Die Verteidiger schlagen zurück….

titelte Julia Jüttner in Spiegel-online am 20.6. nach dem (vorläufigen) Ende der Vernehmung von Carsten S. und der Stellungnahme von Holger G. Das war aber doch eher von der Marke „Wasserschlag“.

Am weitesten ging dabei der Antrag der Verteidigung Wohlleben: Da sich S. sich nicht von dieser Verteidigung befragen lasse, seien seine Angaben unverwertbar. Dies solle sich aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ergeben. Dafür müsste man allerdings die Entscheidung mächtig verbiegen, im übrigen hat der BGH diese Auffassung auch schon verworfen. Das wäre ja auch zu schön: Im Ermittlungsverfahren belasten sich zwei Angeklagte gegenseitig. In der Hauptverhandlung lassen sie sich wechselseitig nicht befragen und nichts ist mehr verwertbar.

Dabei hätte Rechtsanwalt Klemke doch ein gutes Argument gegen Carsten S. gehabt. Dieser hatte bekanntlich erklärt, er wolle sich nicht alleine „nackig machen“ und deshalb erst Fragen der Verteidigung Wohlleben beantworten, wenn dieser selbst sich geäussert habe. Da hätte Klemke doch kontern können, dass er selbst sich (zumindest auf dem Kopf) „nackig gemacht“ habe, zumindest wenn man die Bilder aus 2008, auf seiner Homepage  (laut Bildinformation am 1.7.2012 zum letzten mal geändert) und jetzt vergleicht. Wir wissen natürlich weder, ob das Carsten S überzeugt hätte, noch warum RA Klemke jetzt die Glatze liebt.

Beweiswürdigung als Ausdruck der Verzweiflung

Abwegig dann die Würdigung der Aussage S.durch die Verteidigung Wohlleben  Da dieser die Waffe in einem Cafe im Kaufhof übergeben haben wolle, es ein solches Cafe aber erst ab Oktober 2001 gegeben habe, könne S nicht die Mordwaffe Ceska übergeben haben. Was stört es dabei, dass S. bereits seit spätestens Ende 2000 ausgestiegen war. Er mag sich vielleicht im Ort der Übergabe geirrt haben aber nicht im Zeitpunkt und schon gar nicht in der Art der Waffe.

Änhnliches gilt für die Beweiswürdigung der Verteidigung Zschäpe: Schon der Ausgangspunkt dass „der Generalbundesanwalt die in der Anklage erhobenen Tatvorwürfe gegen Beate Zschäpe in ganz erheblichem Maße auf die Angaben des Angeklagten G.“ stütze, ist doch reichlich übertrieben. Es sei misslich, dass sich G nicht befragen lasse. Stimmt, aber das ist nun täglich Brot im Strafverfahren. Wenn ein Zeuge ein Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht hat und davon Gebrauch macht, werden frühere Aussagen durch die Vernehmungsbeamten in das Verfahren eingeführt. Das wird bereits in der nächsten Woche passieren, da sich das Gericht natürlich nicht mit der Erklärung von G. begnügt. Allerdings: Diese früheren Aussagen sind auch nicht besser für Zschäpe. Nun soll dem staunenden Publikum suggeriert werden, wenn sich G nur durch Heer, Stahl und Sturm vernehmen liesse, käme am Ende das Gegenteil von dessen bisherigen Aussagen heraus.

So undifferenziert wie Stahl es darstellt, hat sich G im übrigen nicht geäussert. Er hat nicht nur differenziert zwischen dem einen Uwe, der eher an seine Freundschaft appellierte und dem anderen, der eher mit Strafverfahren drohte, auch von Zschäpe hat er einen ganz individuellen Tatbeitrag berichtet, als diese ihn bei der Waffenübergabe am Bahnhof abholte.

Ausserdem gäbe es Widersprüche in den Angaben zur Person behauptet Stahl, deshalb seien auch die Angaben zur Sache ohne Beweiswert. Auch diese Behauptung – wenn ein Zeuge in einem Punkt sich „in Widersprüche verwickele“ sei er insgesamt unglaubwürdig – ist zwar in Krimis beliebt, hat aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Das passiert nun vielen Eltern. Wenn sie ihren kleinen Kindern Rotkäppchen zum 10. mal vorlesen bzw. erzählen, und dann etwas auslassen, ändern o.ä. werden sie umgehend von Ihren Kleinen korrigiert, die allerdings noch nicht wissen, dass eigentlich niemand dieselbe Geschichte zweimal genauso erzählen kann.

Wichtig ist doch eines: mit der Aussage über das Trio als Ganzes hat G. sich nicht unerheblich selbst belastet, was gemeinhin als Indiz für eine wahrheitsgemässe Aussage gilt. Seit 1978 steht in der Rechtsprechung des BGH fest, dass sowohl eine kriminelle wie eine terroristische Vereinigung mindestens drei Mitglieder haben muss. Es wäre also zu Gs Vorteil gewesen, wenn er behauptet hätte, immer nur mit zwei Mitgliedern des Trios gesprochen und verhandelt zu haben, und dass er gedacht habe, Zschäpe wisse von nichts (zugegebenermassen nicht besonders glaubwürdig). Könnte man ihm die Kenntnis einer Dreiergruppe nicht nachweisen, könnte er auch nicht wegen Unterstützung einer Vereinigung verurteilt werden. Es spricht also einiges dafür, dass in diesem wichtigen Punkt die Aussage von G durchaus wahrheitsgemäss war.

Eberhard Reinecke

P.S. man verzeihe uns, dass wir etwas hinterher hinken, für den 24.6. und 25.6. gibt es gute Berichte bei Spiegel online.