Strafanzeige gegen RWE wegen Tötungsdelikten

Am 14.9.2018 haben eine Reihe von Rechtsanwälten Strafanzeige gegen Verantwortliche der RWE-Power erstattet. Ich habe mich dieser Anzeige angeschlossen und dokumentiere sie im folgenden.

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RA Dr. Heinrich Comes, RA Gerhard Hilburg, RA’in Tijen Kortak, RA’in Rania Kour,  RA Christian Mertens, RA Dietmar Müller, RA’in Christina Offermanns,  RA Lukas Pieplow, RA Eberhard Reinecke, RA H.-Ulrich Reinke, RA Edip Resit,  RA Theo Schmitter, RA Andreas Stage, RA  Axel Werner, RA Burkhard Zimmer

Wir erstatten

Strafanzeige

gegen die bei der RWE Power verantwortlichen leitenden Mitarbeiter

wegen des folgenden, allgemein bekannten Sachverhalts:

I

Das Weltklima befindet sich seit vielen Jahren in einem Prozess der Veränderung, der aus Sicht des überwiegenden Teils der damit befassten Wissenschaftler in ein dramatisches Stadium eingetreten ist. Eine jüngste Veröffentlichung zahlreicher international renommierter Klimawissenschaftler erstellt die Prognose, dass, sollten nicht unverzüglich einschneidende Veränderungen politischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher Art erfolgen, schon eine Erwärmung der Temperaturen gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter um nur 2°C eine Schwelle erreichen könnte, welche den Kipppunkt zu nicht mehr beherrschbaren, sich selbst verstärkenden Prozessen auslöst.[1]

Kohle ist der klimaschädlichste Brennstoff und verantwortlich für über 40 % der globalen, energiebedingten CO2-Emissionen und für mehr als 25% der gesamten Treibhausgasemissionen. Dies gilt insbesondere für die Braunkohle. Bei der Braunkohleförderung nimmt Deutschland weltweit den ersten Platz ein. Bereits nicht mehr reversible Veränderungen des Weltklimas sind eingetreten. Erste Schäden, auch solche existenzieller Art, sei es für das Leben, sei es für die Existenzgrundlagen der Menschen wie Behausung, Lebensumfeld, Wasser und Bewirtschaftungsmöglichkeiten, haben sich realisiert. Schon heute gibt es Ströme von Klimaflüchtlingen, die ihre Heimat wegen der Unerträglichkeit der klimatischen Verhältnisse, wegen Überschwemmungen, Stürmen u.s.w., verlassen mussten. Die Wissenschaftszeitschrift Lancet kommt in Übereinstimmung mit 24  Internationalen Institutionen zu der Einschätzung, dass bis zum Ende des Jahrhunderts mit mehr als einer Milliarde Klimamigranten zu rechnen sei.[2]

Unzählige Menschen sind bereits an klimabedingten Hitzewellen oder an Kälteeinbrüchen verstorben; diese werden zunehmen, längere und intensivere Formen annehmen.[3] Hinzu kommen Hautkrebserkrankungen nach Sonneneinstrahlung sowie weitere klimabedingte Erkrankungen und Todesursachen aufgrund zunehmender Infektionen durch Mücken und Würmer (Malaria, Denguefieber), Hitzestress und Unterernährung, sowie die zahllosen Toten, die der Klimawandel als Folge von Nahrungsmittelverlusten (z.B. Ernteausfällen nach extremen Wetterereignissen) mit sich bringt. [4],[5]  

Zwar hat die Weltgemeinschaft nach der Pariser Konferenz von Herbst 2015 Hoffnung geschöpft angesichts der Vereinbarung, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur deutlich unter 2°C über dem vorindustriellen Niveau zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, ihn möglichst auf 1,5°C zu begrenzen.[6] Aber die Ernüchterung folgte bald. Heute bestehen kaum noch Zweifel daran, dass die Grenze nicht eingehalten werden kann, wenn nicht drastische Veränderungen der Energiegewinnung erfolgen, insbesondere die kurzfristige Einstellung der Verbrennung fossiler Brennstoffe und allen voran der Braunkohle.[7] Die UN-Weltorganisation für Meteorologie meldete im Oktober 2017, dass die Erde sich angesichts der festgestellten Daten bis Ende des Jahrhunderts voraussichtlich um mehr als drei Grad erwärmen werde, dass die Konzentration des Treibhausgases CO sich im Jahre 2016 so schnell erhöht habe wie nie zuvor. [8],[9]   Und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat kürzlich eingeräumt, die Auswirkungen der Klimaveränderung auf in Zukunft zu erwartende (auch internationale) Konflikte unterschätzt zu haben, und zur Kenntnis genommen, dass ohne konkrete, effektive Gegenmaßnahmen mit einer Temperaturerhöhung von heute bis zum Jahr 2100 um 4°C gerechnet werden müsse.[10]

An der Kausalität der Braunkohleverbrennung für den Klimawandel im Sinne einer Mitverursachung besteht kein ernsthafter Zweifel. Es handelt sich keineswegs um gänzlich unwahrscheinliche Entstehungszusammenhänge sondern um seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit diskutierte, längst wissenschaftlich abgesicherte Ursache-Wirkungs-Muster.

