„Der Angeklagte darf nicht zum Objekt staatlichen Handelns gemacht werden!“ – Nur der Angeklagte?

Nach dem Versuch der Video Vernehmung der Zeugin Charlotte E. und den erbarmungswürdigen Bildern wussten es (fast) alle. Diese Vernehmung hätte nicht stattfinden dürfen. Die Süddeutsche zitiert unsere Äusserung „Ein Ansatz zur Körperverletzung“ in der Überschrift, der Tagesspiegel auch unsere Aufforderung an die Verteidigung auf die weitere Vernehmung der Zeugin E. zu verzichten. Spiegel online spricht von einer Schande und hat den Schuldigen gleich ausgemacht: den Sachverständigen, der die (teilweise) Vernehmungsfähigkeit der Zeugin attestiert hatte. Für uns war das Ergebnis nicht überraschend, wir hatten immer gegen die Vernehmung der Zeugin Stellung genommen und am 4.11.2013 (vollständige Stellungnahme hier) u.a. geschrieben:

„Zusammengefasst: Jeder, der die Akte kennt, weiß, dass bei der Vernehmung dieser Zeugin nichts herauskommen kann. Sicher ist nur, dass die Vernehmung für die Zeugin eine Qual sein wird, dass das furchtbare Erleben der Brandstiftung nun auch noch durch die Qual der Vernehmung verlängert wird.“

Entlastungszeugin für Zschäpe?

Es lohnt sich, noch einmal den Weg zu diesem Desaster nachzuzeichnen. Nachdem Rechtsanwalt Heer einmal in der Hauptverhandlung gefragt hatte: „Wie gedenkt der Senat mit der Zeugin E. zu verfahren?“, wurde diese und der Polizeibeamte, der sie 2011 vernommen hatte, zum 10.10.2013 geladen. Der Polizeibeamte hatte die Zeugin ca. eine Woche nach dem Brandgeschehen (Zschäpe hatte das Haus angezündet) vernommen, da sie gehört hatte, dass an Ihrer Tür geklingelt worden war. Die Zeugin hatte damals ausdrücklich erklärt, sie habe nach dem Klingeln niemanden durch den Spion gesehen, niemanden an der Sprechanlage gehört und aus dem Fenster niemanden an der Tür gesehen. Auf die ausdrückliche Frage nach ihrer Nachbarin erklärte sie in der damaligen Vernehmung: „Ich habe sie weder gesehen, noch mit ihr gesprochen.“ Belegt ist allerdings, dass ein Handwerker an der Tür geklingelt hat. Bei dieser Ausgangslage ist bei gesunden Zeugen nahezu ausgeschlossen, dass diese plötzlich erklären, sie könnten sich jetzt daran erinnern, dass Frau Zschäpe geklingelt habe. Im übrigen: Selbst wenn Zschäpe geklingelt hätte ist das nicht entlastend, worauf wir am 4.11.2013 ebenfalls hinwiesen:

„Sie hätte dann offenbar in Kenntnis der Tatsache, dass sich in der Wohnung eine hilflose Person auf­hält, an der Tür geklingelt, aber nicht etwa gewartet, bis sich irgend jemand gemeldet hat, auch im Anschluss daran hätte sie – wie weitere Zeugenaussagen bereits belegt haben – sich zwar um ihre Katzen nicht aber um die Zeugin E. gekümmert. Sie hat nicht einmal einen Hinweis an Dritte gegeben, dass sich eine hilflose Person in der Wohnung befindet, die gerettet werden müsse. Die – unterstellte – Tatsache, dass die Angeklagte ge­klingelt habe, wäre also kein Gegenargument gegen ihren bedingten Tötungsvorsatz, sondern würde diesen geradezu bestätigen.“

Konfrontative Vernehmung

Natürlich konnte die Zeugin zum Termin am 10.10.2013 nicht erscheinen. Die Verteidigung Zschäpe beantragte daraufhin die sofortige Fortsetzung der Hauptverhandlung in Zwickau und bestand vor allem auf einer „konfrontativen“ Vernehmung. Schon damals habe ich auf die Gesundheitsgefährdung für die Zeugin hingewiesen.

