Plädoyer: Das Aufklärungsversprechen der Bundesanwaltschaft

Vorbemerkungen von RA Reinecke zum weiteren Plädoyer
gehalten am 14.12.2017

Hohes Gericht, sehr geehrte Damen und Herren,

ich werde den größten Teil des vom Kollegen Schön und mir ausgearbeiteten Plädoyers halten. Nach einigenVorbemerkungen werde ich mich zunächst mit dem Aussageverhalten der Angeklagten Zschäpe auseinandersetzen, sodann mit ihrem Verhältnis zu Zeitungen und Medien. Ein dritter Teil befasst sich mit ihrem Verhältnis zur Familie Eminger, bevor ich vor Fragen der Strafzumessung noch zu den Tatbekennungen des NSU Stellung nehme. Mein Kollege Schön hat konkret zu den von uns vertretenen Mandanten und zu einigen weiteren Gesichtspunkten in der Einlassung der Angeklagten Stellung genommen.

Vorab will ich betonen, dass ich die Ausführungen der Vertreter der Bundesanwaltschaft dort teile, wo sie die Tatbeteiligungen der Angeklagten dargelegt haben. Die Kollegin Dierbach hat bereits den sehr zentralen Gegensatz zwischen der Einlassung der Angeklagten und ihrem Prozessverhalten dargestellt. Meine weiteren Ausführungen verstehen sich in vielem als Ergänzung zu den Ausführungen der Bundesanwaltschaft sie gehen auf viele Einzelheiten der Einlassung ein. Nun mag es die Altverteidigung Zschäpe – wie sie kürzlich gesagt hat – als unfair empfinden, dass nicht nur die Bundesanwaltschaft sondern auch Nebenklagevertreter über die Tat und Einlassung der Angeklagten nachdenken und dass dann vielleicht mehr herauskommt, als wenn sich die Verteidigung nur mit der Staatsanwaltschaft auseinandersetzen müsste. Dieser Begriff von Fairness hat aber wenig mit dem Strafverfahren und mehr mit dem Sandkasten zu tun in dem es heißt: „Zwei auf einen ist unfair“ Der Grundsatz des fairen Verfahrens bedeutet nicht, dass eine Angeklagte einen Anspruch darauf hätte, dass ein bestimmter Prozentsatz von belastenden Indizien nicht in das Verfahren eingeführt werden. Alle im Verfahren immer wieder gehörte Einwände zu Fragen, Anträgen und Erklärungen von Nebenklägern und ihren Vertretern scheitern doch an folgendem für Verteidiger vielleicht nicht ganz angenehmen Grundsatz: Es kann im Strafprozess kein Zuviel an Aufklärung geben, soweit dies mit sauberen Mitteln erfolgt. Dass die Tätigkeit der Nebenkläger einiges zur Verurteilung der Angeklagten beiträgt, ist also nicht unfair.

Einige Vorbemerkungen zur Bundesanwaltschaft wenn auch nicht zur Trio Theorie, da dazu von Kollegen genug gesagt worden ist, sondern zu Ermittlungsversprechen. Ich will einmal in die Zukunft sehen. Was erwarten die Opfer von der Bundesanwaltschaft. Vor allem dass sie ihre Ermittlungsversprechen wahr macht. Bundesanwalt Dr. Diemer hat ausgeführt:

„Die Ermittlung eines weiteren Unterstützerumfelds ist bei Bestehen entsprechender Anhaltspunkte Aufgabe weiterer Ermittlungen. Sie konnte nicht Aufgabe dieses Prozesses sein, denn der Gegenstand war durch die zur Anklage gebrachten Taten vorgegeben.“

Bis heute ist kein einziges Verfahren bekannt geworden ist, das die Bundesanwaltschaft so geführt hat, dass zumindest nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens gegen weitere Unterstützer mit einer Anklageerhebung zu rechnen ist. Die Kollegen Illius und Scharmer haben dazu bereits grundsätzlich Stellung genommen. Die Bundesanwaltschaft wird sich in Zukunft daran messen lassen müssen, welche weiteren Unterstützer sie anklagt. Nicht nur ich, sondern sicherlich alle Nebenkläger und ihre Vertreten wären froh, wenn die Bundesanwalt­schaft unsere Vermutung, dass keine weiteren Verfahren folgen werden, Lügen straft.

