Plädoyer: Frau Zschäpe und die Zeitungen

(Im Plädoyer haben wir wiederholt auf die von uns im Juli 2016 an die Angeklagte gestellten Fragen Bezug genommen. Vollständig finden Sie diese Fragen hier.)

Teil 2 des von RA Reinecke am 14.12.2017 vorgetragenen Plädoyers

Im nächsten Teil meines Plädoyers möchte ich ein Weiteres Querschnittsthema ansprechen, das ich „Frau Zschäpe und die Zeitungen“ genannt habe. Es geht um die merkwürdigen und widersprüchlichen Benutzungen von Zeitungen wie sie von Frau Zschäpe in ihren Einlassungen dargestellt wird.

Beginnen möchte ich zunächst mit einer Frage, die von uns an Frau Zschäpe gestellt wurden, ohne dass sie diese beantwortet hat:

Haben Sie sich regelmäßig über das politische Geschehen informiert und wenn, aus welchen Quellen, haben Sie regelmäßig eine Zeitung (welche) gelesen und/oder regelmäßig Nachrichtensendungen im Radio gehört oder im Fernsehen gesehen (welche)?

Da diese Frage nicht beantwortet wurde, lassen wir die Einlassungen der Angeklagten über ihre Unterrichtung über die Mordtaten Revue passieren. Dabei stellt sich eine auf den ersten Blick völlig unerklärliche Widersprüchlichkeit heraus:

Zum Mord an Enver Simsek gibt es keinerlei Erklärung, ob und was Frau Zschäpe dazu in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen hat. Selbst zur Sendung XY vom 24.4.2001, die in die Bekennervideos Eingang gefunden haben, und die mitten in der Vorbereitung des Umzuges von der Heisenbergstr. in die Polenzstr. in dem Gemeinschaftszimmer der Wohnung  aufgenommen sein musste, erfahren wir nichts.

Ganz anders bei dem Anschlag in der Probsteigasse. Hier behauptet Frau Zschäpe, dass sie gewissermaßen eigeninitiativ, weil sie etwas in einer Zeitung gelesen hat, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt danach gefragt hat. Ich gehe davon aus – dies hatte ich auch im Zusammenhang mit Beweisanträgen vorgetragen -dass Frau Zschäpe in dieser Einlassung nicht die Berichte aus dem Kölner Stadtanzeiger meinte, die im Pressearchiv der Frühlingsstr. gefunden wurden. Dies wird auch dadurch deutlich, dass Frau Zschäpe auf die Frage des Vorsitzenden: „Was veranlasste Sie, bei den beiden nachzufragen, ob sie etwas mit dem Bombenanschlag in der Probsteigasse zu tun hätten?“ antwortete: „Ich hatte in der Zeitung von dem Bombenanschlag in Köln gelesen. Ich kann nicht mehr sagen, welche Zeitung es war.“ (S.12 der Antworten vom 21.1.2016). Da Frau Zschäpe aber aus der Akteneinsicht die Artikel aus dem Kölner Stadtanzeiger kennt, hätte sie sich sicherlich erinnert, wenn es um diese Artikel gegangen wäre. Dass außer in Kölner Zeitungen keinerlei Presseberichter­stattung zum Anschlag in der Probsteigasse stattgefunden hat, ist unter Beweis gestellt worden. Wie dem auch sei, Frau Zschäpe behauptet hier ein so aufmerksames Lesen von Zeitungen, dass sie gezielt Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf mögliche Taten angesprochen hat.

Zu den Morden an Abdurrahim Özüdogru und Süleyman Tasköprü berichtet Frau Zschäpe nichts zu Erkenntnissen aus Zeitungen und/oder Fernsehen. Hier hat sie vielmehr angeblich nicht nach Details gefragt und sie wollte auch nichts davon hören. Sie schätzte die Situation sogar so ein, dass sie resigniert habe.

