„Wir sind hier nicht vor dem Jüngsten Gericht!“

Die Bundesanwaltschaft verhindert erneut kritische Befragung von Nazizeugen

Presseerklärung von einigen VertreterInnen der Nebenklage im NSU-Prozess

Bei der gestrigen (19.3.2014) Befragung des offensichtlich lügenden Zeugen Carsten R., der für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach deren Untertauchen in Chemnitz eine Wohnung angemietet hat, torpedierte die Bundesanwaltschaft eine kritische Befragung des Zeugen.

Der Zeuge bejahte die Frage der Nebenklage, ob ihm der Grund, aus dem das Trio 1998 abgetaucht sei, „grenzenlos  egal“ gewesen sei. „Mir war es egal“, so der Zeuge weiter,“ ob sie Schokoriegel geklaut oder jemanden umgebracht haben“. Die sich daran anschließende Frage aus der Nebenklage, welche Gedanken er sich gemacht habe, als er 2011 erfuhr, dass die Drei möglicherweise tatsächlich Morde begangen hätten, griff die Bundesanwaltschaft prozessordnungswidrig in das Fragerecht der Nebenklage ein und unterbrach mit den Worten: „Wir sind hier nicht das Jüngste Gericht, es ist nicht Aufgabe des Zeugen, sich für Einstellungen, die er damals hatte, zu rechtfertigen, sondern Wahrnehmungen zu bekunden.“

Damit hielt die Bundesanwaltschaft den Zeugen von der Beantwortung der Frage ab. Sie hat damit zu erkennen gegeben, dass sie eine kritische Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen und dessen Motivation, hier falsche Angaben zu machen, verhindern will.  Eine weitere sinnvolle Befragung des Zeugen durch die Nebenklage wurde dadurch faktisch unterbunden.

Ein solches Verhalten der Bundesanwaltschaft konnte schon mehrmals bei der Befragung von Zeugen aus der rechten Szene durch die Nebenklage beobachtet werden.  Bei den unterzeichnenden Nebenklagevertretern drängt sich der Eindruck auf, dass die Bundesanwaltschaft einer Aufklärung der Strukturen, die zur Entstehung und Fortbestand des NSU geführt und bei der Begehung der dem NSU zugerechneten Taten Unterstützung geleistet haben, aktiv entgegentritt. Nach der Befragung einer Vielzahl von Zeugen aus der Nazi-Szene wird deutlich, dass es sich bei diesen Zeugen offensichtlich herumgesprochen hat, dass sie beim Lügen oder Vortäuschen von Erinnerungslücken nicht nur mit keinerlei Sanktionen rechnen müssen, sondern ihnen dabei im Zweifel die Bundesanwaltschaft  zur Seite springt.

München, den 20. März 2014
Vertreterinnen und Vertreter aus der Nebenklage:
Alkan, Rechtsanwalt, Basay, Rechtsanwältin, v.d. Behrens, Rechtsanwältin, Bogazkaya, Rechtsanwalt, Clemm, Rechtsanwältin, Daimagüler, Rechtsanwalt, Dr. Elberling, Rechtsanwalt, Hoffmann, Rechtsanwalt, Ilius, Rechtsanwalt, Kaniuka, Rechtsanwältin, Kara, Rechtsanwalt, Kienzle, Rechtsanwalt, Kolloge, Rechtsanwalt, Kuhn, Rechtsanwalt, Lex, Rechtsanwältin, Lunnebach, Rechtsanwältin, Narin, Rechtsanwalt, Parlayan, Rechtsanwalt, Pinar, Rechtsanwältin, Reinecke, Rechtsanwalt, Scharmer, Rechtsanwalt, Sariyar, Rechtsanwalt, Sfatkidis, Rechtsanwalt, Sidiropoulos, Rechtsanwalt, Stolle, Rechtsanwalt, Top, Rechtsanwalt, Ünlücay, Rechtsanwalt Wierig, Rechtsanwältin.

Zur ergänzenden Erläuterung: Der Zeuge, der angeblich nur „am Rande“ der rechten Szene tätig war, bezeicnete das Trio als seine „Kameraden“, ohne allerdings erklären zu können, worauf diese Kameradschaft beruhte. Er behauptete allen Ernstes, die Wohnung mit allen wirtschaftlichen Risiken (falls er das Geld nicht erstattet bekam) angemietet zu haben, aber nicht einmal gefragt zu haben, warum das Trio untergetaucht war, obwohl damals in der Szene allgemein bekannt war, dass die drei Bombenattrappen ausgelegt und ein Bombenwerkstatt betrieben hatten.

Eberhard Reinecke