spotteten wir, als 1976 die CDU/CSU mit dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ bzw. „Freiheit oder Sozialismus“ mit Kohl in den (später verlorenen) Bundestagswahlkampf zog. Der eigentliche Gegensatz wäre sicherlich „Kapitalismus oder Sozialismus“. Nun gibt es aber keinen Kapitalismus mit menschlichem Anlitz, so dass dieser Gegensatz nicht zum Wahlkampfthema gemacht wurde. All das fiel mir heute (12.1.2022) ein als ich die hirnlose AfD-Fraktion im Bundestag mit den Plakaten
„Freiheit statt Spaltung“
in der Tagesschau sah. Da kann man dann nur weise mit dem Kopf wiegen und auch noch das philosophische Schwergewicht „Abends ist es kälter als draußen“ rauslassen. Wenn man doch überhaupt eine kurzen Satz mit „Freiheit“ und „Spaltung“ bilden will, dann doch eher „Spaltung durch Freiheit“. Nur weil wir die Freiheit hatten, Beatles und Stones zu hören, konnte es die Spaltung zwischen Beatles- und Stonesanhänger geben. Noch größer ist heute die Spaltung zwischen den Anhängern von Bayern München und den Bayernhassern oder auch die zwischen Fleischessern und Vegetariern. Diese Spaltungen sind Ergebnisse der Freiheit.
Doch es geht auch ernster: Nur die kapitalistisch verstandene Freiheit des Kapitals führt zur entscheidenden Spaltung der Gesellschaft: Zwischen Armen und Reichen oder mit dem Kommunistischen Manifest:
Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, daß sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.
Das mag etwas übertrieben sein, doch die Spaltung zwischen arm und reich ist sicherlich für den Erhalt der Gesellschaft bedrohlicher als die zwischen Geimpften und Ungeimpften. Geredet wird darüber aber weniger und getan noch weniger.
Mir geht das Gejammer über die Impf- Spaltung der Gesellschaft auf den Keks
Die Schwurbler, Coronaleugner, auf ihre Abwehrkräfte vertrauenden oder auf Todimpfstoff wartenden bleiben eine kleine Minderheit. Warum muss man ihre Bedeutung durch das Stichwort „Spaltung der Gesellschaft“ überhöhen? Glaubt einer, die Diskussion würde so geführt, wenn die Impfgegnerschaft ein Problem von Hartz IV Empfängern wäre? Weil es Impfgegner auch (oder sogar vor allem) in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft gibt, wird plötzlich die Angst vor der Spaltung diskutiert. Man will sie nicht verlieren (vielleicht waren es ja wirklich gute Freunde). Immer wenn jemand erklärt: „Man muss die mit Geduld überzeugen“ kann ich nur sagen: Wer hindert dich daran, das zu tun? Ich habe aufgehört, darüber zu diskutieren. Wenn die Ungeimpften die Spaltung der Gesellschaft überwinden wollen, können sie sich impfen lassen. Sonst mag die Gesellschaft (auch an diesem Punkt) gespalten sein und bleiben. Schlimm ist das nicht. Nur das Gejammer über die Spaltung gibt der AfD doch die Vorlage zu ihrer Aktion.
Freiheit die sie meinen
Doch zurück zum Auftritt der AfD. Was ist denn eigentlich Freiheit ohne Spaltung? Am wenigsten offene politsche Spaltungen gibt es in Diktaturen, z.B. dort wo alle in einer Volksgemeinschaft leben, und Gemeinschaftsgegner eliminiert werden. Alle fühlen sich wohl und haben die Freiheit auf die Anweisungen des Führers zu hören. Das wäre dann die Freiheit ohne Spaltung, eine Sorte Freiheit, die nicht jedem(r) gefällt.
Eberhard Reinecke