Wer ist der wahre Nationalsozialist?

Der NSU, Herr Wohlleben, Herr Eminger oder Herr Nahrath?

Wohl nicht ohne Grund plädierte Wolfram Nahrath als Letzter der drei VerteidigerInnen des Angeklagten Ralf Wohlleben. Die Plädoyers selbst (hier wieder die Berichte auf NSU-Nebenklage vom 15.05., 16.05. und 17.05.2018 eine Zusammenfassung mit Links auf weitere Veröffentlichungen bei ZEIT) enthielten keine wirkliche Überraschung und nachdem eigentlich alles gesagt war, was zur Verteidigung von Herrn Wohlleben gesagt werden konnte, sollte das Plädoyer von Herrn Nahrath wohl der Höhepunkt sein.
Tom Sundermann in der „Zeit“ schreibt dazu:

„Veranstaltungen der rechten Szene finden gewöhnlich in Hinterzimmern von Dorfgasthöfen statt, wo sie nur die Eingeweihten finden, in Schulungshäusern von Gleichgesinnten, stets abseits der Öffentlichkeit.“

Narath betonte in seinem Plädoyer:

„An dieser Stelle will ich klarstellen, das ist mein Schlussvortrag, ich trage die Verantwortung und will nicht, das nachteilige Schlüsse daraus für meinen Mdt gezogen werden.“

Man fragt sich allerdings wieso wird überhaupt ein Plädoyer gehalten, aus dem nachteilige Schlüsse gezogen werden könnten? Ich zumindest habe mich gefragt: Was will der Rechtsanwalt uns mit dem Vortrag sagen. Soweit es überhaupt um Wohlleben ging, wiederholte Nahrath nur Behauptungen von Rechtsanwältin Schneiders und Rechtsanwalt Klemke. Dann genoss es Narath sichtlich, seine Naziparolen nicht nur im Dorfgasthof sondern im Gerichtssaal verbreiten zu können. Dazu hielt er dann einen Vortrag über Rasse, Volk und den wirklichen historischen Nationalsozialismus aus der Zeit von 1923 bis 1945. Sicherlich hätte er gerne den Holocaust geleugnet (dazu hätte er dann gleich den Vortrag seiner Mandantin Haverbeck recyclen können) und die Zeit des Nationalsozialismus als vorbildlich angepriesen, sah sich dadurch aber durch die §§ 130 Abs. 4 StGB und 86 StGB gehindert. (Ich bin nun kein vorbehaltsloser Unterstützer dieser Strafvorschriften, aber diesmal war ich dem Gesetzgeber dankbar, dass er mich vor weiteren Vorträgen verschont hat.) Also beschränkte Narath sich angeblich „ohne jede Wertung“ auf die Wiedergabe von unzusammenhängenden Zitaten von Churchill über Hitler und Heß bis Goebbels, die alle – wie er behauptete – durch einen Historiker geprüft seien.

Was diese seitenweise Zitate belegen sollten, war nicht recht klar, es hat den Anschein, dass Herr Nahrath ausführen wollte, dass die Friedenskämpfer Hitler und Heß durch Churchill  zum Krieg gezwungen wurden, wobei allerdings ein Zitat von Churchill fehlte, in dem dieser schildert, wie er – obwohl zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht an der Regierung – Hitler dazu gebracht hatte, Polen zu überfallen. Auch der schreckliche Verdacht, dass Hitler Antisemit war, konnte von Nahrath an Hand von „historisch gesicherten“ Zitaten nicht ausgeräumt werden.

Wenn Nahrath nur darlegen wollte, dass Wohlleben genauso friedliebend war und ist wie Hitler, dann wird das sicherlich zu akzeptieren sein, es spricht sogar einiges dafür, dass das Gericht Wohlleben sogar für noch friedliebender halten wird als Adolf Hitler, schließlich hat er „nur“ die Waffe für 9 Morde geliefert nicht ganze Kriege angezettelt.

