Angekündigte Aussagen – und was macht Gerlach?

Aus der ersten angekündigten Aussage von Zschäpe ist nichts geworden. Angekündigt für den 11.11.2015, platzte dieser Termin wegen eines Befangenheitsantrages der Verteidigung Wohl­leben. Dieser war nicht nur – wie die anderen Befangenheitsanträge zuvor – offensichtlich unbegründet, sondern derartig filibusterhaft ausgearbeitet und mit langen Sitzungsunterbrechungen vorbereitet, dass von vornherein der wesentliche Zweck die Verhinderung der Aussage Zschäpe am 11.11.2015 war.

Konnte man zunächst vermuten, dass Wohlleben überhaupt die Aussage Zschäpe nicht passte, so offenbarten die Verteidiger allerdings, dass sie bereits seit September von den entsprechenden Plänen wussten. So bleiben im Prinzip 3 Varianten:

1. Die Verteidigung Wohlleben wollte Einfluss auf den Inhalt der Erklärung nehmen und benötigte dafür Zeit oder

2. die Erklärung Zschäpe war inhaltlich noch gar nicht fertig aber Herr Grasel traute sich nicht, dies dem Senat mitzuteilen oder

3. die graue Eminenz hinter Rechtsanwalt Grasel, Rechtsanwalt Borchert, wollte unbedingt die die Erklärung verlesen, konnte aber am 11.11. nicht.

Nun warten wir also für die Verhandlungen ab dem 8.12. 2015 auf die Aussagen. Wenn sich Herr Maaßen (Präsident des Bundesamt für Verfassungsschutz) für die Opfer viel von der Aussage erhofft, so hat er offenbar immer noch keine Ahnung von der Ideologie des NSU. Dass die Aussage von Frau Zschäpe nicht von Wahrheitsliebe getragen sein wird, sondern einzig und allein von dem Versuch, ihre Haut zu retten oder ihr Bild in der Öffentlichkeit zu revidieren, scheint doch auf der Hand zu liegen. Wenn Frau Zschäpe mit irgendjemandem außer sich selbst der Familie Eminger und ihren Katzen Mitleid hätte, hätte sie schon vor vier Jahren reden können. Herr Maaßen könnte aber auch selbst was für die Opfer tun, und rückhaltlos alle Unterlagen zum NSU vollständig freigeben.

Wird Zschäpe sich wirklich befragen lassen?

Wirklich erstaunlich war am 10.11.2015 die Erklärung von Rechtsanwalt Grasel, Frau Zschäpe werde sich zwar durch den Senat, nicht aber durch die Nebenkläger befragen lassen. Wir sind gespannt, wie Herr Grasel oder die Verteidigung Zschäpe von dieser Erklärung wieder herunterkommen wird. Allein die Befragung des Mitangeklagten Carsten Schulze, der tatsächlich umfassend ausgesagt hat, dauerte mehrere Tage (und bei ihm ging es nur um einen Komplex), würde sich Frau Zschäpe vom Gericht und insbesondere vom Vorsitzenden Richter tatsächlich zu allen Anklagepunkten befragen lassen, so stände das Programm für die nächsten 2 bis 3 Monate fest. Es erscheint aber ausgeschlossen, dass Frau Zschäpe dies dann tatsächlich will und durchhalten könnte. Ob sie die Erklärung einfach widerruft oder nach der Methode Merkel vorgeht („In dieser Pressekonferenz dürfen jetzt 4 Fragen gestellt werden.“) wissen wir nicht. Vielleicht äußert sie sich aber auch nur zu einzelnen Anklagepunkten und will dann auch nur dazu Fragen beantworten. Wir gehen aber davon aus, dass eine Befragung, bei der Frau Zschäpe sich jeweils mit ihrem Anwalt zurückzieht und dieser dann antwortet, sicherlich vom Gericht nicht akzeptiert würde.

Wie nah bleibt Wohlleben bei der Wahrheit?

Interessanter ist da schon die Ankündigung einer Aussage durch den Angeklagten Wohlleben, der selbst seine Erklärung abgeben und sich anschließend befragen lassen will.

