Beleidigung des Verstandes und Verhöhnung der Opfer

Zu den Plädoyers der Wahlverteidiger Zschäpes

Vom 24.04. bis zum 26.04.2018 plädierten die Wunschverteidiger (mehr zu Rechtsanwalt Borchert finden Sie hier) von Beate Zschäpe und kamen zu der „Forderung“ einer Strafe von maximal 10 Jahren. Es war schwer erträglich, diesem Plädoyer, das eine permanente Verharmlosung der Rolle von Beate Zschäpe im NSU war, folgen zu müssen. Viele Kritikpunkte sind bereits auf der Seite NSU-Nebenklage dargestellt worden (hier für den 24.4., den 25.4. und den 26.4.). Die Presse reagierte eher verhalten und berichtet häufig ohne Kommentar über die Plädoyers, hier der Spiegel, die Süddeutsche und die Zeit. Im folgenden noch einige Gesichtspunkte zu den Pläydoyers.

Der 10-%-Prozess

Dem Prozess gegen Frau Zschäpe liegt der sicherlich außergewöhnliche Sachverhalt zu Grunde, dass drei Personen 13 Jahre lang im Untergrund auf engem Raum  zusammengewohnt haben. Nach Ihnen wurde – zumindest in den ersten Jahren – öffentlich gefahndet, in der Folgezeit hatten sie schwere Straftaten begangen, die eine Beendigung des Aufenthaltes in der Illegalität ausschloss. Schon aus dieser Grundsituation ergibt sich ein ganz erhebliches und schwerwiegendes Indiz für die Täterschaft von Frau Zschäpe. Es ist nahezu ausgeschlossen – und es gibt dafür auch keine realen Beispiele –, dass drei Personen so lange im Untergrund in der Illegalität leben, ohne dass sie alles voneinander wissen und alles gemeinsam machen. Man muss also schlicht festhalten, dass bereits die Situation des Zusammenlebens zu 80 -90% die Mittäterschaft begründet und der ganze Prozess letztlich nur geführt wurde um letzte Zweifel auszuschließen. RA Borchert erfindet stattdessen eine neue Form der Illegalität:

„Die Bundesanwaltschaft (BAW) zeichnet ein Konzept, wonach UB und UM Ziele auskundschafteten und Anschläge durchführten, die Mdtin als Tarnkappe fungierte … Die BAW spricht ganz bewusst nur von Anschlägen; sie verschweigt, dass UB, UM und BZ in der Illegalität lebten und sich für ein Leben entschieden hatten, das durch Raubüberfälle finanziert werden sollte. Einleuchtend, dass ohne Tarnung und Alibi das Leben in der Anonymität schnell ein Ende gefunden hätte; durch polizeilichen Zugriff. Täuschen war unabdingbare Voraussetzung für Leben in Illegalität.“

Wenn Rechtsanwalt Borchert nicht umhinkommt, einzuräumen, dass Frau Zschäpe natürlich die Gruppe nach außen abgetarnt hat, sie den übrigen Mitgliedern ein „Alibi“ gegenüber Nachbarn, etc. gegeben hat, so kann man das nicht damit wegwischen, dass man schlicht behauptet, sie sei wegen möglicher Strafverfolgung (die ihr beim Nichtabtauchen gar nicht erheblich gedroht hätte) in die Illegalität gegangen und weil sie auch bereit war, von Banküberfällen zu leben. Es wird hier ein Bild gezeichnet, dass man sich – nach Art einer Berufswahl – aussuchen kann, ob man nur die kleine Illegalität (Abtarnen, gefälschte Papiere, Annahme von Geld aus Banküberfällen) oder die große (mit allem Terror) will. Eine absurde Vorstellung. Die Vorgangsweise der Rechtsanwälte Borchert und Grasel war das Gegenteil einer Gesamtwürdigung. Sie bemühten sich, den Sachverhalt in möglichst einzelne kleine Teile zu zerstückeln, jeden Teilgesichtspunkt einzeln zu untersuchen und sich jeder Gesamtwürdigung zu entziehen. Sodann wird nach jeweiliger Darstellung der (selbst ausgearbeiteten) Einlassung argumentiert, dass die Einlassung in diesem oder jenem Punkt nicht widerlegt sei, und deshalb zu Grunde zu legen. Das trifft nicht zu, hören wir dazu den BGH (hier Rdn 12):