Ganz anders dann allerdings das Verhalten von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach dem Mord an Habil Kilic. Ca. 14 Tage nach dem Mord offenbaren sich diese beiden bei Diskussionen über den Terroranschlag auf das World Trade Center, den Frau Zschäpe „unmenschlich“ fand, und machen etwas, was sie bei keiner anderen Tat gemacht haben:

„Sie legten mir dabei einen Zeitungsausschnitt vor, in dem über ihre Tat berichtet wurde.“

(S.27 der Einlassung vom 9.12.2015). Warum gerade bei dieser Tat fragt man sich, hätte es nicht nahe gelegen, dies bei dem Mord an Enver Simsek zu tun, als Frau Zschäpe angeblich gar nicht glauben wollte, was die anderen getan haben. Eine Erklärung für diese Handlung liefert uns Frau Zschäpe nicht, bei keinem der früheren und späteren Mordtaten präsentieren ihr Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt irgendwelche Zeitungsausschnitte. Frau Zschäpe sagt uns auch nicht, welcher Zeitungsausschnitt ihr präsentiert wurde, immerhin sind im Zeitungsarchiv mindestens drei Berichte vom 30.08.2001 gefunden worden, davon ein kurzer aus der Süddeutschen und zwei längere aus der Abendzeitung und einer weiteren Boulevardzeitung, wahrscheinlich der TZ. Drei weitere Artikel sind offenbar zu einem späteren Zeitpunkt entstanden und befassen sich bereits mit den Zusammenhängen mit den übrigen Mordtaten. Welcher dieser Artikel ihr gezeigt worden ist, hat Frau Zschäpe nicht mitgeteilt.

Zum Mord an Mehmet Turgut gab es keinen Medienkonsum, weder berichtet Frau Zschäpe etwas von Zeitungen, durch die sie aufmerksam gemacht wurde, noch präsentieren ihr die beiden Uwes irgendwelche Zeitungsausschnitte und das obwohl sie angeblich gerade nach diesem Mord „stundenlang“ mit den Uwes diskutiert hatte.

Eine völlig neue Variante erleben wir sodann im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag in der Keupstraße. Während die beiden Uwes vor dem Anschlag wieder einmal nichts zu Frau Zschäpe sagten, berichteten sie ihr anschließend sofort davon und zwar obwohl sie doch angeblich wissen, dass die Angeklagte dagegen ist. Warum in diesem Fall sofort, erklärt uns Frau Zschäpe nicht. Hier passiert dann hinsichtlich der Zeitungen auch etwas ganz Neues (S.29 der Einlassung vom 9.12.2015):

„Über die Zeitung hatte ich mich informiert was passiert war. Mit den Schilderungen der beiden allein hatte ich mich nicht zufrieden gegeben.“

Und das, obwohl gleichzeitig im Fernsehen über den Anschlag berichtet wurde. Wir hatten dazu Frau Z. vergeblich gefragt:

Sie erklären, dass Mundlos und Böhnhardt nach der Rückkehr vom Bombenanschlag in der Keupstr keine Details berichten. Sie hätten sich deshalb über die Zeitung informiert. Hatten sie zuvor versucht von Mundlos und Böhnhardt Details zu erfahren? Welche? Was erfuhren Sie aus der Zeitung, was Sie nicht schon vorher von Mundlos und Böhnhardt erfahren hatten. Woher hatten Sie Zeitungen? Haben Sie diese täglich gekauft? Was geschah mit den Zeitungen, nachdem Sie diese gelesen hatten? Haben Sie die Zeitungen Böhnhardt und Mundlos gezeigt/gegeben. Haben Sie ab dem 9.6.2004 Fernsehsendungen zum Anschlag gesehen?

Frau Zschäpe, die nach dem Mord an Abdurrahim Özüdogru und Süleyman Tasköprü resigniert war und keine Einzelheiten wissen wollte, gibt sich plötzlich weder mit den Schilderungen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, noch mit der Fernsehberichterstattung zufrieden, sondern recherchiert selbstständig in Zeitungen.

