Obstruktion als Verteidigung

Zehn Befangenheitsanträge stehen – wenn wir richtig gezählt haben – am 4.10.2017 abends im Raum. Zwei aus den letzten Wochen (einer gegen den Vorsitzenden und einer gegen den Ergänzungsrichter). Bevor diese entschieden werden konnten, hatten die Angeklagten Eminger und Wohlleben heute vor Beginn der Verhandlung Befangenheitsanträge auf der Geschäftsstelle eingereicht (+2).

Während der Verhandlung wurde dann jede Verfügung des Vorsitzenden von jedem dieser Angeklagten mit einem weiteren Befangenheitsantrag quittiert( + 2*2), die Bestätigung der Verfügung des Vorsitzenden durch den Senat führte dann zur Ankündigung der weiteren Anträge (+2). Ging es hier um einen Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde? Oder was veranlasste die Verteidiger zu dieser Orgie, obwohl bekanntlich die Befangenheitsanträge keine Erfolgsaussicht haben und auch für die Revision nichts bringen, wie wir früher schon einmal ausgeführt hatten.

Es war der Versuch den ganzen Prozess zum Platzen zu bringen, der allerdings gescheitert ist. Hintergrund ist folgendes: Es gibt im Strafverfahren feste Fristen, in denen eine Verhandlung fortgesetzt werden muss. Nach § 229 StPO sind das drei Wochen, die eigentlich am 3.10. abgelaufen waren, wegen des Feiertages aber erst am 4.10.2017. Eine Unterbrechung von einem Monat ist immer erst möglich, wenn seit der letzten Unterbrechung mindestens 10 Tage verhandelt wurde. Das war nach der Sommerpause (bis zum 31.8.) noch nicht der Fall.

Während der Beweisaufnahme können Befangenheitsanträge nur begrenzt den weiteren Gang des Verfahrens behindern, da das Gericht zwei Tage weiter verhandeln kann und dann erst über den Antrag entscheiden muss. Allerdings sieht das Gesetz ausdrücklich vor, dass die Anträge vor den Plädoyers entschieden werden müssen. Da der Gesetzgeber (bisher) offenbar nicht im Auge hatte, dass auch Plädoyers sich lange hinziehen können, führt ein im Rahmen des Plädoyers gestellter Befangenheitsantrag dazu, dass nicht mehr weiter verhandelt werden kann. Also dachte die Verteidigung durch einen weiteren Befangenheitsantrag verhindern zu können, dass am 4.10. verhandelt wird. Daraus wurde allerdings nichts, das Gericht stieg wieder in die Beweisaufnahme ein, erteilte rechtliche Hinweise und kann in der Beweisaufnahme auch bis zu zwei Tagen weiter verhandeln.

Gerade das soll nun die Befangenheit begründen. Nach Meinung der Verteidigung hätte das Gericht den heutigen Termin nicht durchführen dürfen und damit sehenden Auges den Prozess platzen lassen müssen. Dabei erfüllt das Gericht mit seinem Vorgehen nur verfassungsrechtliche Vorgaben, in denen sich bekanntlich nicht alles um die Befindlichkeit von Angeklagten dreht:

„Eine funktionstüchtige Strafrechtspflege erfordert nicht nur die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs überhaupt, sondern auch eine Durchsetzung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens, dass die Rechtsgemeinschaft die Strafe noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen kann. Unnötige Verfahrensverzögerungen stellen nicht nur die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage; sie beeinträchtigen auch das verfassungsrechtlich abgesicherte öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess, da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden kann ….Abgesehen davon, dass die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches im Rahmen einer solchen neuen Hauptverhandlung, mit der regelmäßig eine Verschlechterung der Beweislage einhergeht, erheblich erschwert sein kann, ist eine Neuauflage des tatrichterlichen Ausgangsverfahrens auch mit Nachteilen unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes (vgl. hierzu BVerfGE 38, 105 <114>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Mai 2007 – 2 BvR 411/07 -, juris, Rn. 11) verbunden. Im Rahmen einer neuen Hauptverhandlung müssen oft auch die Zeugen erneut vernommen werden. Sind diese Zeugen zugleich Opfer der abzuurteilenden Straftat, so kann dies für sie mit erheblichen Belastungen, bis hin zu einer Retraumatisierung insbesondere bei schweren Gewalt- und Sexualstraftaten, einhergehen.“ (BVerfG 2 BvR 2044/07 Randnoten 73 ff.)

Sonst nichts auf der Pfanne?

Hatte der Angeklagte Wohlleben schon lange versucht, neben einzelnen Beweisanträgen das Verfahren durch Befangenheitsanträge zu torpedieren, wurde die Verteidigung des Angeklagten Eminger erst aktiv, als der Generalbundesanwalt eine Strafe von 12 Jahren beantragte und das Gericht Haftbefehl erließ. Die Haft scheint Herrn Eminger allerdings richtig gut zu tun, so fröhlich wie heute betrat er vorher nie den Saal. Also sollte man alles dafür tun, dass er möglichst lange so fröhlich bleibt. (Vielleicht hatte ihn sein Verteidiger allerdings auch prophezeit, dass der Prozess heute platzt). Zwar wurde von der Verteidigung anlässlich der Eröffnung des Haftbefehles orakelt, dass noch Beweisanträge gestellt werden können, geschehen ist das bisher nicht. So richtig Entlastendes fällt der Verteidigung Eminger also bisher nicht ein; dass Frau Zschäpe allerlei Lügen erzählt hat, um Eminger zu entlasten, hilft da auch nicht weiter.

Dass das Gericht in der Lage ist, den Obstruktionsplänen der Verteidigung entgegenzutreten, hat es heute auch bewiesen. So werden also die Mühlen der Justiz weiter bis zur Verurteilung  mahlen, mag dies dann auch erst im nächten Jahr sein.

Eberhard Reinecke