Pressemitteilung von Nebenklagevertretern zum WDR-Film: „Gesucht wird … … die Wahrheit von Solingen!“ (24.5.95, 21/45 Uhr)

Man kann den Journalisten Michael Heuer und Gerd Monheim nicht vorwerfen, daß sie die Wahrheit nicht gefunden haben – wohl aber, daß sie nicht ernsthaft suchten.

Wir halten es für eine ungeheure Geschmacklosigkeit, wenn in der Woche vor dem 2. Jahrestag des Brandanschlages von Solingen Krokodilstränen am Anfang und Ende des Filmes über die Opfer geweint werden, um zwischendrin Mitleid mit den armen Angeklagten zu erwecken. Wir müssen dazu feststellen, daß dieser Film einseitig die Sichtweise der Verteidigung wiedergibt, und weder die Opfer selbst noch ihre Vertreter Gelegenheit bekamen zu den Behauptungen und Schlußfolgerungen Stellung zu nehmen. Wir werden in den nächsten Wochen Gelegenheit haben, im Rahmen der Plädoyers im Einzelnen unsere Sichtweise darzustellen und halten vorab nur folgendes fest:

– Fehlt bei den Redakteuren ausreichender juristischer Sachverstand oder warum wird dem Publikum verschwiegen, daß alle vier Angeklagten bis heute noch in Haft sitzen, weil das Gericht auch jetzt noch – am Ende der Beweisaufnahme – den dringenden Tatverdacht bejaht?

– In dem Film wird zweimal behauptet, G. habe bei der 1. Vernehmung durch den Haftrichter sein Geständnis widerrufen, es wird verschwiegen, daß er zunächst – und zwar nach Beratung mit dem Anwalt, der – so der Fernsehfilm – von Anfang an seinem Geständnis mißtraute – das Geständnis beim Haftrichter detailliert wiederholte um es erst am Ende der Vernehmung pauchal zu widerrufen.

Warum werden aus den diversen Versionen von R. gerade diejenigen ausführlich geschildert, in denen er als Alleintäter gehandelt haben will, nicht aber diejenigen, in denen er die Mittäter stark belastet, Versionen, die er keineswegs nur unter dem angeblichen Druck der polizeilichen Vernehmungen sondern auch in gelöster Atmosspähre gegenüber dem Sachverständigen geäußert hat. Warum wird verschwiegen, daß R. offenbar auf dringenden Rat seiner Verteidiger sich im Verfahren nicht befragen läßt, sondern ausschließlich durch seinen Verteidiger Erklärungen abgibt, die nicht hinterfragt werden dürfen, oder über einen Sachverständigen, der von seiner Aufgabe her den Angeklagten nicht befragen will. Ein derartiges Prozeßverhalten ist nur dadurch erklärbar, daß diese Erklärungen unwahr sind. Dies Verhalten ist auch verwertbar.

– Warum wird die Standuhr eines Nachbarn zum Maß der Uhrzeit erklärt, wenn nach der Beweisaufnahme schon feststeht, daß sogar die Uhren der Polizei pro Jahr bis zu 2 1/2 Minunten falsch gehen.

– Selbst wenn man nicht von der Täterschaft der Angeklagten überzeugt ist: Sie waren Anhänger rechtsextremer Auffassungen, die nachweislich den Nährboden für solche Brandanschläge liefern. Warum wird darüber hinweggegangen? Das Bedauern für die Opfer bleibt Pflichtübung, wenn die im Prozeß geäußerten Verharmlosungen dieser Auffassungen etwa nach der Devise, daß es sich um fast notwendige Stadien der Pubertät handelt, nicht problematisiert werden.

– Daß der Verfassungschutz nicht zu den Gralshütern der Wahrheit gehört, wußten wir schon lange vor Beginn des Prozesses, auch daß es an der Zeit ist, gegen rechts sorgfältiger zu ermitteln. Wir halten es auch nicht für ausgeschlossen, daß V-Mann Sch. für Geld gegen Rechts tätig war und aus Überzeugung für die Rechten. Für die große Verschwörung gegen die Angeklagten gibt es nun aber keine Anhaltspunkte.

Als wesentliches und einziges Indiz, daß „in den Panzerschränken des Verfassungsschutzes“ weiteres Material liegt, wird der Widerspruch präsentiert, daß der V-Mann bereits am Tag nach dem Anschlag einen Hinweis auf R. erhalten hat, dieser Hinweis über den Verfassungschutz aber nie bei der Polizei ankam (er allerdings auch erst zu einem Zeitpunkt hätte ankommen können, als R. bereits festgenommen war). Ob V-Mann Sch. den Hinweis entgegen seiner Behauptung im Prozeß nicht weitergab, oder der Hinweis vom VS unterdrückt wurde, ist offen. Warum aber hätte der Verfassungsschutz durch Zurückhalten des Namens Rs gegenüber den Ermittlungsbehörden – so die Spekulation des Filmes – den V-Mann decken können, während die Weitergabe des Namens G., der im Gegensatz zu R. in der Kampfschule des V-Mannes trainierte, ungefährlich gewesen sein soll? Vielleicht hat V-Mann Sch. einfach den Namen R. nicht weitergegeben, weil er den Lebensgefährten der Mutter von R. kannte und diesen deshalb decken wollte.

Wir halten fest, daß die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen im Gerichtssaal stattfindet und nicht vor den Kameras des WDR, daß diese Personen auch nur im Gericht unter der Wahrheitspflicht stehen, daß auch ein umstrittener Sachverständiger gut daran tut, zumindest vor Abschluß seiner Vernehmung keine Erklärungen vor Kameras abzugeben.

Der Brandanschlag auf das Haus Unter Werner Str. 81 in Solingen stellt eines der schwersten rassistischen Gewalttaten nach dem 2. Weltkrieg dar. Der Umgang der deutschen Öffentlichkeit und der deutschen Justiz mit diesem Verbrechen, bei dem 3 kleine Mädchen und 2 junge Frauen ums Leben kamen, beeinflußt das Zusammenleben unterschiedlicher Bevölkerungteile in der BRD. Wäre da nicht größte Sensibilität geboten? Wie wird diese Art des Journalismus eigentlich ein Urteil des 6. Strafsenates des OLG Düsseldorf kommentieren, das die 4 Angeklagten verurteilt? Wird damit nicht schon jetzt eine Legendenbildung betrieben, in der rassistische Gewalttäter zu Märtyrern gemacht werden. Wir jedenfalls sind auf Grund unserer juristischen Erfahrung weiterhin davon überzeugt, daß die 4 Angeklagten den Brandanschlag gemeinsam verübt haben.

Rechtsanwalt Schön  Rechtsanwalt Reinecke