PPU (Psychopathischer Untergrund) statt NSU

In seinen Schlussfolgerungen machte Rechtsanwalt Nahrath noch einmal deutlich, dass der NSU – wenn er nicht ohnehin eine Konstruktion des Verfassungsschutzes gewesen sei – nichts mit dem historischen Nationalsozialismus zu tun habe. Die Psychopathen Mundlos und Böhnhardt hätten keine Kenntnisse über den Nationalsozialismus (wahrscheinlich weil sie es früher versäumt haben, zu Vorträgen von Herrn Nahrath zu gehen). Auch die Vereinigung „Blood and Honour“, von Spitzeln verseucht, und „Combat 18“ seien nicht aus den volkstreuen rechten Lagern Deutschlands hervorgegangen, was schon aus der englischen Bezeichnung zu entnehmen sei. In Wirklichkeit seien „Blood and Honour“ und „Combat 18“ angloamerikanischen Ursprungs, genauso wie die Turner Tagebücher und das Field Manuel. Da sei es auch nicht verwunderlich, dass die Bekenner-DVD eine US-amerikanische Comic-Serie (Paulchen-Panther) verwende, die gerade nicht völkisch nationalsozialistisch sei. Herr Nahrath, der auch Vorsitzender des Bundesschiedsgerichtes der NPD ist, wollte damit vielleicht postum Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt aus dem Kreis der aufrechten Nationalsozialisten ausschließen, was mit Frau Zschäpe sein soll, hat er nicht mitgeteilt.

Wohlleben ein Nationalsozialist im völkischen Sinne?

Das posthume Abkanzeln von Mundlos und Böhnhardt als Psychopathen und nicht wirkliche Nationalsozialisten, sollte vielleicht auch eine ideologische Differenz zwischen den beiden und dem Friedenskämpfer Wohlleben aufreißen, die gegen die Beihilfe spricht. Aber ist das wirklich so? Ich hatte einen ausführlichen Beweisantrag zu Dateien auf Wohllebens Rechner gestellt, aber da wimmelt es geradezu von Anglizismen. Ein Ordner mit Blood and Honour Liedern, ein Extraordner für die Thüringer Sektion, alle namhaften Blood and Honour Bands, wie die englische Skrewdriver und die deutscher Landser, ein ganzer Ordner mit der anglizistischen Abkürzung RAC (=rock against communism). Danach scheint Herr Wohlleben dem NSU doch näher gestanden zu haben, als dem „historischen Nationalsozialismus“. Auf jeden Fall: ein echter Nationalsozialist in den Augen von Herrn Narath dürfte Wohlleben auch nicht sein.

Letzte Hoffnung Eminger

Und was ist mit Herrn Eminger? Seine Anwälte hatten in der Hauptverhandlung immerhin behauptet:

„Unser Mandant ist Nationalsozialist, der mit Haut und Haaren zu seiner politischen Überzeugung steht, auch wenn er sich in der Hauptverhandlung nicht geäußert hat. … Das Wort ‚Ich bin ein Nationalsozialist‘ hat heute hier im Saal Premiere.“

Aber hält das tatsächlich einer Überprüfung durch Herrn Nahrath stand? Daran kann man durchaus Zweifel haben, wusste Eminger doch selbst mit 21 Jahren noch nicht, dass der Wahlspruch „Blut  und Ehre“ (englisch: Blood and Honour) nicht etwa der Wahlspruch der SS, sondern der Wahlspruch der Hitlerjugend war. Dies wurde von seinem Verteidiger als Indiz für ein gewisse Unreife dargestellt, wobei er allerdings davon ausging, dass mittlerweile die erforderliche nationalsozialistische Nachreifung stattgefunden hat. Nun hat allerdings Herr Eminger, einer der Mitbegründer der sogenannten „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ zwei Nummern einer Zeitung herausgegeben, die den englischen Titel „The Aryan Law And Order“ (Arisches Recht und Gesetz) trug. Bei so viel Anglizismen dürfte eigentlich Herr Eminger in den Augen von Herrn Nahrath keine Gnade finden, man müsste ihm sicherlich verbieten, sich jetzt noch als „Nationalsozialist“ zu bezeichnen.