Die Morde an Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik und Halit Yozgat hat Frau Zschäpe offenbar aus Zeitungen nicht mitbekommen, sie hatte wohl auch plötzlich keine Veranlassung mehr, nach der Abwesenheit der beiden Uwes mal zu überprüfen, ob die Zeitungen wieder über Mordtaten berichteten. Erst im Oktober 2006 will die Angeklagte zusammen von diesen vier Mordtaten erfahren haben. Dabei sollen die beiden Uwes lediglich erklärt haben, dass sie „vier weitere Ausländer umgelegt“ hätten. Allerdings legten sie bei dieser Gelegenheit keine Zeitungsausschnitte vor, aus denen sich ihre Mordtaten ergaben und auch Frau Zschäpe begnügte sich in diesem Fall wieder einmal mit diesen Angaben, ohne selbst nach zu recherchieren, was dort eigentlich passiert sei.

Auch im Zusammenhang mit der Ermordung der Polizistin Michele Kiesewetter erfahren wir nichts über Medien, aus denen sich Frau Zschäpe informiert hat.

Lassen wir all dies Revue passieren, so ist völlig unverständlich, warum einerseits Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt einen Zeitungsartikel vorlegen, andererseits Frau Zschäpe über eineinhalb Jahre nichts von Mordtaten mitbekommt und manchmal trotz ausführlicher Schilderungen zumindest in der Fernsehberichterstattung selbst noch Zeitungen besorgt, in anderen Fällen sich aber gar nicht informiert. Die einfache Erklärung für diesen ansonsten ja nicht erklärbaren widersprüchlichen Medienkonsum liegt in den vorhandenen Spuren.

Die Spuren im Zeitungsarchiv

Es gibt eine Fingerspur von Frau Zschäpe auf einem Artikel zum Mord an Habil Kilic, die sie im Rahmen ihrer Einlassung erklären musste, weshalb ihr dann plötzlich bei dieser und nur bei dieser Tat ein Artikel von den Uwes vorgelegt wird.

Zum Bombenanschlag in der Keupstraße gibt es eine Vielzahl von Artikeln im Zeitungsarchiv, einer vom 11.06. enthält eine Fingerspur von Frau Zschäpe, einer vom 23.06. eine DNA-Mischspur. Hier konnte Frau Zschäpe natürlich nicht behaupten, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ihr zweimal Artikel vorgelegt hätten, also tauchten bei dieser Tat plötzlich die Zweifel von Frau Zschäpe an den Angaben von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos auf, die sie dann dazu veranlasste, selbst aktiv Zeitungen sich zu besorgen. Und natürlich mussten dann in diesem Zusammenhang Mundlos und Böhnhardt ihr sofort nach der Rückkehr aus Köln etwas von dem Bombenanschlag erzählen, da sich ja schon auf einem Artikel vom 11.6.2004 eine Spur befand. Wenn wir also die Angaben von Frau Zschäpe zunächst einmal völlig unabhängig von den vorhandenen Spuren sehen, so sind sie zum Medienkonsum untereinander völlig unlogisch. Sie sind offenbar auch erfunden, um die vorhandenen Spuren scheinbar harmlos erklären zu können.

Nun liegt sicherlich ein Körnchen Wahrheit darin, dass eventuell Frau Zschäpe immer brav die Presse über die Berichterstattung zur Keupstraße beim Bahnhof in Zwickau eingekauft hat. Im Archiv gibt es auch drei Asservate (2.12.377 und die Endnummern 8, 16 und 23, die vom 10.7.2004 datieren, und in denen davonberichtet wird, dass die Polizei einen der Täter gefasst hätte. Frau Zschäpe hat uns erzählt, dass Mundlos und Böhnhard nach dem Bombenanschlag in der Keupstr untergetaucht waren. Ab dem 9.7. gibt es eine Fahrzeugan­mietung, die später für die gemeinsame Urlaubsfahrt genutzt wurde. Wenn aber die Uwes am 10.7. weg waren, muss es Frau Zschäpe gewesen sein, die auch einen Monat nach dem Anschlag Interesse an der Berichterstattung hatte. Genauso wie sie auch am Abend des 09.06. die Videoaufnahmen für das Bekennervideo gemacht hat. Das aber sind wesentliche Indizien für ihre Mittäterschaft. Die Angaben, wie es zu den Spuren auf den Zeitungen gekommen war, sind Schutzbehauptungen.

