiden Spießgesellen verstorben sind. Jeder, der angeblich nur unwissend mitmacht, würde sich angewidert von diesem Video abwenden, es aber nicht verschicken.
  • Wie kommt man dazu, 13 Jahre mit 2 Männern im Untergrund zu leben und dann angeblich nicht zu wissen, was diese tun?,
  • von dem stoßweise nach Hause gebrachten Geld zu leben, dieses nicht auf Konten einzuzahlen und nicht zu wissen, dass es aus Banküberfällen stammt?
  • In einer Wohnung zu leben, die besonders gesichert ist und in der eine Vielzahl von Waffen herumliegen, ohne zu wissen und zu fragen, wofür die benutzt werden?

Jeder, der diese Fragen (es gäbe natürlich viel mehr) politisch historisch stellt, kann darauf natürlich nur mit der Feststellung reagieren, dass Frau Zschäpe an den Taten ihrer Spießgesellen beteiligt war. Von dieser Überzeugung gehen wir aus und genauso einseitig wie die Verteidigung für sich eine Verteidigungsstrategie in Anspruch nimmt, genauso einseitig nehmen wir in Anspruch, dabei mitzuhelfen, dass diese Taten möglichst alle und möglichst hart bestraft werden.

Damit ähndelt diese Sichtweise durchaus dem Zivilverfahren, in dem es keine Unschuldsvermutung gibt. Ginge es da um die Frage, ob Frau Zschäpe eine Mörderin ist (z.B. bei einer Schadensersatzklage) so stände Ihre zwar ein Schweigerecht zu, allerdings gilt dann der gegnerische Vortrag als zugestanden. In einem Zivilverfahren könnte Frau Zschäpe sich also entweder nur verurteilen lassen, oder sie müsste konkrete Angaben machen.

Der mögliche Aufstieg zur Berühmtheit

Das ZDF hat im heute journal vom 03.05.2013 ein Portrait der Verteidigung Zschäpe gebracht. Am Ende des Beitrages hieß es, dass das Honorar (angeblich) sehr bescheiden sei, dann fuhr der Sprecher fort: „ Wenn sie ihren Job gut machen, dann könnten Sie zu den Berühmtheiten Ihres Faches gehören.“ Für solche Karriereplanung auf dem Rücken der Opfer haben wir kein Verständnis.

Fazit

Für uns ergibt sich angesichts der diesem Strafverfahren zu Grunde liegenden Tatsachen, dass es kollegiale Rücksichtnahmen nicht geben kann. Wenn dies bereits am ersten Verhandlungstag klargestellt ist, so begrüßen wird dieses.

Die Auseinandersetzung im NSU Verfahren hat mittlerweile zu einer umfangreichen Diskussion geführt. Dazu werden wir in den nächsten Tagen Stellung nehmen.