Die Selbstdemontage der Verteidigung Zschäpe

Der 219. Prozesstag begann mit dem Antrag der bisherigen Verteidigung Zschäpe auf Entpflichtung. Sie seien keine Sicherungsverteidiger und könnten der Angeklagten keine optimale Verteidigung zuteil werden lassen (wobei allerdings auch bisher schon nicht der Eindruck einer „optimalen Verteidigung“ bestand). Düster orakelte Rechtsanwalt Heer weiter:

„Ich habe Sie, Herr Vorsitzender, mehrfach davor gewarnt, dass solche Bedingungen eintreten werden und der ungestörte Fortgang des Verfahrens gefährdet sein wird. Diese Warnungen haben Sie in den Wind geschlagen.“

Allerdings weigerten sich die VerteidigerIn, Ihre Gründe für den angeblichen Vertrauensverlust konkret darzulegen. Sie versicherten „anwaltlich“, dass solche Gründe existieren. Der eher hastig formulierte Antrag (Rechtsanwältin Sturm und Rechtsanwalt Stahl schlossen sich dem Antrag handschriftlich an), schien zunächst fast eine Reaktion auf den nicht gerade schmei­chel­haften Artikel bei faz.net zu sein, der eine Stunde vor dem Antrag erschienen war.

Jeder fragte sich vor allem, warum dieselben Verteidiger vor vier Wochen dem Entpflichtungsantrag der Angeklagten Zschäpe vehement entgegengetreten waren. Eine Entpflichtung wäre damals einfacher gewesen, zumindest für Frau Sturm. Wir hatten dazu kürzlich geschrieben:

 „Selbstverständlich sollte aber eigentlich folgende Reaktion sein: Frau Sturm kann pauschal erklären, dass die Angaben von Frau Zschäpe unzutreffend sind. Im Interesse ihrer Selbstachtung müsste man allerdings erwarten, dass sie gleichzeitig dem Gericht ihre Entpflichtung anbietet, falls das Gericht damit einverstanden ist und z. B. ein anderer dritter Vertei­diger bereit ist, in das Verfahren einzutreten. Sich stattdessen in den Clinch mit der Mandantin zu begeben und Gefahr zu laufen, dass dieser von der Mandantin teilweise öffentlich ausgetragen wird, müssten an sich schon genügend Gründe sein, um aus dem Verfahren auszusteigen.“

Bis auf Frau Zschäpe sprachen sich alle anderen Beteiligten, die das Wort ergriffen, gegen die Entpflichtung aus (die zu einem Platzen des Prozesses geführt hätte). Von Seiten der Nebenklage wurde hervorgehoben, dass es endlich in der Sache vorangehen müsse und sich der Prozess nicht nur um die Befindlichkeit von Frau Zschäpe und Ihren Verteidigern drehen kann. Der Rest des Tages quälte sich dann bis 15:30 hin, als der Antrag auf Entpflichtung abgelehnt wurde.

Der Eiertanz um die Heer’schen Warnungen

Zwischendrin gab es eine Diskussion um die orakelhaften Andeutungen im Antrag Heer. Ca. fünfmal forderte der Vorsitzende RA Heer auf zu erklären, was er unter den „Warnungen“ verstanden habe. RA Heer teilte lediglich mit, der Vorsitzende habe ein gutes Gedächnis und wisse, worum es gehe (dass auch die anderen Beteiligten dies wissen müssen, schien RA Heer nicht zu interessieren). Also gewährte der Vorsitzende Götzl daraufhin rechtliches Gehör. Er verlas aus seinen Notizen über Gespräche mit den VerteidigerIn. Danach hatten die Verteidiger vor allem Front gemacht gegen die Bestellung eines vierten Pflichtverteidigers, weil dies „nicht zur Beruhigung im Verhältnis zur Mandantin führen würde“ und weiter: „Zu Dritt hätten sie der Mandantin noch Grenzen aufgezeigt. Mit einem weiteren Verteidiger werde dies möglicherweise nicht mehr gehen.“ Mit einem Wort: vor der Bestellung des vierten Pfichtverteidigers boten sich die drei zur Sicherung des Verfahren an, jetzt steht angeblich „meine Mitwirkung zur Sicherung des Strafverfahrens nicht im Vordergrund meiner anwaltlichen Berufsauffassung.“(Antrag Heer) Frau Sturm, die heute ihre Entpflichtung beantragt, hatte nach den Notizen des Vorsitzenden noch am 24.6.2015 erklärt, eine Entpflichtung werde sie auf Grund Ihrer Berufsauffassung nicht beantragen.

Nachtrag vom 21.7.2015: Am Rande der Hauptverhandlung war zu erfahren, dass es nun einen weiteren Entpflichtungsantrag von Zschäpe gegen RA Heer gibt. Sicherlich konsequent, wenn – wie gestern von Zschäpe behauptet – RA Heer die Gespräche mit dem Gericht geführt hat, ohne Zschäpe davon zu unterrichten.