Die Bundesanwaltschaft hat auch darauf verwiesen, dass es eine Reihe von Unterstützern –gerade aus den ersten Jahren des Untertauchens – gibt, deren Taten verjährt wären. Nun mag es in der Tat sein, dass eine Reihe von Unterstützungshandlungen verjährt sind. Bisher nicht verjährt sind die Straftaten durch die Lügen, die uns hier von den entsprechenden Unterstützern über ihre Unterstützungshandlungen aufgetischt wurden. Allerdings verjähren diese regelmäßig nach fünf Jahren, so dass zumindest die Einleitung von Verfahren dringend erforderlich ist.

Ein Maßstab für den immer wieder behaupteten Willen der Bundesanwaltschaft tatsächlich das Umfeld des NSU strafrechtlich zu verfolgen wird daher auch die Frage sein, wie weit sie sich dafür engagiert, dass die Zeugen, die uns hier teilweise nach Strich und Faden belogen haben, einer strafrechtlichen Verurteilung zugeführt werden. Dabei will ich der Bundesanwaltschaft nicht vorwerfen, dass sie nicht jedes Mal bei einer Falschaussage eine wörtliche Protokollierung beantragt hat wie es an sich in Ziffer 136 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren vorgesehen ist; das hätte das Verfahren sicherlich nicht unerheblich verlängert. Allerdings heißt es in Zif. 136 auch: „Er (gemeint ist der Staatsanwalt bzw. die Staatsanwältin) sorgt für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens“. Erwarten kann man von der Bundesanwaltschaft daher, dass sie die jeweils zuständigen örtlichen Staatsanwaltschaften so mit Material versorgt hat oder noch versorgt, dass eine erfolgreiche Verfolgung der Aussagedelikte möglich wird. Das kann durchaus auch Nebeneffekte haben. Wenn die Unterstützer merken, dass es auch ihnen an den Kragen geht, könnte sich der eine oder andere vielleicht doch noch zu einer wahrheitsgemäßen Aussage durchringen.

Wenn Herr OStA Weingarten und Frau OStA Greger, die zur Beweiswürdigung Th. plädiert hat, ihre eigenen Plädoyers ernst nehmen und das unterstelle ich mal, dann müssen nach diesen Ausführungen Verfahren gegen die Zeugen Th. und L. selbstverständlich  auch schon eingeleitet sein.

Ich will an drei weiteren Beispielen deutlich machen, dass eine Strafverfolgung der Helfer wegen ihrer Falschaussagen in diesem Verfahren möglich und geboten ist: Da ist zum einen der bereits von der Kollegin v.d.Behrens erwähnte Zeuge Ralph H., der seinen Ausweis dem Trio zur Verfügung gestellt hat, das dann mit Hilfe dieses Ausweises eine Wohnung angemietet hat, in die das Trio dann eine Reihe von Waren –zum Beispiel ein Nachtsichtgerät- schicken ließ. Dann verschwand das Trio ohne Begleichung der Miete. Diese Unterstützungshandlung ist in der Tat verjährt. Der Zeuge H. hat aber hier –wie auch früher schon bei der Polizei- die absurde Behauptung aufgestellt, er habe seinen Ausweis verloren, oder er sei ihm gestohlen worden. Allerdings hat er gleichzeitig zugegeben, vom Zeugen St. nach dem Untertauchen des Trios im Januar 1998 gefragt worden zu sein, ob er das Trio unterbringen könne. Es ist nun völlig absurd zu glauben, dass ein solcher bewusster Unterstützer der rechten Szene seinen Ausweis verliert und dieser dann zufällig in die Hände des Trios gelangt also in die Hände von Personen, die ihn sogar kannten. Natürlich musste das Trio für die Anmietung einer Wohnung einen Ausweis einsetzen, der „zuverlässig“ war. Ein Unbekannter forscht intensiv nach seinem Ausweis, so dass es sicherlich ein erhebliches Risiko wäre, damit eine Wohnung anzumieten. Hier wäre wohl die tatsächliche Unterstützungshandlung des Zeugens nicht mehr verfolgbar, seine Unwahrheiten über die Unterstützungshandlungen im vorliegenden Verfahren allerdings schon.