Die nicht nur möglichen sondern bereits eingetretenen und mit großer Wahrscheinlichkeit sich fortsetzenden verheerenden Folgen der vom IPCC bereits prognostizierten Klimaveränderung erlauben es nicht, Restzweifel an der Verursachung durch Karbonisierung/CO² Emissionen zuzulassen und abzuwarten, bis auch der letzte zweifelnde Wissenschaftler den Kausalzusammenhang einräumt. Zudem wäre, selbst wenn man Kausalzusammenhang und Folgen als noch nicht endgültig gesichert ansehen wollte, im Hinblick auf die Bedeutung und den Umfang der drohenden Schädigung insoweit vom Vorrang der Unheilsprognose (Hans Jonas) auszugehen, mithin davon, dass bei derart globalen, existenzbedrohenden Risiken auch eine begründete Hoffnung, die negativen Folgen werden sich schon vermeiden lassen, hinter der auch denkbaren Möglichkeit, die schlimmsten Folgen könnten eintreten, zurückstehen muss.[11]

Nimmt man die Warnungen der Wissenschaft und die bereits eingetretenen Folgen, deren einige schon heute unumkehrbar sind, sowie die extremen Steigerungen bei Fortsetzung der derzeitigen Emissionen ernst, handelt es sich um das umfassendste, heute zwar relativ unbemerkt daherkommende aber bereits wirksame und zugleich Generationen übergreifende Verbrechen am globalen Ökosystem, an der jetzt lebenden und den folgenden Generationen.

Dass dieses viel zu wenig wahrgenommen, jedenfalls trotz aller Berichterstattung und vieler Bemühungen Einzelner, gesellschaftlicher Gruppen, Nichtregierungsorganisationen und inzwischen auch einer Reihe von Regierungen das Drama der sich verselbständigenden Entwicklung nicht so ernst genommen wird, wie es der Unheilsprognose entspräche, mag darauf zurückzuführen sein,  dass die Folgen (noch) so fern sind in Raum und Zeit. Aus der Distanz sehen, lesen wir die Hölle mit vielleicht gar lustvollem Schaudern wie einen Horrorfilm, kommen aber nicht auf die Idee, das könne uns betreffen, geschweige denn, wir müssten ihrer Entstehung, ihren Ursachen, ihren Urhebern in den Weg treten.

Es ist ein äußerst langsamer, schleichender Prozess, der nicht die Bilder erzeugt, die alarmieren, zu sofortigen Reaktionen herausfordern. „Die Welt geht nicht mit einem Knall unter sondern mit Gewimmer“.[12] Zudem ist alles so kompliziert: die wissenschaftlichen Grundlagen, die zuständigen regionalen, nationalen, internationalen, gesellschaftlichen und politischen Ebenen, Interessen und Rhetorik. Und schließlich sind wir, jedenfalls die in den Industrienationen Lebenden, mit verantwortlich; wirksame Gegenmaßnahmen widersprechen auch unseren eigenen Interessen, unserer Besitzstandswahrung, unserer Lebensweise.

II

Hierfür gibt es Verantwortungszusammenhänge; und Verantwortliche, Hauptverantwortliche lassen sich identifizieren.

In Deutschland lieferte die RWE-Power in den drei Tagebauen Garzweiler, Hambach und Inden etwa im Jahre 2014 die größte Kohlemenge, nämlich 93,6 Mio. Tonnen.[13] Anstatt die Produktion einzustellen oder zurückzufahren, hat der Konzern angekündigt, noch in diesem Jahr weitere Flächen für den fortgesetzten Kohleabbau roden zu wollen.

Dass auch andere Akteure an der Verursachung beteiligt sind, ist zwar grundsätzlich richtig, entbindet aber keinen der einzelnen Beteiligten von der Mitverantwortung für das Gesamtgeschehen. Insbesondere ergibt sich daraus keine alternative oder überholende Kausalität, welche die Verantwortung letztlich vollständig einem anderen Kausalverlauf, einem anderen Verursacher überließe. Vielmehr handelt es sich um eine additive, multikausale Gemengelage mit vielen Mitverursachern, vielen Mittätern. Dies erlaubt keine Entlastung durch den Verweis auf mögliche andere Mit- oder Hauptverursacher.