„Für entlastende Angaben eines Angeklagten gilt der Grundsatz, dass der Tatrichter sich eine Überzeugung von deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden hat. Er darf solche Angaben, für deren Richtigkeit keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen und seiner Entscheidung zugrunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO § 261 Einlassung 6 und Überzeugungsbildung 29; BGH NStZ 2002, 48). Für die bloße Unterstellung entlastender Sachverhaltsgestaltungen bei schweigenden Angeklagten gilt dies erst recht“.

Natürlich durfte hier – wie auch mitlerweile in anderen Plädoyers – die Behauptung nicht fehlen, dass Schlußfolgerungen  der Bundesanwaltschaft oder der Nebenklage „nicht zwingend“ seien. Nun gehört es allerdings zu den Minimalkenntnissen der Beweiswürdigung, dass die Überzeugung des Gerichtes nicht nur auf zwingenden sondern auch auf möglichen Schlüssen beruhen kann, so die natürlich auch der  Verteidigung bekannte Rechtsprechung des BGH.   (in der zitierten Entscheidung Rdn.6)

Der Anwalt als Leumundszeuge

Immerhin konnte man von Rechtsanwalt Borchert erfahren, dass die Formulierung der Einlassung von Frau Zschäpe und der späteren Antworten auf Fragen von ihm ausgearbeitet wurde, nicht beantwortet hat er allerdings die Frage, wie weit diese Einlassung tatsächlich auf den Äußerungen von Frau Zschäpe ihm gegenüber beruhte, ob die Mandantin einem Vorschlag von ihm zugestimmt hat oder sie ihm einen Vorschlag gemacht hat. RA Borchert hat nicht behauptet, dass auch nur ein Satz in der Einlassung etwa 1:1 wiedergibt, was Frau Zschäpe ihm gesagt hat.

An die Stelle einer konkreten Auseinandersetzung mit den Indizien versucht RA Borchert sein (vorhandenes?) Ansehen in die Waagschale zu werfen, wenn er plädiert, sein Eindruck von Frau Zschäpe  beruhe auch auf

„vielen Stunden gemeinsamer Besprechungen mit der Mandantin. Die lassen mich ein ganz anderes Bild meiner Mandantin zeichnen, als von Bundesanwaltschaft und Nebenklage zu vernehmen war.“

Ähnlich RA Grasel:

„Aus zahlreichen Gesprächen in den vergangenen Monaten und Jahren bin ich der festen Überzeugung, dass bei Frau Zschäpe heutzutage keinerlei rechtsextremes, staats- oder gesellschaftsfeindliches Gedankengut vorhanden ist.“

Die Besprechungen zwischen RA Borchert, RA Grasel und Zschäpe könnten nur dann bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden, wenn sie zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden, also die Rechtsanwälte sich als Zeugen für den Inhalt der Besprechungen anbieten. Das machen sie natürlich – aus gutem Grunde – nicht, möchten aber – nur für die Galerie – dass ihre Meinung über Frau Zschäpe berücksichtigt wird. Beide machen sich mit diesen Äußerungen mit Frau Zschäpe gemein und lassen alle Distanz vermissen.

Die Verharmlosung der Rolle von Frau Zschäpe ist eine Verhöhnung der Opfer

Frau Zschäpe musste überhaupt nicht wegen einer drohenden Strafverfolgung untertauchen. Ihr hätten wegen der Funde in der Garage keine Strafe gedroht, die nicht zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können. Frau Zschäpe ist aus politischer Überzeugung untergetaucht, so dass es auch nicht verwundert, dass im Plädoyer der Rechtsanwälte Borchert und Grasel kein Wort dazu verloren wird, warum Frau Zschäpe sich an der Herstellung und dem Vertrieb des „Pogromly-Spiels“ beteiligt hat.