Im Fall Habil Kilic zeigt sich darüber hinaus die offensichtliche Unwahrheit ihrer angeblichen Gegnerschaft zu den Mordtaten. Nachdem Frau Zschäpe angeblich den beiden Uwes vorgehalten hatte, dass der Anschlag auf das World Trade Center unmenschlich sei, teilten diese ihr jetzt erst die Mordtat an Habil Kilic mit und legten ihr einen Zeitungsartikel vor. Frau Zschäpe dazu (S27 der Einlassung vom 9.12.2015):

„Meine Reaktion war wiederum Entsetzen. Es gab jedoch keine verbale, lautstarke Auseinandersetzung – wie Mitte Dezember 2000 –, sondern ein gegenseitiges Anschweigen.“

Gehen wir einmal davon aus, dass Frau Zschäpe bei dem Artikel, der ihr gezeigt wurde, den Artikel meint, auf dem sich ihre Fingerspur befindet. Dann wurde ihr folgender Artikel vorgelegt (Asservat: 2.12.377.51), den man sich noch mal ansehen sollte:

Bild einblenden – (wurde im Gerichtssaal gezeigt, wenn urheberrechtliche Fragen geklärt sind, vielleicht auch hier)

Die Überschrift lautet: „Händler in seinem Laden erschossen – Kinder geschockt“ Darunter in dicker Überschrift: „Sie wollten Lutscher kaufen – und sahen den Todeskampf“. Berichtet wird von einem achtjährigen Jungen, der den sterbenden Habil Kilic fand. Stellen wir uns also auch hier die Szene vor: Frau Zschäpe lehnt angeblich die Mordtaten ab, sie hat sich mit den beiden Uwes wegen derer Zustimmung zu Terroranschlag vom 11.09. angelegt und nun präsentieren diese ihr einen Zeitungsartikel, in dem es nicht allein um den Tod von Habil Kilic ging, sondern auch um das Trauma eines achtjährigen Kindes, das ihn gefunden hat. Wäre Frau Zschäpe tatsächlich so kinderlieb wie sie behauptet und so gegen die Mordtaten, wie sie ebenfalls behauptet hat, so hätte natürlich gerade dieser Artikel eine besonders heftige Diskussion auslösen müssen. Sie hätte den Uwes vorhalten müssen, wie brutal sie wären, auch noch kleine Kinder hineinzuziehen. Ein „Anschweigen“ wäre dann ausgeschlosssen.

Es kommt hinzu, dass alle Fotos aus der oberen Leiste wie auch das Bild von Habil Kilic aus diesem Artikel im 2. Bekennervideo ab Minute 3:10 verarbeitet sind, sich die Fingerspur der Angeklagten also gerade auf dem Artikel befindet, der extensiv für das zweite Bekennervideo genutzt wurde. Damit wird nicht nur die Führung des Zeitungsarchives sondern auch die Mitarbeit am zweiten Bekennervideo belegt. Die erkennbar falsche Einlassung der Angeklagten zu den Zeitungen bestärkt diese Wertung nur.

Da soll man nicht sagen, es seien doch nur Spuren auf drei Artikeln. Es sind nämlich auch die einzigen Spuren auf allen Artikeln. Wenn auf allen anderen und auch auf diesen drei Artikeln Spuren von Mundlos und/oder Böhnhardt gewesen wären, spräche das tatsächlich nicht besonders gegen die Angeklagte. Das aber ist gerade nicht der Fall.

Das Zeitungarchiv als Hinweis auf mögliche Unterstützer

Das Zeitungsarchiv ist allerdings auch noch unter einen weiteren Gesichtspunkt von Bedeutung, nämlich der Frage, wieweit die Bundesanwaltschaft ergebnisoffen der Frage nach weiteren Unterstützern nachgegangen ist und nachgeht. Bei den Zeitungen stellt sich ziemlich offensichtlich die Frage, wie ist das Trio in den Besitz der entsprechenden Zeitungsartikel gekommen. Diese Frage haben sich offensichtlich auch einige Polizeibeamten im BKA gestellt. In verschiedenen Fussnoten von Berichten taucht als Quelle immer wieder auf:

