Kacktor des Monats

Wer schon mal am Sonntagabend im WDR „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ sieht, kennt diese Rubrik, Eigentore oder besonders verunglückte Abwehraktionen stehen hier zur Auswahl und werden ausgezeichnet. Allerdings können nur richtige Fussballaktionen vorgeschlagen werden. Kacktore im übertragenen Sinn werden bei Arnd Zeigler nicht ausgezeichnet – sonst hätte Wohlleben und seine Verteidigung sicherlich eine Nominierung verdient.

Am 8.11. sagte der Zeuge Martin K. zu einer Schlägerei in Jena Winzerla im Juli 1998 aus und schilderte den Überfall auf ihn durch Neonazis. Einzelheiten zur Aussage auf NSU-Nebenklage und in der SZ.  An sich eine Geschichte, die wenig mit den angeklagten Taten zu tun hatte. Angezettelt wurde die ganze Aufklärung dieses Sachverhaltes durch die Verteidigung Wohlleben. Nachdem nicht nur der Senat, sondern auch der BGH in verschiedenen Haftentscheidungen den dringenden Tatverdacht gegen Wohlleben bejaht haben, was nach mehr als 300 Verhandlungstagen einer Verurteilung schon ziemlich nahe kommt, sollte nun mit aller Macht versucht werden, die Angaben des Mitangeklagten Schulze als Lügen dastehen zu lassen. Dessen Aussagen zur Übergabe der Pistole Ceska sind schließlich das entscheidende Beweismittel gegen Wohlleben. Schulze hatte von dieser Schlägerei berichtet, an der auch Wohlleben beteiligt war. Ermittlungsergebnisse gab es dazu in der Akte nicht.

Bewusstes Risiko durch die Verteidigung Wohlleben?

Sicherlich wird Wohlleben – so wie der Zeuge am 8.11.2016 den Überfall schilderte – gewusst haben, dass es die von Schulze geschilderte Schlägerei gegeben hat (es sei denn solche Überfälle seien für den sich sonst so friedfertig gebenden Wohlleben ein alltägliches Ereignis gewesen). Er konnte sich aber zunächst relativ sicher sein, dass die Mehrheit der damals Beteiligten entweder den Sachverhalt bestreiten oder sich (angeblich) nicht erinnern können. So schien also durchaus der Kampf gegen die Wahrheit als erfolgversprechend und in der verzweifelten Situation von Wohlleben hat er wohl das Risiko in Kauf genommen. Zunächst  gab es doch schon einen Zeugen, der zumindest in groben Zügen die Darstellung von Schulze bestätigte. Die Verteidigung verlegte sich dann auf ein weiteres Detail – die Existenz einer umwerfbaren Holzhütte von der Schulze gesprochen hatte – um die Unglaubwürdigkeit von Schulze zu belegen. Auch damit hat sie jetzt Schiffbruch erlitten.

Der Durchbruch kam dann allerdings durch den Kollegen Hardy Langer, der – was die Polizei nicht gemacht hat – die Zeitungsmeldungen für den fraglichen Zeitraum durchging und tatsächlich auf eine Meldung über die Schlägerei stieß. Zwar hatte die Polizei keine Unterlagen mehr, über Rettungsdienste ließen sich dann allerdings die Geschädigten auftreiben, von denen der erste jetzt aussagte, mit dem für Wohlleben desaströsen Ergebnis. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der Glaubwürdigkeitslehre gerade lebendige und konkrete Schilderungen auch im Randbereich als Glaubwürdigkeitssymptom gelten. Die Glaubwürdigkeit von Schulze ist also noch einmal deutlich gestärkt worden.

Die „Maximalanklage“ bestätigt sich

Zu Beginn des Verfahrens sprach die Verteidigung – insbesondere von Zschäpe – von einer Maximalanklage und versuchte damit zu suggerieren, dass ohnehin nicht alles so heiß gegessen wie gekocht wird. Und in der Tat: normalerweise kann man als Verteidiger in Strafsachen davon ausgehen, dass am Ende der Beweisaufnahme sich nicht alle Darstellungen der Anklage bestätigen. Regelmäßig ist der Fall mit der Anklage ausermittelt, schlimmer kann es nicht werden. Das war allerdings im NSU-Verfahren von Anfang an anders. Parallel zum Verfahren ermittelte die Bundesanwaltschaft und das BKA weiter und – nicht zu unterschätzen – auch eine Reihe der Nebenklagevertreter arbeiten und denken mit. Die Recherche des Kollegen Langer ist hier nur ein – sicherlich besonders gelungenes – Beispiel.

Wir erinnern daran, dass zu Beginn des Verfahrens Strafverteidigervereinigungen meinten: „Opferfokussierung gefährdet Wahrheitsfindung“. Das Kacktor von Wohlleben ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine aufmerksame Nebenklage die Aufklärung vorantreibt, allerdings damit durchaus lästig für die Verteidigung werden kann.

Eberhard Reinecke