Nun darf der Angeklagte im Strafprozess lügen, so dass er selten damit rechnen kann, dass das Gericht an seinen Lippen hängt. Billigt man einer solchen Erklärung einen Beweiswert zu, so ist dieser natürlich bei einer vom Angeklagten selbst abgegebenen Erklärung höher als bei einer von den Verteidigern verlesenen. Ohne Zweifel erhöht die Bereitschaft des Angeklagten, sich von allen Verfahrensbeteiligten befragen zu lassen, seine Glaubwürdigkeit.

Dass Wohlleben sich wahrscheinlich Fragen zu den rechtsradikalen Strukturen verweigern wird, haben seine Verteidiger/in bereits angekündigt: „Die Verteidigung wird jedoch bei Fragen, die nicht zur Sache gehören, sondern lediglich der Befriedigung von Szenevoyeurismus dienen, von ihrem Beanstandungsrecht Gebrauch machen“. Gibt es aber nicht. Da der Angeklagte ohnehin nicht antworten muss, kann er auch Fragen an ihn nicht beanstanden, er kann allerhöchstens erklären, dass er bestimmte Fragen nur dann beantworten will, wenn das Gericht sie für sachdienlich hält. Allerdings gehen wir davon aus, dass auch das Gericht einige Fragen zur „Szene“ stellen wird.

Der geschickte Angeklagte macht es so, wie es der Vorgesetzte dem Verfassungschützer Temme empfahl: „Möglichst nah an der Wahrheit bleiben“. Anders als bei Zschäpe, die ihre ganze Zeit im Untergrund umdichten müsste, kann und wird sich Wohlleben auf drei Fragen konzen­trieren:

  • hat er überhaupt an der Übergabe von Waffen mitgewirkt, wie Schulze und Gerlach behaupten?
  • wusste er etwas von einer Pistole mit Schalldämpfer?
  • konnte er ahnen, dass das Trio Menschen umbringt?

Seine Stärke, dass er sich nur in diesen Punkten von der Wahrheit entfernen muss, ist natür­lich auch sein Schwäche, weil gerade in diesen Punkten wahrscheinlich keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen. So wird man wohl die Erklärung seiner Verteidigerin und seiner Verteidiger verstehen müssen, in der es heißt: „Aus prozessualen Gründen war es notwendig, diesen Schritt zu gehen, da über Beweisanträge allein wichtige Tatsachen nicht in das Verfahren eingeführt werden können.“ Gäbe es andere Beweismittel für die zentralen Punkte der Einlassung des Angeklagten, könnte dieser weiter schweigen. Man wird dann eher mit Beweisanträgen rechnen müssen, die im Randgeschehen Schulze und Gerlach unglaub­wür­dig machen sollen.

Carsten Schulze, der Wohlleben massiv belastet hat, wird sicherlich durch eine Erklärung von Herrn Wohlleben nicht unglaubwürdig gemacht werden können. Dafür hat er sich viel zu sehr selbst belastet. Wäre es Schulze nur darum gegangen, seine eigene Haut zu retten, hätte er geschwiegen und es ist zweifelhaft, was dann zur Herkunft der Mordpistole hätte festgestellt werden können.

Für Gerlach wird es eng

Anders hingegen Holger Gerlach. Dieser hatte zu Beginn des Prozesses versucht, sich mit einer flauen Erklärung davon zu stehlen und hat seitdem schweigend die Verhandlung verfolgt. Seine Geschichte über den Ausstieg aus der Szene im Jahre 2004 platzte in der Verhandlung vom 25.11.2015 an Hand von Auswertungen seines Handys und Computers. Hier begann bereits die (Alt-) Verteidigung Zschäpe, sich auf Holger Gerlach einzuschießen. Die Erklärung von Wohlleben lässt darüber hinaus erwarten, dass auch er erhebliche belastende Tatsachen über Gerlach erzählen wird.