„Vermerk ,Auswertung der im Brandschutt der Frühlingsstraße 26 in Zwickau aufgefundenen Zeitungsartikel – Anregung für weitere Ermittlungsansätze und Abklärungsmaßnahmen zur Identifizierung möglicher Unterstützer“, Punkt 3.3, Stand: 05.06.2012“

Diesen Vermerk selber haben aber weder ich noch andere Kollegen in der uns vorliegenden Akte gefunden, wir wissen also nicht, welche Anregungen es damals zur Identifizierung weiterer Unterstützer gegeben hat. Also werden wir selbst dazu Hinweise geben müssen:

Für den Bombenanschlag in der Keupstraße ist zumindest überprüft wurden, ob grundsätzlich die Zeitungsartikel, die in der Frühlingsstraße gefunden wurden, am Bahnhof in Zwickau zu erwerben waren. Schon diese Ermittlungen sind allerdings auf halber Strecke stehen geblieben. Es gibt bekanntlich von jeder Zeitung –soweit sie bundesweit vertrieben wird- verschiedene Ausgaben. Meistens eine Abendausgabe am Tag vorher, bei der der Redaktionsschluss zwischen 17:00 Uhr und 19:00 Uhr liegt und die dann in den bundesweiten Verteiler geht. Andere Ausgaben haben einen späteren Redaktionsschluss und werden auch ausschließlich lokal verteilt.

Wenn man das Deckblatt des Kölner Express oder ganzseitige Artikel sieht gibt es dabei Kodierungen, aus denen ersichtlich ist, ob es sich um die bundesweite Ausgabe handelt oder die Lokalausgabe. Unsere Überprüfung – das BKA hat das nach der uns vorliegenden Akte nicht überprüft – hat hier ergeben, dass tatsächlich im Zeitungsarchiv in der Frühlingsstraße sowohl hinsichtlich der Probsteigasse wie hinsichtlich der Keupstraße die bundesweite Ausgabe aufgefunden wurden ist, soweit dies an einzelnen Seiten nachvollziehbar war. Für die übrigen Taten ist dies bisher nicht untersucht wurden. Es ist bis heute in einigen Fällen nicht einmal festgestellt worden, von welchem Datum welche Artikel sind und in welcher Zeitung sie erschienen sind.

Ich hatte oben auf die Vielzahl von Artikel zum Mord an Habil Kilic hingewiesen, und da ergeben sich in der Tat einige Fragen: Es gibt insgesamt elf Asservate (2.12.377.41 – 51), zwei umfangreiche Artikel aus der Boulevardpresse (wahrscheinlich vom 30.8.2001) und mindestens drei Artikel aus weiteren Presseorganen, die mindestens einige Tage später entstanden sind. Wir haben keine mit dem Mordfall korrespondierende Anmietung eines Fahrzeuges, nach allem was wir aus den anderen Fällen wissen, ist aber davon auszugehen, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unmittelbar nach der Tatbegehung auch den Ort ihrer Tat verlassen haben. Bisher hat das BKA nicht vollständig festgestellt, von welchem Tag die einzelnen Artikel stammen und in welcher Zeitung sie erschienen sind. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass das Asservat mit der End-Ziff. 41, wie auch das Asservat mit der End-Ziff. 46 jeweils aus der Münchner AZ stammen und es sich dabei jeweils um einen Hinweis auf S.1 auf längere Artikel in der Zeitung handelt. Dass Asservat 41 verweist auf die Seite 9, einen entsprechenden Artikel gibt es allerdings im Zeitungsarchiv nicht, dass Asservat 46 verweist auf die Seite 8 und ein entsprechender Artikel findet sich als Asservat 46 (2). Das könnte daran liegen, dass es unterschiedliche Anreißartikel in der jeweils am Vortag erscheinenden Abendausgabe und in der Ausgabe für den nächsten Tag gegeben hat, der Artikel im Blatt selbst aber identisch war und nur einmal aufgehoben wurde. Dann aber wäre völlig ausgeschlossen, dass beide Ausgaben in Zwickau erhältlich sind.