Wenn wir all dies Revue passieren lassen, dann bleibt eigentlich nur einer übrig, der für sich wirklich stolz in Anspruch nehmen kann, ein „historischer Nationalsozialist“ zu sein.

„Schnee, der auf Zedern fällt“ – Die Last mit den Anspielungen
auf Literatur und Film.

Mehrfach tauchte in den Plädoyers der Verteidigerriege Wohlleben das Bild auf, irgendein Argument wiege so viel oder besser so wenig wie „Schnee, der auf Zedern fällt“. Nun fragt man sich, was soll dieses Sprachbild? Warum ist nicht von „Schnee, der auf die deutsche Eiche fällt“ oder vom „Schnee auf die Nordmanntanne“ die Rede? Sollte hier tatsächlich eine literarische Anspielung gemeint sein? Warum aber gerade eine Anspielung auf den Roman eines Amerikaners, der später auch in Amerika verfilmt wurde? Wir suchen in der Zusammenfassung bei Wikipedia nach Parallelen:

„1954: An der Küste des US-Bundesstaates Washington wird der Fischer Carl Heine ertrunken aufgefunden. Da der Tote eine Kopfverletzung aufweist, kann Mord nicht ausgeschlossen werden, und Heines japanischstämmiger Kollege Kazuo Miyamoto wird verhaftet.

Der Reporter Ishmael Chambers soll über das Gerichtsverfahren berichten und trifft dabei auf seine Jugendliebe Hatsue Imada, die Ehefrau des Angeklagten. Chambers könnte beim Aufklären des Verbrechens helfen, aber durch seine wiederaufkeimenden Gefühle für Hatsue gerät er in ein Dilemma. Schlussendlich erklärt er sich bereit zu helfen, muss aber gegen die immer noch nach dem Zweiten Weltkrieg vorhandenen Ressentiments auf beiden Seiten kämpfen. Chambers kann jedoch beweisen, dass Carl Heines Boot von der Bugwelle eines anderen Schiffs getroffen worden war, er deshalb vom Schiff gefallen und ertrunken ist. Kazuo Miyamoto ist somit unschuldig und wird freigesprochen.

Der wichtigste Handlungsstrang ist jedoch die Internierung der an der Westküste lebenden japanischstämmigen Minderheit. Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor wurden zahlreiche japanischstämmige Bürger interniert. Der Film soll diesen oft vergessenen Teil der Geschichte wieder in Erinnerung rufen.“

Wir finden aber keine richtigen Parallelen zum NSU-Verfahren. Am ehesten der Gedanke, dass auch Wohlleben zu unrecht angeklagt sei, und Sven R., der immer wieder in Beweisanträgen genannt wurde, die Person ist, die Wohlleben retten könnte, wenn er endlich zugäbe, dass er die Mordpistole an Mundlos und Böhnhardt geliefert hat? Doch welche persönlichen Interessen verfolgt Sven R.?  Oder soll es nur eine Anspielung auf die zusammenfassende Kritik dieses Filmes im „Lexikon des internationalen Films“ sein, in dem es heißt: „Außergewöhnlich behutsam inszeniert und eindrucksvoll gespielt.“ Sollte das die Selbsteinschätzung ihrer Plädoyers durch die Verteidigung Wohlleben sein? Eine ausreichende Realitätsferne hatten sie schon bewiesen.

Also am wahrscheinlichsten ist dann doch wohl, dass den dümmlichen völkischen Vorkämpfern einfach nur der Titel gefiel, ohne weiter über diese Anspielung nachzudenken.

Eberhard Reinecke