Entsprechend der gesamten Verteidigungslinie werden auch von den vor dem Untertauchen liegenden Straftaten nur die eingeräumt, bei denen es eindeutige Spuren zu Frau Zschäpe gibt, die Beteiligung an einer Puppentorso-Aktion und das Verschicken von Briefbombenattrappen Ende 1996. Verharmlosend wird dazu im Plädoyer auf die von Herr RA Borchert formulierte Einlassung von Frau Zschäpe verwiesen und diese wiederholt:

„Am 30. Dezember 1996 sandte ich einen jeweils mit Schwarzpulver präparierten und· nicht zündfähigen Brief, den Uwe Böhnhardt präpariert hatte, an die Stadtverwaltung der Stadt Jena sowie an die Thüringer Landeszeitung in Jena. … Wir wollten – aus unserer damaligen Sicht – gegen die verfälschende Berichterstattung in der Presse, wofür wir auch die Stadtverwaltung verantwortlich machten, protestieren.“

Betrachten wir also einmal die Schreiben zu der „verfälschenden Berichterstattung“:

Das Schreiben an die Lokalredaktion Lokalredaktion lautete: ,,Von Lüge und Betrug haben wir genug! Das wird der letzte Scherz sein. Ab 97 haut es richtig rein!“. Das Wort ,,rein“ war rechts und links mit einem Hakenkreuz eingerahmt. Der Buchstabe ,,S“ wurde als Sigrune geschrieben

An die Stadtverwaltung: „Mit Bombenstimmung in das Kampfjahr 97 Auge um Auge Zahn um Zahn, dieses Jahr kommt Dewes (damals Thüringer Innenminister) dran!!!“.

An die Polizei: Mit Bomben-Stimmung in das Kampfjahr 97 Auge um Auge Zahn um Zahn – dieses Jahr kommt Bubis dran!!!“

Was derartige auch nach dem Plädoyer der Verteidiger von der Angeklagte Zschäpe verschickten Briefe mit einer angeblich falschen Berichterstattung in der Presse zu tun haben könnten, erschließt sich niemandem, in den Plädoyers wurde auch gar nicht versucht, ausgehend vom Wortlaut der Briefe dies zu erläutern.

Wenn Anwälte Einlassungen erfinden

Besonders dreist ist die Argumentation zur Beteiligung von Frau Zschäpe am Paulchen-Panther-Video, insbesondere zur Aufnahme von Fernsehsendungen unmittelbar nach dem Bombenanschlag in der Keupstraße. Hier wird einfach behauptet, Frau Zschäpe hätte dieses gar nicht aufnehmen müssen, da jeder halbwegs gut ausgerüstete Camper die Aufnahmen mit DVB-T hätte machen können oder evtl. auch andere Personen (aus Köln) dies hätten für den NSU aufnehmen können. Für Letzteres gibt es ohnehin keinerlei konkrete Hinweise, zur Aufnahme mit DVB-T ist nur festzustellen, dass dies zum Zeitpunkt des Bombenanschlages noch eine sehr fortgeschrittene Technik war, die erst seit dem 24.05. (also ca. 14 Tage vor dem Anschlag) überhaupt im Kölner Raum zu empfangen war. Allerdings auch nur sehr nah an Köln und nicht etwa im Umkreis von Köln, wie man einer damaligen Veröffentlichung entnehmen kann. Da sollen also Mundlos und Böhnhardt nach dem Bombenanschlag ganz in der Nähe von Köln mit ihrem Touran gewartet haben, ihr elektronisches Equipment ausgepackt haben, um Aufnahmen zu machen? Das Ganze hat allerdings noch 2 weitere Schönheitsfehler: Aufgenommen wurden u. a. Sendungen von NTV, die seinerzeit über DVB-T gar nicht verbreitet wurden. Ebenfalls wäre es ja nun höchst merkwürdig, dass die Camper Mundlos und Böhnhardt zwar über eine damals extrem moderne Technik verfügten, die im Übrigen dann auch immer eine Aufnahmefunktion hat, stattdessen aber einen alten VHS-Video-Rekorder an das Notebook anschließen, da die ursprünglichen Aufnahmen am Abend des 09.06.2004 erkennbar auf einem VHS-Videorekorder erfolgten und erst später digitalisiert wurden.