Genauso bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Artikel mit der Asservaten-EndNr. 44 unter der Überschrift „Killer kam immer am helllichten Tag zu den Opfern“. Dieser wurde von einem Journalisten namens „Lorenz Bomhard“ verfasste und zwar offenbar einige Zeit nach dem Mord. Herr Bomhard war damals und ist heute bei den Nürnberger Nachrichten beschäftigt, so dass auch hier der Frage nachzugehen ist, wie kommt das Trio an einen Artikel aus den Nürnberger Nachrichten, der sich mit einem Mord in München befasst. Soweit war auch das BKA bei Auswertung des Asservates gekommen und hat dann festgestellt (SAO 351, 190):

Eine Internetrecherche ergab, dass Lorenz BOMHARD für die Zeitung Nürnberger Nachrichten arbeitet‘. Demnach könnte der Artikel in dieser Zeitung veröffentlicht worden sein. Ein Erscheinungsdatum ist nicht erkennbar.

Was kann man tun, wenn das Erscheinungsdatum nicht erkennbar ist. Man könnte den Journalisten einfach mal anrufen, wie ich das in Vorbereitung des Plädoyers getan habe. Schon nach 10 Minuten erhielt ich die schriftliche Mitteilung, dass der Artikel erst am 10.11.2001, also 2 1/2 Monate nach der Tat erschienen ist, und die telefonische Auskunft, dass die Nürnberger Nachrichten weder im Jahre 2001 noch heute in Zwickau vertrieben werden. Ob letztere Auskunft des Herrn Bomhard zutrifft, oder der angebliche Vertrieb am Bahnhof, wie es in der Akte behauptet wird, ist letztlich egal. Es ergibt sich also die einfache Frage: Wie kommt ein Zeitungsartikel, der mehr als zwei Monate nach der Tat in einer Zeitung erschienen ist, die – wenn überhaupt – nur an einer Stelle in Zwickau verbreitet wird, in das Zeitungsarchiv des NSU. Die naheliegende (wenn auch nicht zwingende) Antwort ist natürlich, dass es zumindest Helfer des NSU in Nürnberg gegeben hat. Alternativ: Sollen wir wirklich glauben, dass die Angeklagte Zschäpe Tag für Tag über 2 ½ Monate zum Bahnhof gegangen ist, um herauszufinden, ob in den Nürnberger Nachrichten ein für das Archiv wichtiger Artikel erschienen ist?

Die Nürnberger Nachrichten haben im Übrigen auch eine Paulchen Panter DVD erhalten und dazu heißt es dann auch noch (SAO 44, S.4) „sehr wahrscheinlich keine Zustellung durch Deutsche Post“. Ich glaube nicht, dass ich hier weiter ausführen müsste, was es für die Trio-Theorie der Bundesanwaltschaft bedeutet, wenn tatsächlich am 8. Oder 9.11 ein Bote die PP-DVD zu den Nürnberger Nachrichten gebracht hat.

Ich ergänze all das zu den vielfältigen von Nebenklägern gegebenen Hinweisen, dass alles dafür spricht, dass es gerade in Nürnberg ganz enge Helfer gegeben hat. Wir wissen bis heute nicht, was alles Gegenstand des von der Bundesanwaltschaft geführten Strukturverfahrens ist. Ich befürchte allerdings, dass die Untersuchung rechtsradikaler Strukturen in Nürnberg nicht dazu gehört, obwohl die Hinweise darauf, dass es zumindest in Nürnberg ganz enge Mitstreiter des NSU gab, auf dem Tisch liegen.

Zusammenfassend: Wenn man – wie die Bundesanwaltschaft für sich in Anspruch nimmt – ergebnisoffen ermitteln will, so müsste natürlich zum Zeitungsarchiv einmal vollständig geklärt werden: Wann und in welcher Zeitung sind die einzelnen Artikel erschienen? waren diese Artikel in Zwickau erhältlich und wenn wo? Wie nah lagen sie an den Taten? Es könnte sein, dass dann doch noch mehr als Fliegengesumme herauskommt.