Die Pressekonferenz der Nebenklagevertreter fand unter grosser Aufmerksamkeit statt

Für unser Büro nahm RA Schön teil. Schon jetzt am Sonntag abend berichtete die Tagesschau, Gisela Friedrichsen in Spiegel online, in der Süddeutschen und auf Stern online  einen Videobericht.

Anschliessend wurde die folgende Presseerklärung veröffentlicht:

Presseerklärung von Nebenklagevertreterinnen und Nebenklagevertretern zum Prozessauftakt in dem Verfahren gegen Beate Zschäpe, Ralf W. und drei weitere Angeklagte.

 

Nebenklägerinnen und Nebenkläger erwarten maximale Aufklärung

 

Wenn am 6. Mai 2013 vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Beate Zschäpe u.a. beginnt, werden zahlreiche Familienangehörige der durch den „NSU“ Getöteten und zahlreiche durch Anschläge des „NSU“ Verletzte an dem Prozess teilnehmen.

 

Durch die Taten des „NSU“ haben sich ihre Leben einschneidend verändert. Sie leiden bis heute unter den Folgen.

 

Belastend war nicht nur, dass sie und ihre Angehörigen Opfer schwerster Straftaten geworden sind, sondern sie waren auch jahrelang selbst entwürdigenden, rassistischen und dilettantischen Ermittlungen ausgesetzt, die sie sowohl in ihrem privaten Umfeld als auch öffentlich diskreditiert haben. Im Rahmen der Ermittlungen stellten die Mordkommissionen vor Ort, aber auch die so genannte „BAO Bosporus“ sowie verschiedene involvierte Nachrichtendienste die Opfer und ihre Familien unter Generalverdacht. Die Ermittlungsbehörden handelten insoweit innerhalb einer routinierten Verdachtsstruktur gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund.

 

Die Möglichkeit, auf die Zeugen, Indizien und Profilerberichte hingewiesen haben, dass es sich um eine rassistische, rechtsterroristische Anschlagsserie handelte, wurde von den Ermittlern ausgeblendet.

 

Die Familien der Getöteten und die Verletzten treibt die Frage um, ob ein Großteil oder gar alle Taten hätten verhindert werden können, wenn die Ermittler und Nachrichtendienste bereits von Beginn der Aktivitäten des „NSU“ angemessen gehandelt, die bekannte Gefahr rechtsextremer Gruppierungen ernst genommen und entsprechend verfolgt hätten.

 

Minimale Anklage

 

Wir widersprechen den Medien und dem Generalbundesanwalt, die in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht München von der „maximalen Anklage“ sprechen. Es mag sein, dass die Anklage insgesamt, insbesondere aber gegen Beate Zschäpe, vermutlich nicht nur alle begangenen Taten einbezieht, sondern auch bei ihrer juristischen Würdigung den möglichen Rahmen ausschöpft. Das überrascht nicht, hat sich doch der „NSU“ in seinem verschickten Video im Wesentlichen selbst zu den Taten bekannt. Die Vorstellung, der „NSU“ hätte aus nur drei besonders gefährlichen Rechtsextremisten bestanden, ist jedoch schwer nachzuvollziehen. Bundeskriminalamt und Generalbundesanwaltschaft ermitteln gegen eine Vielzahl weiterer Personen, die dem Unterstützernetzwerk zugerechnet werden. Es gibt Hinweise darauf, dass der „NSU“ an den Tatorten lokale Helfer gehabt hat. Des Weiteren liegt es nahe, dass der „NSU“ auch durch V-Leute, verdeckte Ermittler und andere Mitarbeiter der Nachrichtendienste – direkt oder indirekt – unterstützt worden ist. Und schließlich ist nicht auszuschließen, dass weitere Anschläge, die bisher nicht Gegenstand der Anklage sind, durch den „NSU“ begangen worden sind.

 

Maximale Aufklärung

 

Die Nebenkläger und Nebenklägerinnen werden im Gerichtssaal einem Teil der Personen, die in der Anklage für die Anschläge verantwortlich gemacht werden, persönlich begegnen. Die Erwartungen, die an das kommende Strafverfahren gestellt werden, sind groß. Mindestaufgabe wird es sein, die Tatbeiträge der fünf Angeklagten in einem öffentlichen Verfahren aufzuklären.

 

Zu den Mindeststandards gehört es insofern, dass neben der interessierten Öffentlichkeit auch internationale Presse und internationale Prozessbeobachtung Zugang zum Verfahren haben sollten und hierzu die räumlichen Möglichkeiten geschaffen werden müssen. Auch das nunmehr nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht angestrengte Losverfahren löst das Problem des für den Prozess eindeutig zu kleinen Verhandlungssaales nicht. Kurzfristig wird sich das leider nicht mehr ändern lassen – eine weitere Verschiebung des Prozesses würde im Übrigen die Belastungsgrenze der Nebenklägerinnen und Nebenkläger endgültig überschreiten.

 

Widersprechen müssen wir auch teilweise geäußerten Ansichten in Medien und Politik, dass eine Aufklärung des Versagens der Ermittlungsbehörden und weiterer möglicher Unterstützungshandlungen des Netzwerkes um den NSU nicht Aufgabe des Gerichts wären. Auch wenn verständlich erscheint, dass das Oberlandesgericht München den Prozessstoff handhabbar gestalten muss, so kann es die Rolle der Angeklagten nicht beleuchten, ohne zu ermitteln, wer, was, von wem, wann wusste und durch welche Mittel der „NSU“ zumindest mitfinanziert worden ist.

 

Aus Sicht der Nebenklage wird es insofern auch um folgende Fragen gehen: Wie konnte der „NSU“ als Terrorgruppe entstehen? Warum konnte dies nicht verhindert werden? Warum erfolgten schon 1998 nicht die notwendigen Festnahmen oder zumindest umfassende Fahndungsmaßnahmen? Wer hat den „NSU“ unterstützt? Gab es an den einzelnen Tatorten lokale Helfershelfer und Unterstützernetzwerke? Warum ist die Auswahl gerade auf die Tatorte und die Opfer gefallen, die getötet und verletzt worden sind? Was ist der Anteil der Ermittlungsbehörden und Nachrichtendienste an der Entstehung und am weiteren Bestand des „NSU“ gewesen? Gab es Zahlungen an V-Männer, die wiederum zur Finanzierung des „NSU“ genutzt worden sind? Gab es andere direkte Unterstützungshandlungen durch V-Männer?

 

Wir erhoffen uns am Ende des Verfahrens nicht nur eine Verurteilung der Angeklagten, sondern auch eine klare Benennung von Mitverantwortlichen und letztlich eine gesellschaftliche Diskussion, die das Grundproblem von rechter Gewalt und strukturellem Rassismus in Deutschland ernst nimmt und notwendige Veränderungen anstößt.

 

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte

 

Angelika Lex, Sebastian Scharmer, Reinhard Schön, Peer Stolle, Carsten Ilius, Stephan Lucas, Jens Rabe