Wenn man schon als Verteidiger einen solchen Unsinn in den Raum stellt, sollte man sich mindestens einmal die Mühe machen, abzuklären, wie realistisch das Ganze ist.

Ein Plädoyer für die Mandantin

Erkennbar geht es der Verteidigung auch gar nicht darum, das Gericht zu überzeugen. Es spricht alles dagegen, dass die Verteidiger ihren eigenen Unsinn glauben. Dann hätte konsequenter Weise die Aufhebung des Haftbefehles beantragt werden müssen. Wenn man ernsthaft von einer Höchststrafe von 10 Jahren ausgeht, hätte Frau Zschäpe bereits 2/3 der Strafe abgesessen. Aus der Sicht des Plädoyers hätte sie ein umfassendes Geständnis abgelegt (weil sie ja angeblich nicht mehr weiß und deshalb auch nicht mehr gestehen kann), sich bei den Opfern entschuldigt, ihre Einstellung geändert. In einer solchen Situation müsste ein Verteidiger, der seinen eigenen Ausführungen ernsthaft Glauben schenkt, den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehles stellen. Dies wäre normaler Weise aus einem weiteren Grund von Bedeutung. Das Gericht könnte durch einen solchen Antrag veranlasst werden, seine Sichtweise – kurz vor Urteilsverkündung – zumindestens einmal zusammengefasst darzustellen, da das Gericht sich zum dringenden Tatverdacht äußern müsste. Für den normalen Verteidiger kann dies auch durchaus Hinweis dafür sein, in welchen Punkten er – sei es durch Plädoyer, sei es durch Beweisanträge – noch „nachbessern“ müsste. Diese HInweise des Gerichtes scheut die Verteidigung. Tatsächlich spricht alles dafür, dass das Plädoyer vor allen Dingen für Frau Zschäpe gehalten wurde. Ihr soll es gefallen und sie in der Haltung unterstützen, dass sie das arme Opfer ist. Da wäre natürlich eine gerichtliche Entscheidung im Rahmen des Haftbefehles, der Frau Zschäpe schon entnehmen könnte, wie wenig das Gericht von der Argumentation ihrer Verteidiger hält, durchaus kontraproduktiv.

Gibt es für die Verteidigung ethische Grenzen?

NebenklägerInnen und NebenklagevertreterInnen hatten in ihren Plädoyers die angebliche „Übernahme einer moralischen Verantwortung“ durch Frau Zschäpe als Verhöhnung der Opfer bezeichnet. Rechtsanwalt Borchert hielt dies nicht davon ab, diese Erklärung als „Läuterung“ von Frau Zschäpe darzustellen. Fast in einem Atemzug verteidigte er allerdings weiter die Entscheidung, dass Frau Zschäpe die Fragen der NebenklägerInnen und ihrer VertreterInnen nicht beantwortet hatte, ein klarer Beleg der Missachtung der Opfer.

Da komme man nicht, dass es ja die Aufgabe von Verteidigern sei, „das Beste“ für ihre Mandanten herauszuholen. Es ist nicht die Aufgabe der Verteidiger, ein Plädoyer zu halten, das der Angeklagten gefällt, wenn es offensichtlich niemanden sonst überzeugen kann. Wer – nur um der Mandantin zu gefallen – ihre Taten verharmlost, macht sich mit ihr gemein. Er nutzt noch nicht einmal der Mandantin. Ein solches Plädoyer birgt im Gegenteil erhebliche negative Langzeitfolgen für die Angeklagte. Frau Zschäpe wird sich umso länger noch als Opfer fühlen, das zu Unrecht verurteilt wurde, eine Anschauung, die die wirkliche Auseinandersetzung der von ihr begangenen Straftaten erheblich verzögern wird. Ohne Auseinandersetzung mit ihren Taten hat sie allerdings keine Chance auf Haftentlassung.

Eberhard Reinecke