Dasselbe gilt auch für den Zeugen Gunnar F., der im Jahre 2017 noch einmal wegen der Wohnung in der Heisenbergstraße vernommen wurde. Nun mag es tatsächlich sein, dass der Zeuge mit der Heisenbergstraße nichts zu tun hat. Auch der Helfer B., der spätere Wohnungsanmietungen eingeräumt hat, hat zur Heisenbergstraße eine Beteiligung an der Anmietung bestritten. Es kann durchaus sein, dass zu diesem Zeitpunkt noch Mundlos persönlich unter den Personalien des B. aufgetreten ist und Böhnhardt unter den Personalien des F. Gelogen ist allerdings die Behauptung des Herrn F., er habe bereits ein halbes Jahr nach der Übergabe seines Passes an Uwe Böhnhardt (also etwa Ende 1998) diesen zurück gefordert und erhalten, und er habe auch seit Ende 1998 keinerlei Kontakt zum Trio gehabt, insbesondere habe er dem Trio auch niemals persönliche Daten mitgeteilt. Dass die Rückgabe des Ausweises nach einem halben Jahr nicht zutrifft, ergibt sich bereits aus der Einlassung der Angeklagten Zschäpe, die noch für Ende 2000 (S. 18 Ihrer Einlassung vom 9.12.2015) Gedanken über einen Umzug nach Südafrika schildert. Im Übrigen ist es evident, dass Uwe Böhnhardt sich der Personalien des Herrn F. mindestens noch bis Mitte 2001 bedient hat. Der Systemcheck des Zeugen F., also die Aufzeichnung seiner persönlichen Daten aus dem Asservat 2 12 364, die wohl von Uwe Mundlos geschrieben wurden, macht einen engen Kontakt deutlich, wie auch die auf diesem Zettel sich befindende Anschrift eines Herrn D., den das Trio überhaupt nicht kannte, sondern der ausschließlich ein Freund des Zeugen Gunnar F. war und dessen Daten daher auch nur über diesen an das Trio gekommen sein konnten. Es erstaunt, dass zumindest nach unserer Aktenlage bisher der Wahrheitsgehalt sehr leicht überprüfbarer Angaben des Zeugen nicht ermittelt wurde. In dem Systemcheck, dem Asservat 2 12 364 ist davon die Rede, dass der Vater des Herrn Gunnar F. ein Jahr arbeitslos ist. Wann der Vater des Zeugen arbeitslos geworden ist, und wann dies also ein Jahr her war wird die Staatsanwaltschaft sicherlich schnell feststellen können, ebenso wie die Frage, wann dieser Zeuge tatsächlich in Passau gearbeitet hat, ob 1998, wie er erneut bei seiner letzten Vernehmung behauptet oder erst –was die Webseite seines Unternehmens naheliegt- im Jahre 2000/2001. So lässt sich also sehr leicht feststellen, wann dieser „Systemcheck“ frühestens durchgeführt werden konnte, und wie lange der Zeuge auch Kontakt zum Trio hatte. Damit könnte dem Zeugen auch sehr leicht eine Falschaussage nachgewiesen werden.

