Zum 25-jährigem Jubiläum – Fake-News über Rostock-Lichtenhagen

Ende August diesen Jahres jährt sich zum 25. Mal das Progrom von Rostock-Lichtenhagen. Bekanntlich ging es seinerzeit nicht um fremde Staatsgäste sondern „nur“ um Sinti und Roma, Vietnamesen und ein Fernsehteam des WDRs, die kurz davor standen bei lebendigem Leib verbrannt zu werden. Ein enthemmter rechtsradikaler Mob unterstützt von „besorgten Bürgern“ konnte in das Haus eindringen und innen und von außen die Brandsetze werfen. Die im Ort anwesende Polizei hatte sich wegen eines Wachwechsels zurückgezogen. Aus aktuellem Anlass hier einige Fake-News die wir damals gerne als echte Meldungen gelesen hätten. Da es Fake-News sind, können wir auch nur auf aktuelle Meldungen verweisen, die klar machen wie eine Gleichsetzung von rechter und linker Gewalt aussehen müsste:

  • Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist am 27. August nach Rostock gefahren um sich vor Ort zu informieren. Er sprach mit den Opfern der rechtsradikalen Gewalt. Er dankte den Feuerwehrmännern für ihren Einsatz und wollte auch mit den eingreifenden Polizisten reden, konnte aber keinen finden.
  • Bundeskanzler Kohl sicherte allen Opfern schnelle und unbürokratische Hilfe bei der Beseitigung der Schäden zu.
  • Innenminister Rudolf Seiters verurteilte scharf die „terroristischen Taten“ der Rechtsextremen in Rostock-Lichtenhagen. Gewalttouristen aus der ganzen Bundesrepublik seien nach Rostock gereist. Er nannte die Gewalttäter „kriminelle Chaoten“ und erklärte, sie könnten „keinerlei politische Motive für sich in Anspruch nehmen“. Weiter führte Rudolf Seiters aus: „Die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen müssen auch eine Zäsur für den Blick auf die Gewaltbereitschaft der rechtsradikalen Szene sein“. Es dürfe „in den Städten unseres Landes keine tolerierten Rückzugsorte für Gewalttäter geben, also insbesondere auch keine sogenannten „nationalbefreite Zonen“. Rudolf Seiters erwarte nun mehr harte Verurteilungen.
  • Kanzleramtsminister Bohl widersetzt sich Forderungen nach einer Verlegung der Asyl-Bewerber aus Rostock-Lichtenhagen: „Der Rechtsstaat kann es nicht dulden, dass der randalierende Mob auf den Straßen entscheidet, wo wir Asyl-Bewerber unterbringen.“
  •  Immer mehr Politiker fordern von der CDU und CSU eine eindeutige Distanzierung von ihren ausländerfeindlichen Parolen, mit denen sie erst den Nährboden für den enthemmten Mob geschaffen haben.
  • Die Polizei hat eine Sonderkommission mit 170 Beamten eingerichtet, um alle Täter zu identifizieren. Die Polizei betonte, dass es dabei nicht nur um die unmittelbaren Täter ginge, sondern einen aufwiegelnden Landfriedensbruch begehe nach § 125 StGB auch „wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern“. Die Polizei forderte Zeugen auf, sich zu melden und Bildmaterial zur Verfügung zustellen.
  • Die BILD-Zeitung veröffentlicht Fotos von Beteiligten und fordert ihre Leser auf, diese namhaft zu machen.

Fake-News über Hamburg

Aber auch über die Krawalle zum G20-Gipfel wollen wir zwei Fake-News verbreiten, die sich an der Reaktion der Politiker vor 25 Jahren auf die Progrome in Rostock-Lichtenhagen orientieren:

  • Natürlich müssten die Ausschreitungen im Schanzenviertel verurteilt werden, aber es lägen auch Fehler der Politik vor, die es leicht gemacht hatten aus einer berechtigten Empörung über den G20 zu einer Progromstimmung zu kommen.
  • Erste Politiker fordern bereits eine Änderung von Gesetzen dahingehend, dass es in Zukunft leichter wird, ausländischen Staatsgästen die Einreise in die Bundesrepublik zu verbieten und damit Treffen, wie die G20 unmöglich zu machen. Zur Not müsse das Grundgesetz geändert werden.

Ab hier: Keine Fake news

Nur vorsorglich: Es geht nicht um eine irgendwie geartete Verteidigung irrwitziger Straftaten im Schanzenviertel (wir werden die weiteren Ermittlungen mit Interesse verfolgen), sondern es geht darum, dass erkennbar nicht einmal ein kleiner Teil der Energie, der jetzt auf die Vorfälle im Schanzenviertel aufgewandt wird, vor 25 Jahren eingesetzt wurde, um gegen rechte Gewalttäter vorzugehen. Statt Abschreckung und Ablehnung wurde der rechte Mob bis Juni 1993 dadurch geadelt, dass die Progrome von Rostock-Lichtenhagen zur Änderung der Asyl-Gesetze führten. Bis heute halten wir es nicht für einen (historischen) Zufall, dass eine Woche nach der in aufgeputschten Stimmung beschlossenen Änderung des Artikels 16 (Asylrecht) des Grundgesetzes im Mai 1993 der Solinger Brandanschlag geschah. Sowohl der NSU als auch die ausländerfeindlichen Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sind (auch) die Strafe dafür, dass gegen die Progrome in Rostock-Lichtenhagen weder damals noch anschließend in gerichtlichen Verfahren ausreichend von Seiten des Staates vorgegangen wurde. Die jetzt wieder so beliebte Gleichstellung von Rechts- und Linksextremisten ist in diesem Punkt schlicht falsch: Gegen Rechtsextremisten wurde und wird nicht so vorgegangen wie es jetzt wieder für Linksextremisten angekündigt wird. Wer noch einmal etwas zu Rostock Lichtenhagen nachlesen will, findet hier im SPIEGEL etwas oder auch in der WELT (2012) oder bei Wikipedia.

Eberhard Reinecke