Vertagung des Prozess um eine Woche – Wer trägt die Verantwortung?

Der Prozessverlauf des ersten Tages im NSU-Verfahren ist hinreichend dokumentiert, etwa von Lena Kampf in Stern.de (sehr einfühlsam aus Sicht von Opfern) oder auch von Gisela Friedrichsen in Spiegel Online. (Wir sehen unsere Aufgabe auch ohnehin nicht in einer protokollartigen Berichterstattung, wir wollen einzelne Gesichtspunkte behandeln).

Natürlich waren die Befangenheitsanträge nicht wirklich überraschend, wir hatten sie bereits im Eröffnungsbeitrag dieses Blogs prognostiziert, auch die erwartbaren Befangenheitsgründe. Die Vertagung des Prozesses hat heftige Reaktionen ausgelöst, insbesondere auch gegenüber dem Gericht (vgl. z. B. die Presseerklärung von Nebenklagevertretern)

Ob tatsächlich die Entscheidung der Befangenheitsanträge am 07.05.2013 möglich gewesen wäre, steht aus unserer Sicht allerdings nicht fest. Immerhin hatten die Verteidiger die Zuleitung diverser Stellungnahmen und der dienstlichen Erklärungen der Richter verlangt und „ausreichende“ Zeit zur erneuten Stellungnahme dazu. Wäre ihnen eine Zeit gewährt worden, die aus ihrer Sicht „nicht ausreichend“ gewesen wäre, so hätte der nächste Befangenheitsantrag wegen angeblicher Verletzung des rechtlichen Gehörs erfolgen können.  So bitter die Vertagung für die Opfer ist, ob ihnen damit gedient wäre, am 08.05.2013 noch einmal dasselbe Spektakel zu erleben wie am 06.05.2013, kann man auch bezweifeln.

Die entscheidende Verantwortung für die Verzögerung darf dabei nicht untergehen: Die Befangenheitsanträge hätten völlig unverändert zu dem ursprünglich geplanten Beginn des Verfahrens am 17.04.2013 gestellt werden können (Zu dem sie sicherlich schon vorbereitet waren). Sie enthielten nichts, was nach diesem Zeitpunkt geschehen ist. Die Anträge hätten dann in aller Ruhe vor Prozessbeginn erledigt werden können. Besonders geheuchelt war aber das Erstaunen der Verteidigung darüber, dass die gezielt erst am Abend des 4.5. (Samstag) bei Gericht eingegangenen Anträge am Montag früh noch nicht entschieden waren. Nimmt die Verteidigung Ihre eigenen Anträge nicht ernst? Zwar hätte das Gericht eventuell die Anträge auch ohne Anhörung weiterer Beteiligter ablehnen können (weil deren Rechten dann nicht verletzt sein können) ein Erfolg hätten die Anträge aber erst nach Anhörung aller übrigen Beteiligten haben können (Bundesanwaltschaft, Nebenkläger), denen die Anträge bis zum Beginn der Hauptverhandlung nicht einmal vorlagen.

Es muss auch festgehalten werden, dass es nur Krokodilstränen sind, wenn die Verteidigung in öffentlichen Stellungnahmen sich „entsetzt“ über die Vertagung zeigt. Dabei wird unterschlagen, dass Rechtsanwalt Heer bereits einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens und Neubeginn in einem anderen Sitzungssaal angekündigt hat. Verteidigerin Sturm setzte heute in Spiegel Online gleich noch nach:

„Ihre Mandantin habe ein großes Interesse daran, dass die Verhandlung voranschreite. ‚Sie möchte auch endlich, dass bestimmte Sachen klargestellt werden.‘ Doch auch die kommenden Prozesstage würden sich wegen weiterer Anträge zäh gestalten, sagte Sturm.Die Frage, ob Zschäpe zu den Vorwürfen schweigen wird, beantworteten sie mit ja.“ 

(Das wäre im übrigen mal eine interessante Masterarbeit in Kommunikationswissenschaft: „Klarstellung durch Schweigen“).  Ganz bewusst werden – rücksichtslos gegenüber den Opfern – vorbereitete Anträge nicht vorher eingereicht. Wenn die Verteidiger an einer zügigen Klärung aller Fragen interessiert sind, und wenn sie nur einen Funken Empathie mit den Opfern hätten, dann würden sie die bereits angekündigten Anträge schriftlich vorab einreichen, damit auch darüber zügig am nächsten Hauptverhandlungstermin entschieden werden kann.

Sicherlich wird die Vertagung die Zahl der anwesenden Nebenkläger verringern. Vielleicht aber wäre es wichtiger, dass die Nebenkläger – soweit sie sich dazu psychisch in der Lage sehen und dies wollen – mindestens gerade an den Tagen anwesend sind, der „ihren“  Komplex betrifft. Es wird unter den Nebenklagevertretern sicherlich Einverständnis darüber zu erzielen sein, dass die Opfer bzw. ihre Angehörigen mit ihren Anwälten jeweils in der ersten Reihe sitzen können (wenn sie dies wollen).