Gerlach, der zu Beginn des Verfahrens im Zeugenschutzprogramm war, dann aber wegen seiner weiteren Tätigkeit in der rechten Szene daraus entlassen wurde, scheint noch ehesten der Angeklagte zu sein, auf den Zschaepe und Wohl­leben sich einschiessen. Bisher konnte er hoffen, dass entsprechend einer früheren Haftentscheidung des Bundesgerichtshofes nur die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung (nicht terroristischen) an ihm hängen bliebe (er hat eingeräumt, dass er davon ausgegangen sei, dass das Trio Banküberfälle macht, nicht aber Morde). Doch der Schritt zur (angeklagten) Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder gar zur Beihilfe zum Mord ist klein. Und wenn Wohlleben und/oder Zschäpe Gerlach erheblich belasten und dies glaubhaft erscheint, wird der Druck auf eine Äußerung von seiner Seite erheblich werden. Es könnte nicht einmal ausgeschlossen werden, dass Gerlach dann erneut in Haft kommt.

Auch ohne die Aussagen von Wohlleben und Zschäpe spricht alles dafür, dass Gerlach erheblich mehr wusste, als er im Prozess oder in früheren Vernehmungen eingeräumt hat. Schließlich war er – neben dem Angeklagten Eminger – die entscheidende Vertrauensperson für das Trio, seine Lebensumstände wurden abgefragt und „upgedated“, damit Uwe Böhnhardt mit Ausweispapieren und der Identität von Gerlach unbehelligt leben konnte. Noch im Sommer 2011 hatte Gerlach einen neuen Ausweis in Hannover für Böhnhardt machen lassen, den Frau Zschäpe dann bei ihm abgeholt hat. Für die Wahrheits­findung wäre es sicherlich hilfreich, wenn durch Aussagen von Zschäpe und Wohlleben der Druck auf Gerlach so erhöht wird, dass er Weiteres von seinem Wissen preisgeben muss. Umgekehrt: Würde er trotz massiver Belastungen durch Zschäpe und/oder Wohlleben nicht doch noch reden, so wäre dies ein zusätzliches und erhebliches Indiz dafür, dass Gerlach bei jeder weiteren Aussage befürchtet, erhebliche zusätzliche Straftaten einräumen zu müssen, dass er deshalb besser nicht „zurückschlägt“.

Der „Idealist“ schlägt der „Wahrheit eine Gasse“

Die Erklärung seiner Anwältin und Anwälte ist aber noch in der unkritischen Solidarisierung mit Wohlleben bemerkenswert.

„Der Wahrheit eine Gasse: Ralf Wohlleben wird sein Schweigen brechen.“

Ist die Erklärung überschrieben. Ob Herr Wohlleben mit seiner Aussage der Wahrheit oder der Lüge eine Gasse schlägt, kann eigentlich nur beurteilen, wer dabei war, die Anwälte eher nicht. Wer solche „Vorfreisprechung“ in die Welt hinausposaunt, sollte sich über eine Vorver­ur­teilung nicht beschweren. Am Ende der Verteidigererklärung heißt es fett gedruckt:

„Herr Wohlleben ist seinen Idealen und politischen Überzeugungen treu geblieben und wird dies auch in Zukunft bleiben.“

Nicht die wahrsagerische Qualität dieser Aussage interessiert hier, sondern die Abgabe dieser Erklärung durch die Verteidiger in ihrem eigenem Namen und nicht etwa im Sinne von:

„Herr Wohlleben erklärt, er sei seinen Idealen ….“

Eine solche Erklärung von Anwaltsseite setzt voraus, dass die Anwälte die früheren Ideale des Herrn Wohlleben kennen, einschließlich seiner politischen Überzeugungen, dass sie diese auch für „Ideale“ halten und gut beurteilen können, dass Herr Wohlleben diesen „treu geblieben“ sei. Mit einem Wort: Letztlich identifizieren sich die Verteidiger mit den „Idealen“ des Herrn Wohlleben. Mal sehen, ob Herr Wohlleben seine „Ideale“ erklärt. Vielleicht kommt er dabei auch auf die griffigen „NSDAP-Wochensprüche“ zurück, die man auf seinem Computer gefunden hat.

Eberhard Reinecke