Ebenso wenig steht dem entgegen, dass die an einem bestimmten Tage oder in einem umrissenen Zeitraum zu transportierenden und daraufhin irgendwann zu verbrennenden Kohlemengen zu gering und nicht geeignet (gewesen) wären, den Klimawandel je für sich und alleine herbeizuführen. Auch das mag richtig sein. Nichtsdestoweniger ist die Klimaveränderung auf ein langfristiges, komplexes, multikausales Geschehen zurückzuführen, an welchem unendlich viele Einzelakte beteiligt sind. Jeden einzelnen dieser Einzelakte von der Ursachenkette und seiner Verantwortlichkeit für das Gesamtgeschehen zu entbinden, würde die Welt dem Geschehen hilflos ausliefern. Auch vermag die Gesamtdauer des Geschehens der klimatischen Veränderungen solche Einzelakte nicht aus der Verursacherkette zu lösen.

Die RWE Power ist weltweit einer der Hauptemittenten des klimaschädlichen CO2. Als solcher hat sie einen erheblichen Teilbeitrag geleistet und leistet ihn nach wie vor, während die hypothetische Frage, wie die Veränderungen sich ohne diesen gestaltet hätten, höchst spekulativ und kaum zu beantworten wäre. Zum anderen hat dieser Teilbeitrag zumindest zu einer Verschlimmerung geführt. Wer sich maßgeblich an einem derart additiv-multikausalen Geschehen mit vielen Mitverursachern und Mittätern beteiligt, kann sich nicht entlasten mit dem Hinweis auf mögliche andere Mit- oder Hauptverursacher.[14]

Und auch der Umstand, dass die Opfer – ganz überwiegend – im Einzelnen nicht namentlich benannt werden können, steht dem Vorwurf nicht entgegen.[15] Es liegt in der Natur derartiger Taten, dass ihre Folgen anonym wirken, jeden und überall und über lange Zeiträume hinweg treffen können. Das Besondere an dieser Tötungstechnik ist darüber hinaus, dass sie auch in die Zukunft hinein wirkt, also mit heute in Gang gesetzten Verfahren in Kürze wie auch in weiter Ferne zahllose Menschen umbringen wird.

Soweit die Sterbefälle in der Zukunft liegen, sind die hierfür ursächlichen Taten, geht man von nicht revidierbaren Prozessen aus, beendet.

Zudem sind im Hinblick auf weitere, zukünftige Handlungselemente die Voraussetzungen des § 30 StGB erfüllt.

Die Beschuldigten sind verdächtig, zahllose Menschen getötet und zukünftige Tötungen in die Wege geleitet zu haben, ferner die globalen Lebensgrundlagen mittels eines bereits in Gang gesetzten, schleichenden Prozesses zu vernichten.

Dabei haben sie jeweils als Mittäter gehandelt, indem sie die Entscheidungen für die fortgesetzte Förderung und Verbrennung von Braunkohle gemeinsam getragen haben.

Zur Rechtfertigung ihres Handelns können sie sich auch nicht darauf berufen, der Betrieb der RWE Power sei „genehmigt“[16] oder „von der Rechtsordnung gedeckt“[17]. Keine Landesbehörde, kein Parlament sind mit einer demokratisch legitimierten Grundlage dafür ausgestattet, das Ingangsetzen tödlich verlaufender technischer Entwicklungen , die langfristige Zerstörung der Lebensgrundlagen sei es in fremden Ländern, sei es für spätere Generationen, ja nicht einmal für die eigene, jetzt lebende Bevölkerung zu „legalisieren“.[18]

Die Entscheidungsträger im Unternehmen der RWE-Power, insbesondere die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat, sind sich der technischen Abläufe sowie der von Abbau und Verbrennung ausgehenden Folgen bewusst. Spätestens seit der Kyoto-Konferenz im Dezember 1997 waren die klimaschädlichen Wirkungen gerade dieser Kohleförderung weltweit Thema und jedenfalls den damit Befassten auch im Einzelnen bekannt. Sie haben die dadurch bedingten Tötungen jedenfalls in Kauf genommen.

III

Wir gehen davon aus, dass die Staatsanwaltschaft das umfassendste, offen betriebene Verbrechen an der Welt, der Menschheit und den menschlichen Lebensgrundlagen nicht ignorieren wird.

Wir bitten, uns über das Ergebnis der Ermittlungen zu unterrichten.

