Zschäpes Brief – Viele Fragen, einige Antworten

Zschäpes Brief, in der Süddeutschen bereits kommentiert, bevor wir ihn über das Gericht hatten, dann in Andeutungen durch die Medien getrieben bis hin zur FAZ. Ich fand ihn ziemlich mühsam zu lesen. Doch nun die Fragen:

Wird das Gericht den Brief verlesen? Zumindestens wenn es von einem Prozessbeteiligten beantragt wird. Der Brief ist ein präsentes Beweismittel, eine Verlesung könnte nur abgelehnt werden, wenn zwischen dem Brief und „dem Gegenstand der Urteilsfindung kein Zusammenhang“ besteht (§ 245 StPO). Also wird da Gericht auf Antrag verlesen müssen.

Wann wird verlesen? Das bestimmt der Vorsitzende/das Gericht. Das könnte irgendwann auch erst in einem Jahr sein.

Darf Intimes verlesen werden? Wenn es für die Urteilsfindung wichtig wäre, ja; dann eventuell unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Heisst verlesen, dass alle im Saal es hören können? Nicht unbedingt. Zu den wahren juristischen Mysterien gehört das „Selbstleseverfahren“ Es wird ein mehr oder weniger dicker Packen Urkunden zusammengestellt,  an alle Beteiligten ausgehändigt und dann nach einigen Tagen festgestellt, dass die Urkunden als verlesen gelten. Schon aus Zeitgründen wird das Gericht davon sicherlich bei vielen Urkunden Gebrauch machen.

Darf die Presse den Brief veröffentlichen? Strafrechtlich verboten wäre es eher nicht. Zivilrechtlich allerdings unzulässig, da der Brief über weite Strecken die Privatsphäre – nicht wohl die Intimsphäre – betrifft.

Was ist, wenn der Brief mal in der Hauptverhandlung verlesen wurde? Das könnte einiges ändern. Hinsichtlich der Sexualpraktiken von Kachelmann hat der BGH entschieden, dass dessen Einlassung beim Haftrichter zunächst nicht veröffentlicht werden durfte, nach Verlesung der Einlassung in der Hauptverhandlung allerdings wohl.

Was ist, wenn der Brief aber nur im Selbstleseverfahren als verlesen gilt? Interessante Frage, die noch einer Grundsatzentscheidung harrt.

Ist es der Brief eigentlich wert, sich darum so viele Gedanken zu machen?

Doch eher nein. Das Interessanteste ist schon fast der Briefpartner aus der rechten Szene, der von einem „Szene-Anwalt“ vertreten wurde. Wir wissen nicht, ob dieser auch Herrn Klemke kennt, sie würden aber sicherlich gut zusammen passen. Die Person des Briefpartners spricht aber eher dagegen, dass dieser Brief von Zschäpe mit Ihrer Verteidigung abgesprochen war.

Man kann natürlich auch genau andersherum spekulieren: Da der Brief durch die Postkontrolle ging, musste eher von Anfang an mit einer Beschlagnahme und einem Mitlesen gerechnet werden. Die Verteidigung könnte so natürlich auch scheinbar authentische Äusserungen und Meinungen von Zschäpe in den Prozess einführen, ohne dass diese sich persönlich äussert. Zum Beispiel: Wir gehen davon aus, dass Zschäpe irgendwann im Verlaufe des Prozesses aussagen wird. Sie wird dann vor allem erzählen, was sie angeblich alles nicht gewusst und gemerkt hat. Dann wird sie natürlich die Frage beantworten müssen, warum sie nach dem Tod der beiden Uwes noch das Haus angezündet hat und die Paulchen-Panter Videos verschickt hat? Weil sie es den Uwes versprochen hat, und dann könnte noch der erste Satz aus dem Brief zitiert werden: „Um meiner Linie treu zu bleiben – d.h. Versprechungen strikt einzulösen – …“

Eberhard Reinecke