Bekannt ist, dass zumindest gegen den Zeugen Marcel D. ein Verfahren eingeleitet wurde. Hier geht auch die Bundesanwaltschaft zu Recht davon aus, das der Zeuge entgegen seiner Behauptung in diesem Verfahren V-Mann war. Da wäre sicherlich auch ein Strafverfahren fällig, die spätere Berufung des Zeugen auf § 55 StPO beseitigt die frühere Falschaussage nicht. Gerade an einem solchen Verfahren wird man feststellen ob auch weiter das LfV seine schützenden Hand über seinen früheren verdienten Kundschafter hält.

An diesem Beispiel will ich auch noch kurz etwas zur V-Mann Problematik sagen, auf die ich im weiteren Plädoyer nicht mehr zurückkommen werde. Der Zeuge D. belegt den grundsätzlichen Konflikt, in dem alle Spitzel aus der rechten Szene stehen. Alle V-Leute die wir hier gehört haben, waren Diener mindestens dreier Herren, ihres Portemonnaies, der rechten Szene und des Verfassungsschutzes, wobei es von V-Mann zu V–Mann und von Zeit zu Zeit unterschiedlich sein mag, welchem dieser Herren mehr gedient wird. Unabhängig von der Frage, ob bezogen auf eine einzelne Aussage die Angaben eines V-Mannes zutreffend sind, verbieten sich schon auf Grund dieser Interessenkollision irgendwelche grundsätzliche Bestätigungen der Glaubwürdigkeit,  wie wir sie z.B. von OStA Weingarten zu Tino Brandt gehört haben.

Aus meiner Sicht sind zwei Fragen besonders wichtig: Wusste ein V-Mann, wo B.Z. und die beiden Uwes untergetaucht waren und hat er das weitergegeben.

Ich glaube, die erste Frage kann man angesichts der V-Mann Dichte rund um das Trio, wie sie vom Kollegen Scharmer und der Kollegin v.d.Behrens geschildert wurden, bejahen. Ich ergänze dies lediglich mit Hinweis auf die Angaben des Zeugen R. Dieser mag dem Trio etwas näher gestanden haben, als er selber eingeräumt hat, er war aber ohne Zweifel nicht so eng am Trio dran, wie z. B. Tino Brandt. Der Zeuge Rothe hat aber berichtet, dass er Mundlos noch in Chemnitz getroffen hatte und sich auch später mit ihm wiederholt verabredet hatte und das Trio sogar noch in Zwickau in der Polenzstraße aufgesucht hat. Nun gibt es nichts, aus dem man schließen könnte, dass dieser Zeuge etwas Derartiges Besonderes ist, dass tatsächlich nur er die Wohnung des Trios kannte und diese aufgesucht hat. Schon das spricht dafür, dass die Wohnung des Trios sehr viel mehr Personen bekannt war, als uns hier im Verfahren mitgeteilt wurde. Dass es aber unter diesen Personen Keinen V-Mann gab bzw. keine dieser Personen Kontakt zu einem V-Mann hatten, ist eher unwahrscheinlich.

Die Frage, ob diese Kenntnisse an staatliche Behörden weiter gegeben wurden, muss bisher offen bleiben, u.a. auch deswegen, weil niemand mehr feststellen kann, was sich in den geschredderten Akten befunden hat. Es wäre aber für die betroffenen Ämter ein verdammt gutes Motiv zum Schreddern gewesen, wenn sich aus den Akten konkrete Hinweise auf den Aufenthaltsort der Drei ergeben hätte, denen – vielleicht aus Gründen des Quellenschutzes – nicht nachgegangen wurde.

Frau Kollegin Lunnebach hat am Ende Ihres Plädoyers einen Appell an den Senat gerichtet, unbequem zu sein. Diesem schließe ich mich an. Ebenso dem Appell des Kollegen Scharmer, im Urteil deutlich zu machen, was alles nicht im Prozess aufgeklärt werden konnte.