Die Wahrheit ist konkret – die Lüge ist vorhersehbar und floskelhaft

Zschäpes Märchenstunde

Die Wahrheit ist konkret, hatten wir vorgestern geschrieben, d.h. es muss vor dem Hörer ein Bild entstehen, zum Beispiel über das Zusammenleben. Die Lüge hingegen zieht sich auf allgemeine Floskeln zurück und ist deshalb vorhersehbar. Am 16.4.2013, als der Prozessanfang verschoben worden war, hatte ich zum Auftritt von Frau Sturm bei Plasberg u.a. geschrieben:

„Beate Zschäpe will sich in der Hauptverhandlung nicht äußern. Na und? Wer glaubt denn ernsthaft, dass sie sich wahrheitsgemäß äußern würde und nicht nur rein verteidigungstaktisch. Wer würde denn Erklärungen hören wollen, in denen das monströseste Verbrechen seit dem 2. Weltkrieg erklärt wird. Wollen wir wirklich eine „wahrheitsgemäße“ Aussage hören, bei der Frau Zschäpe nach Art des Paulchen Panther Videos rechtfertigt, dass zum „Schutze des deutschen Volkes“ beliebig Personen aus anderen Ländern ermordet werden dürfen? Oder sollen wir uns ein Gesülze darüber anhören, wie sie fast unbeabsichtigt in diese Situation geraten ist, dann „nicht mehr rausgekommen ist“, aber eigentlich von allem nichts gewusst hat?“

Als es im Juni 2013 eine Hype um einen Brief von Zschäpe an den braunen Gesinnungsgenossen Robin S. gab, schrieb ich schon damals zu einer eventuellen Einlassung:

Man kann natürlich auch genau andersherum spekulieren: Da der Brief durch die Postkontrolle ging, musste eher von Anfang an mit einer Beschlagnahme und einem Mitlesen gerechnet werden. Die Verteidigung könnte so natürlich auch scheinbar authentische Äusserungen und Meinungen von Zschäpe in den Prozess einführen, ohne dass diese sich persönlich äussert. Zum Beispiel: Wir gehen davon aus, dass Zschäpe irgendwann im Verlaufe des Prozesses aussagen wird. Sie wird dann vor allem erzählen, was sie angeblich alles nicht gewusst und gemerkt hat. Dann wird sie natürlich die Frage beantworten müssen, warum sie nach dem Tod der beiden Uwes noch das Haus angezündet hat und die Paulchen-Panter Videos verschickt hat? Weil sie es den Uwes versprochen hat, und dann könnte noch der erste Satz aus dem Brief zitiert werden: „Um meiner Linie treu zu bleiben – d.h. Versprechungen strikt einzulösen – …“

Diese Durchsichtigkeit der zu erwartenden Einlassung zeigt nur, wie wenig sie mit dem wirklichen Leben und den wirklichen Taten zu tun hat.

Das floskelhafte „Entsetzen“ über die Morde

Versuchen wir doch einmal im Ansatz uns ein Bild von dem 11-jährigen Zusammenleben des Trios (nach dem ersten Mord) zu machen an Hand der angegblichen Reaktionen auf die Morde, von denen Zschäpe jeweils vorher angeblich nichts gewusst hat (alle Zitate aus der Erklärung, einen zusammenfassenden  Überblick über die gesamte Erklärung gibt es z.B. hier)
Nach dem ersten Überfall:

„Ich war entsetzt darüber, dass sie eine scharfe Waffe dabei und auch benutzt hatten, von der ich nichts gewusst hatte. Meine Vorwürfe, dass nur eine Schreckschusspistole besprochen worden sei, wurden lapidar abgetan.“

Nach dem ersten Mord (an Enver Simsek), von dem Zschäpe im Dezember 2000 erfahren haben will:

„Ich war geschockt. Ich konnte nicht fassen, was die beiden getan hatten. Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt. Ich wusste nicht, wie ich auf diese unfassbare Tat reagieren sollte.“

Nach der Probsteigasse:

„Angesprochen darauf, was sie mit dieser, aus meiner Sicht brutalen und willkürlichen Aktion erreichen wollten, erwiderten sie in abfälliger Weise, dass sie „Bock darauf gehabt hätten“. Es kam mir der Gedanke, wie gefühllos beide waren und es kamen mir erstmals Zweifel, wie ich beiden gefühlsmäßig gegenüber stand.“

Nachdem sie (angeblich) im Juli 2001 von den Morden am 13.06.  (Abdurrahim OZÜDOGRU) und 27.06.2001 (Süleyman TAsKÖPRÜ) gehört hatte:

„Ich war einfach nur sprachlos, fassungslos und war nicht in der Lage, auf ihre Ausführungen zu reagieren. Ich hatte nicht nach Details gefragt. Ich wollte es nicht hören, ich fühlte mich wie betäubt. Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass sie nach unserer Auseinandersetzung Mitte 2000 nochmal auf einen Menschen schießen würden.“

Nachdem sie angeblich im September 2011 von dem Mord am 29.08.2011 erfahren hatte (Habil KILIC):

„Meine Reaktion war wiederum Entsetzen. Es gab jedoch keine verbale, lautstarke Auseinandersetzung – wie Mitte Dezember 2000 -, sondern ein gegenseitiges Anschweigen. Diese Stimmung hielt einige Wochen an.“

 