Für die o. g. Anzeigenerstatter

Köln, den 14. September 2018

  Heinrich Comes,   Rechtsanwalt

 

[1] Steffen u.a. Trajectories of the Earth System in the Anthropocene, PNAS, 6.8.2018

[2] The Lancet Countdown online 30. Oktober 2017 (Fn.3) 13, Sect. 1.8; Le Monde 3. November 2017, 7: Allein im Jahr 2016 seien schon 23,5 Millionen Menschen gezwungen gewesen, als Folge von Naturkatastrophen ihr Lebensumfeld zu verlassen.

[3] Camilo Mora u.a., Global risk of deadly heat. nature climate change 7, 2017, 501 ff.

Gasparrini u.a., Mortality risk attributable to high and low ambient temperature; a multicountry observational, The Lancet Nr 386 v. 31. Juli 2015

[4] The Lancet Countdown  online 30. Oktober 2017 (Fn.3)  9f., Sect. 1.6.

[5] Dazu vgl. Marco Springman u.a., The global and regional health impacts of future food production under climate change, The Lancet Nr. 387 v. 7. 5. 2016.

[6] Art. 2 (1) a) des Pariser Klimaschutzabkommens.

[7] SZ vom 2.11.2017, 17 unter „Drei Grad wärmer“; vgl. auch die Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vom 15.8.2018 „Ein zügiger Kohleausstieg in Deutschland und NRW sichert das Klimaziel für 2030“

[8] The Lancet Countdown on Health and climate change, online 30. Okt. 2017 – http://dx.doi.org/10.10.2016/SO140-6736(17)32464-9 – S. 2 schätzt die Erderwärmung zum Ende des Jahrhunderts auf 2.6 bis 4.8°C.

[9] SZ (Süddeutsche Zeitung) vom 2. November 2016, 1, 17

[10] Le Monde v. 13.7.2018

[11] vgl. dazu Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung 2. Kap. II

[12] T.S.Eliot, The Hollow Men

[13] Kohleatlas, Heinrich Böll Stiftung, 2015.

[14] Insoweit werden diesbezüglich die vom LG München in der Entscheidung vom 12.5.2011 – Demjanjuk-Urteil – und vom LG Lüneburg in dem aufgrund des Beschl. des BGH vom 20.9.2016 – 3 StR 49/16 – rechtskräftigen Urteil vom 15.7.2015 erarbeiteten Gesichtspunkte von Bedeutung sein.

[15] Vgl. auch hierzu den Beschl. LG Lüneburg vom 15. 7. 2015. Das Gericht hat wegen Mordes an mindestens 300.000 Menschen im Zusammenhang mit der „Aktion Ungarn“ verurteilt, wenngleich nur wenige der Opfer personell bekannt waren.

[16] vgl. LG Köln Urt. v. 16.8.2013 – 24 O 392/12

[17] vgl. LG Aachen Urt. v. 16.3.2006 – 1 O 126/05; LG Cottbus Urt. v. 31. 7.2015 – 4 O 354/13

[18] dazu Comes, KJ Jahrgang 51 (2018) S. 115, 123; im Übrigen fällt auf, dass etwa der Braunkohleplan Garzweiler II vom 31.3.1995 und die entsprechende ministerielle Genehmigung vom selben Tage sowie die folgenden Hauptbetriebspläne die dargestellten Verletzungen und Schädigungen nicht ansatzweise erwähnen, geschweige denn, sie im Rahmen einer Abwägung von Rechtsgütern auswerten. Eine Gesamtabwägung, welche die heute belegten und prognostizierten Folgen zum Gegenstand hätte, wurde auch in den darauf folgenden verwaltungsgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht vorgenommen. Vgl. BVerwG Urt. v. 29.6.2006, 7 C 11.05; OVG NRW Urt. v. 21.12.2007, 11 A 1194/02; BVerfG Urt. v. 17.12.2013, 1 BvR 3139/08 und 1 BvR 3386/08.

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(Da es immer wieder Diskussionen um die Zulässigkeit der Berichterstattung über Strafanzeigen gibt, betone ich ich hier – nicht für die Leser unseres Blogs, die das ohnehin wissen, aber für Richter in Pressekammern – : Eine Strafanzeige selbst hat noch keine Konsequenzen (außer vielleicht den Leser und die Staatsanwaltschaft zum Nachdenken zu bringen), ist kein Schuldnachweis und kann auch von jedermann erstattet werden. Eine Gelegenheit zur Stellungnahme mußte RWE-Power nicht gegeben werden, da sie früher schon in anderen Zusammenhängen wegen dieser Vorwürfe öffentlich die Hände in Unschuld gewaschen hatte.)

Eberhard Reinecke