Religion ist Privatsache

Der folgende Artikel stammt aus dem Oktober 2007 und wurde für die NRhZ geschrieben. Unabhängig von dem unmittelbaren Anlaß – Veschärfung des Gotteslästerungsparagrafen 166 StGB und der Forderung nach Aufhängen von mehr Kruzifixen – ergibt sich daraus die Forderung nach weltanschaulicher Neutralitätes des Staates, die auch heute noch aktuell ist.
Eberhard Reinecke, Oktober 2017.


Am 10.9.2007 erschienen in der Süddeutschen Zeitung zwei kleine Meldungen: CDU-Generalsekretär Pofalla fordert die Anbringung von Kruzifixen in allen Schulen, die bayrische Staatsregierung will eine Verschärfung des Gotteslästerungsparagrafen. Anlass war der gescheiterte Versuch des erzbischhöflichen Ordinariats in München, die Ausstrahlung der Serie „Poptown“ bei MTV zu verhindern.

§ 166 StGB – Gotteslästerung

Strafbar ist nach § 166 StGB die Beschimpfung des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses, wenn dadurch der öffentliche Frieden gestört werden kann. Das letzte Merkmal soll nun – nach Willen der CSU – wegfallen, d.h. der Spott selbst soll bereits zur Strafbarkeit reichen.

Wenn ich Menschen verspotte, die glauben, die Erde sei eine Scheibe, mögen die Witze etwas platt und abgeschmackt sein, strafbar nicht. Wenn ich behaupte, eine Kalkformation zwischen Indien und Sri Lanka sei natürlichen Ursprungs, wird mir hier wohl niemand widersprechen. In Indien allerdings führt dies zu Aufständen (vgl. TAZ vom 25.9.07), da die Kalkformation vom Hindu-Gott Ram geschaffen wurde und Zweifel daran blasphemisch sind. Wieviele Hindus muss es in Deutschland geben, damit die Bekämpfung wissenschaftlichen Unsinns als Blasphemie bekämpft wird? Schliesslich sind Jungfrauengeburt und Auferstehung naturwissenschaftlich genauso ein Unsinn, wie die Schaffung einer Kalkformation durch den Gott Ram. Dass nach wahabitischer Auslegung des Islam die Ganzkörperverhüllung der Frau göttlicher Wille ist, müsste zur Strafverfolgung des Kampfes gegen diese Ganzkörperverhüllung führen. Auch die Mohammed-Karikaturen unterlägen damit der Strafverfolgung.

Geht man ernsthaft von einer Gleichberechtigung aller religiösen Bekenntnisse aus, so gibt es natürlich kein Richtig oder Falsch, keinen Unterschied zwischen grossen oder kleinen Religionsgemeinschaften. § 166 StGB würde, geht es nach der CSU, damit Religionsgemeinschaften erlauben, selbst den Inhalt der Strafgesetze zu definieren. Was die jeweiligen Glaubensgemeinschaften zum Dogma erklären, würde dann der scharfen, insbesonderen spöttischen und satirischen Auseinandersetzung entzogen (so gab es in den achtziger Jahren ein Strafverfahren gegen die Drei Tornados wegen eines Sketches über Maria und Josef, Anfang der 90er wurde der „Tünnes“ des Stunksitzung verfolgt).

Da ist es sicherlich nicht tröstlich, dass bisher noch keine Verfahren bekannt geworden sind, in denen Gegner des Islam oder des Hinduglaubens verfolgt wurden. Statt sich hier für „Gleichberechtigung“ einzusetzen, sollte § 166 einfach gestrichen werden, als ein Schritt zu einer wirklichen Trennung von Staat und Kirche.

 Keine weitere Ausbreitung des Kruzifixes im öffentlichen Raum

Natürlich muss auch der Ausbreitung des Kruzifixes in den öffentlichen Raum des Staats entgegengetreten werden. Kirchen sind als private Vereine zu behandeln. Als Atheist kann man nicht ernsthaft für den Bau einer Moschee oder einer Kirche sein. Als Demokrat muss man natürlich für das Recht der Religionsgemeinschaften eintreten, Gebäude zu errichten; andere Vereine können auch Vereinslokale bauen.

Maßstab für die Bebauung ist das Baurecht, und verglichen werden muss die Höhe der Minarette nicht mit den Dom, sondern mit dem in der Nähe befindlichen Fernsehturm und dem „Herkuleshaus“. Betrachtet man Kirchen als private Vereine, so steht es ihnen natürlich frei, in ihren Reihen zu definieren, was man glauben muss, um Mitglied zu sein oder zu bleiben. Natürlich muss in der neuen Moschee nicht aus den „Satanischen Versen“ gelesen werden, wie es nun als „Toleranznachweis“ geforderet wird, genausowenig wie im Dom Karlheinz Deschner aus seiner Reihe „Mit Gott und den Faschisten“ lesen muss. Ob in der Moschee Deutsch, Arabisch oder Türkisch gesprochen wird, ist genauso Privatsache wie die Frage, ob im Dom lateinisch oder deutsch gepredigt wird.

Die Integrationsfähigkeit von Muslimen oder Katholiken bemisst sich nicht danach, was sie in ihren Gotteshäusern reden und denken, sondern ob sie meinen, ihre religiöse Ansichten zum Massstab vom Gesellschaft und im Staat zu machen. Solchen Versuchen (dazu gehören Kruzifixe im Klassenraum ebenso wie Morddrohungen) muss entgegengetreten werden. Wer da meint, Religion sei für ein friedliches und sittliches Zusammenleben erforderlich, dem sei der Essay „Gott schadet“ von Robert Misik zum Lesen empfohlen.

Wie sagte Tucholsky 1929 anlässlich des Gotteslästerungsprozesses gegen Grosz: „die Kirche hat nach ihren völlig negativen Leistungen im Krieg keine Recht:

  •  sich mit Glockengeläute und Gesetzgebung eine Beachtung zu verschaffen, die ihr nicht zukommt;
  • unseren Kindern ihre Lehren auszuzwingen;
  •  sich in allen Bildungsfragen aufzudrängen und in alle Kinderhorte einzudrängen, denn sie repräsentiert nicht das einzig mögliche Weltbild, sondern nur eines, und das auch noch sehr unvollkommen.
  • Sie versuche zu überzeugen – sie siege im Zeichen des Kreuzes, nicht im Zeichen des Landgerichtsdirektors“.

Eberhard Reinecke