Das Gericht beauftragte einen Sachverständigen mit der Feststellung der Vernehmungsfähigkeit der Zeugin, ohne ihm allerdings den Auftrag zu erteilen, die Erinnerungsfähigkeit der Zeugin an die Vorgänge vom 4.11.2011 zu überprüfen. Trotz des sich aus dem Gutachten ergebenden schlechten Gesundheitszustandes der Zeugin beantragte die Verteidigung

unter Bezugnahme auf den am 10.10.2013 gestellten Antrag erneut, die
Hauptverhandlung zwecks Einvemahme der Zeugin an deren Wohnort
durchzuführen bzw. die kommissarische Vernehmung der Zeugin anzuordnen
und der Mandantin die Anwesenheit zu gestatten.
…..Unserer Mandantin ist die effektivste Möglichkeit einer konfrontativen

Vernehmung der Zeugin durch ihre Verteidiger zu eröffnen.“

Am 2.11. wurde dann noch einmal von der Verteidigung Zschäpe nachgesetzt:

„Gerade aufgrund möglicher Schwankungen der kognitiven Leistungsfähigkeit der Zeugin verdient eine persönliche Vernehmung den Vorzug. Nur die unmittelbare Konfrontation
mit Blickkontakt zu dem jeweils vernehmenden Prozessbeteiligten verspricht eine den erforderlichen Erinnerungsumfang deutlich bessere Reproduktion der Erinnerung in ihren Einzelheiten“

Warum standen wir alleine da?

Mit unserer Stellungnahme vom 4.11.2013 (s.o.) standen wir alleine, auch die Bundesanwaltschaft und die anderen Nebenklagevertreter (bis auf einen) schienen die Vernehmung für erforderlich zu halten. Heute schreibt Spiegel-Online richtig: „Eine Wahrheitssuche um jeden Preis gibt es nicht“. Das BVerfG definiert das faire Strafverfahren, dass in ihm „der Beschuldigte eben nicht zum Objekt staatlichen Handelns wird, sondern seine Stellung als Prozesssubjekt behauptet und die damit verbundenen Rechte auch wirksam zu nutzen vermag.“ (BVerfG,  2 BvR 2341/08 )

Das gilt aber natürlich auch für Zeugen und Opfer. Aber im Gegensatz zu der fein ziselierten Strafprozessordnung, die dann auch noch in fast allen Einzelheiten durch die Rechtsprechung präzisiert wurde, tun sich die Gerichte schwer, wenn es um die Berücksichtigung übergeordneter, der Verfassung zu entnehmender Grundsätze geht, wie des Persönlichkeitsrechtes aus Art. 2 GG oder der Menschenwürde aus Art. 1 GG.

Macht die Verteidigung der Vernehmung ein Ende?

Trotz es erschütternden Eindrucks der Videovernehmung wollte die Verteidigung immer noch nicht (endgültig) auf die weitere Vernehmung der Zeugin verzichten. Wenn es  eine „Wahrheitssuche um jeden Preis nicht gibt“, gibt es auch keine „Verteidigung um jeden Preis“. Es wundert dann schon, dass in der Berichterstattung weiter so getan wird als erfüllten die Verteidiger „nur“ ihre Pflicht, wenn sie sich weitere Quälereien der Zeugin durch andere Arten der Vernehmung vorbehalten. Warum wird die Verteidigung nicht entscheident für dieses Desaster verantwortlich gemacht, und warum erscheinen wir wieder in der Öffentlichkeit als Exoten (wenn auch jetzt zumindest viele Kollegen unseren Standpunkt teilen), wenn wir den Verzicht auf die weitere Vernehmung der Zeugin für eine Frage des Anstandes und der Empathie halten.

Eberhard Reinecke