Nachdem allerdings die VerteidigerIn durch die Notizen des Vorsitzenden bloss gestellt waren, versicherten sie plötzlich, der Antrag auf Entpflichtung habe nichts mit der Bestellung eines vierten Verteidigers zu tun. Welche „Warnungen“ Herr Heer aber meinte, wenn nicht die vom Vorsitzenden eingeführten, erfuhren die Beteiligten auch nicht, auch nicht welche schwerwiegenden Änderungen in den letzten vier Wochen (ausser der Bestellung eines vierten Pflichtverteidigers) es gegeben hat.

Der Tiefpunkt: Streit um Sitzordnung

Wer nun dachte mit dem Antrag der Verteidigung auf Entpflichtung ohne konkrete Gründe sei der Tiefpunkt erreicht, sah sich allerdings getäuscht: Auf Antrag von RA Grasel verlas der Vorsitzende ein Schreiben von Frau Zschäpe, in dem diese eine andere Sitzordnung forderte. RA Grasel solle direkt beim Gericht sitzen, anschließend die Angeklagte und dann die Altverteidiger in der Reihenfolge Heer, Stahl, Sturm. Frau Zschäpe behauptete, RA Heer sei nicht bereit, auf seinen angestammten Platz zu verzichten. Das wurde zwar in Abrede gestellt, aber auch nach der nächsten Pause war die Sitzordnung unverändert. Ginge es nicht um Mordtaten, so könnte man über solche Kindergartenstreitigkeiten fast noch lachen. Man darf auf den 220. Verhandlungstag gespannt sein. Werden die Altverteidiger „freiwillig“ die Sitzordnung ändern, oder muss wirklich der Vorsitzende sie entsprechend anweisen.
Nachtrag vom 21.7.2015: Zunächst begann der Tag mit der alten Sitzordnung. Als der Vorsitzende dann allerdings fragte, ob die Verteidigung sich nicht einigen könne oder ob er entscheiden müsse, räumten die AltverteidigerIn Ihre Plätze für Grasel und Zschäpe.

 Der „neue, unerfahrene“ Verteidiger

Dass Herr Grasel „unerfahren“ ist, wird immer hervorgehoben. Nur: Was hat die angebliche Erfahrung der Altverteidiger für Frau Zschäpe gebracht? Eine Strategie in der Verteidigung war nicht zu erkennen, in prozessualen Auseinandersetzungen mit dem Gericht blieb die Verteidigung immer zweiter Sieger. Und das Verfahren hat eine Besonderheit, mit der sicherlich auch die Altverteidiger keine Erfahrung haben. Die Beweislage ist nicht etwa mit der Anklageerhebung abgeschlossen. In „normalen“ Verfahren ist das Beweisergebnis am Ende des Verfahrens meist dünner als am Anfang. Im NSU-Verfahren ermittelt das BKA weiter und maches weitere Indiz ist – auch auf Anregung von Nebenklagevertretern – im Verfahren aufgetaucht.  Die Anklage steht heute also eher besser dar, als bei Beginn des Prozesses.

Traut man den Zitaten aus Verteidigerschreiben, die Frau Zschäpe veröffentlicht hat, dann sind die VerteidigerIn ihr ziemlich arrogant gegenübergetreten. Dass Herr Grasel Frau Zschäpe vielleicht ernst nimmt und sie nicht nur als lästiges Beiwerk einer Verteidigung in einem „Jahrhundertprozess“ betrachtet, mag ebenso zu der gelösteren Atmosphäre geführt haben, wie die Unterstützung von Frau Zschäpe bei den von ihr verfassten Briefen an das Gericht. Eine Verteidigung kann das aber nicht ersetzen. Das Problem für jeden VerteidigerIn, ob alt oder neu, jung oder alt, erfahren oder unerfahren, ist vor allem, dass die Anklagevorwürfe bestätigt wurden und werden. Gegen die Wahrheit zu verteidigen, ist immer schwer. Auch für RA Grasel gilt, dass er seine Aufgabe freiwillig gewählt hat. Mitleid mit ihm ist genausowenig am Platze wie Mitleid mit Frau Zschäpe. Der Zeitpunkt, zu dem eine Aussage Frau Zschäpe tatsächlich noch etwas gebracht hätte, ist längst vorbei. Eine Aussage hingegen, die den Angehörigen der Opfer erklärt, warum 10 Menschen sterben mussten und warum weitere Morde durch Bomben geplant waren, ist nicht zu erwarten. Frau Zschäpe ist auch weiter nur auf ihren Vorteil bedacht, die Opfer interessieren sie heute genausowenig wie vor 10 Jahren, und offenbar kann man auch „jung und unerfahren“ sein und trotzdem kein Problem mit einer solchen Haltung haben.

Eberhard Reinecke