Nach dem Mord vom 25.02.2004 (Yunus TURGUT):

„Ich erinnere mich, dass ich auf beide stundenlang eingeredet hatte, mit dem Töten aufzuhören.“

Nach dem Bombenanschlag in der Keupstraße:

„Ich war einfach nur entsetzt und konnte diese Aktion nicht nachvollziehen. Ich verstand ihr Handeln auch deshalb nicht, weil sie absolut sinnlos war.“

 

Als sie angeblich  im Oktober 2006 von vier Morden 09.06.2005 (lsmail YASAR), 15.06.2005 (Theodoros BOULGARIDES), 04.04.2006 (Mehmet KUBASIK) und 06.04.2006 (Halit YOZGAT) erfuhr:

„Sie brüsteten sich vielmehr damit, dass sie „vier weitere Ausländer umgelegt“ hätten. Meine Reaktionen sind nur schwer zu beschreiben: Fassungslosigkeit, Entsetzen, das Gefühl der Machtlosigkeit. Ich war unglaublich enttäuscht darüber, dass sie erneut gemordet hatten. Auch hatten sie mich erneut hintergangen, obwohl sie mir zuvor versprochen hatten, keinen Menschen mehr zu töten.“

Nach dem Mord an Kiesewetter:

„Ich war regelrecht ausgeflippt, hysterisch und ihnen gegenüber sogar handgreiflich geworden, wobei ich versucht hatte, sie zu schlagen.“

Und dann als Quintessenz:

„Heute, mit einigen Jahren Abstand, muss ich mir wohl eingestehen, dass ich mit zwei Menschen zusammengelebt habe, die einerseits im täglichen Leben zuvorkommend, tierlieb, hilfsbereit und liebevoll waren und andererseits mit unvorstellbarer Gefühlskälte Menschen getötet hatten.“

Kann man wirklich so über Jahre zusammenleben? Wie ist der Tagesablauf konkret abgelaufen, kann man sich zu jemanden hingezogen fühlen, der so etwas abscheuliches macht? Warum war der Tod der Uwes nicht die endlich erfolgte Befreiung aus dieser Zwangslage? Hat sie sich nie Gedanken darüber gemacht, was sie tut, wenn die beiden Uwes tot sind? Wenn man nur einmal versucht, sich das Zusammenleben konkret vorzustellen, wird klar, dass es so nicht gewesen sein kann.

Und stellen wir uns einen Menschen vor, der das so erlebt hat wie Frau Zschäpe behauptet, und diesem Menschen treten nun in der Hauptverhandlung – wie oft geschehen – die Verwandten der Opfer gegenüber, die ihre Qualen und die Auswirkungen der Tat bis heute schildern. Niemand konnte bei Zschäpe irgendeine Gefühlsregung sehen, obwohl – nach ihrer Erklärung – sie doch angeblich schon damals tiefstes Mitgefühl für die Opfer hatte und Abneigung gegen die sinnlosen Taten. Wer die jetzt behauptete Einstellung zu den Opfern hatte, hätte in der Hauptverhandlung bei den Auftritten der Opfer sich nicht so verhalten können, wie Frau Zschäpe es getan hat.

Versprochen – wird (nicht) gebrochen

Und wie verschieden die Menschen doch mit Versprechen umgehen. Immer wieder haben die beiden Uwes versprochen, nicht mehr so viel Böses zu tun und Menschen umzubringen. Immer wieder haben sie das Versprechen gebrochen. Doch Beate: „In Treue fest“ fühlt sie sich an das Versprechen von ihr gebunden und macht nach dem Tod alles was sie versprochen haben will: Haus anzünden und Videos (deren Inhalt sie natürlich nicht kennt und wonach sie sich auch vorher nicht erkundigt hat) verschicken. Hat sie sich nie aus Wut über das jeweils erneute Morden geschworen, nach dem Tod genau das nicht zu machen, was sie versprochen hat?.

Verlogen und ohne Rücksicht auf die Opfer

Mehrfach hat Frau Zschäpe erklärt, weshalb sie nicht aufgetaucht sei:

„Man würde mir nicht glauben, dass ich an der Planung und Durchführung nicht beteiligt gewesen war.“

Wohl wahr, obwohl: etwas glaubwürdiger wäre eine solche Einlassung sicherlich gewesen, wenn Zschäpe sich früher selbst gestellt hätte. Immerhin hat Zschäpe zugegeben, in Sachen „Puppentorso“ im Jahre 1997 vor Gericht gelogen zu haben. Doch wenn sie damals schon log, um Böhnhardt vor dem Knast zu bewahren, warum soll sie jetzt die Wahrheit sagen? (Dass und warum der Puppentorso einen Judenstern trug, hat sie nicht erklärt, auch nicht warum sie damals die Aktion für einen Erfolg gehalten hat.)
Hoch erfreulich ist, dass nahezu alle Prozessbeobachter die Einlassung von Zschäpe für unwahr halten (ein Überblick hier). Hervorragend der taz-Titel („Grausige Entdeckung: Noch ein NSU-Opfer“) und im Postillion die Heiligsprechung.

Die Übernahme einer „moralischen Verantwortung“ – weiß Frau Zschäpe, was Moral ist? – ist in Wirklichkeit eine Verhöhnung der Opfer, wenn eine Seite weiter erklärt wird, man werde Fragen von Nebenklägern nicht beantworten.

Eberhard Reinecke