„Wir verteidigen die Person – nicht die Taten“ – aber ein bisschen auch deren Anschauungen

    Wenn Rechtsanwalt Stahl twittert

Ich habe mich in diesem Blog schon manchmal seit Beginn des NSU-Verfahrens geirrt, vor allem wenn es um die Abschätzung des Ende des Verfahrens ging. Manchmal will man aber gar nicht recht behalten, doch die Annäherung des Verteidigers Stahl an die Auffassungen seiner Mandantin bestätigt unsere Befürchtungen vom Anfang des Verfahrens.

Rechtsanwalt Stahl – Verteidiger der Angeklagten Zschäpe – scheint sich für eine gewichtige Stimme im Chor der Meinungen zu halten, so dass er („Der Anzug sitzt, die Krawatte passt perfekt zum Hemd. Die schwarzen Haare glänzen gegelt, eine Rolex am Arm signalisiert Erfolgsstreben“) sich veranlasst fühlte während der Sendung von Anne Will zum Antisemitismus in Deutschland zu twittern (nach der Twittermeldung von Katharina König-Preuss erfolgte der Tweed um 22:18, also ca. eine halbe Stunde nach Beginn der Sendung) :

stahltwitterWie sagt der Volksmund so schön: „Wovon das Herz voll ist, davon quillt der Mund über“ und manchmal ist beim Überquellen des Mundes auch nicht nur das Herz voll, was dann wiederum die „Veritas“ (Wahrheit über die eigenen Ansichten) beflügelt. Im August 2013 hatte ich in einem Artikel geschrieben:

„Und was meint Frau Sturm mit „Menschen zu verteidigen und nicht Taten“. ….

Natürlich geht es der Verteidigung gerade darum, die Verantwortung von Frau Zschäpe für die einmalig brutalen Taten in Abrede zu stellen. Nicht einmal die ansonsten so beliebte „moralische Mitverantwortung“ (ohne juristisches Schuldeingeständnis) wurde von Frau Zschäpe indes übernommen…….

Geht es aber um eine jahrelange Verteidigung, so ist völlig unausweichlich, dass sich so etwas wie ein „Stockholm-Syndrom“ einstellt. Man kann als Verteidiger/in nicht jeden Abend nach Hause kommen, in den Spiegel gucken und sich sagen, was man heute wieder für ein Miststück vertreten hat. Das kann selbst der grösste Zyniker nicht durchstehen. Man wird hier notwendigerweise nach Wegen suchen, seine eigene Tätigkeit – jenseits abstrakter Verteidigung der Rechtsordnung – für sich selbst zu rechtfertigen. Man muss hier ein Mitgefühl für Mandanten entwickeln und das heißt im konkreten Fall auch, man muss die Abscheulichkeit, Brutalität und Einmaligkeit der Taten relativieren. Man kann eine solche Verteidigung nicht führen, ohne objektiv zur Verharmlosung des rechtsradikalen Terrors beizutragen. Wer sich dessen nicht vor Mandatsübernahme bewusst ist, der kann sich dann hinterher vielleicht über die ablehnende Reaktion der Umgebung wundern.“

Vielleicht überschätze ich aber auch den Einfluss des Prozesses auf die Anschauungen des Herrn Stahl. Vielleicht war das immer schon seine Meinung, er hat sie nur endlich mal ausgesprochen und dann auch noch mit dem Hashtag „gehörtnichtzudeutschland“ versehen, damit die politische Richtung auch für jeden klar ist. Für Mundlos und Böhnhardt gehörten ihre Opfer auch nicht zu Deutschland.

Erfreuliches aus der NJW

Doch es gibt heute auch etwas Erfreuliches: Im Editorial der angesehenen NJW wendet sich Rechtsanwalt Dr. Ewer – Mitherausgeber der NJW – gegen die unsägliche Erklärung von Tellkamp, Lengsfeld, Sarrazin u.a. und schreibt dabei u.a. (so als hätte er an jemanden wie Herrn Stahl gedacht):

„Mich macht sehr betroffen, dass sich unter den Unterzeichnern des Aufrufs auch eine Reihe von Juristen befindet, die nicht nur die rechtliche Haltlosigkeit der „Erklärung 2018“ erfassen, sondern vor allem auch erkennen müssen, dass deren Konsequenzen mit dem Menschenbild unseres Grundgesetzes – allen voran dem Postulat der Unantastbarkeit der Menschenwürde – schlechthin unvereinbar sind. Vor rund 90 Jahren hat die Mehrheit der deutschen Juristen schon einmal versagt, als es galt, dem Aufkommen menschenverachtender nationalistischer Strömungen entgegenzutreten. Als Juristen, die Recht und Gesetz verpflichtet sind, trifft uns gegenwärtig eine besondere Verantwortung. Wir sollten uns nicht vor ihr wegducken, sondern sie offensiv und unüberhörbar wahrnehmen.“

Wer übrigens gegen Lengsfeld, Tellkamp, Sarrazin u.a. Stellung beziehen will, kann hier eine Resolution unterzeichnen.

Eberhard Reinecke, 23.4.2018