Erdogans Berufung – das wird wohl nichts

In meinem Beitrag „Kollegen und Krähen“ hatte ich mich zu Prof. Dr. Schertz einem der Rechtsanwälte im Verfahren Böhmermann ./. Erdogan geäußert und ihn als absoluten Kenner der Materie bezeichnet. Zum neuen Prozessvertreter von Herrn Erdogan, dem Kölner Kollegen Kaplan, hatte ich mich nicht geäußert.Gelegentlich  treffe ich den Kollegen Kaplan im NSU-Verfahren in München, wo er mir eher als zurückhaltender Kollege in Erinnerung ist, der auch sehr viel Wert auf die Weisungen seines Mandanten legt.

Dieser hatte dem Kollegen ausdrücklich untersagt, sich an politischen Erklärungen zu beteiligen. Wenn der Kollege nunmehr wohl dem Spiegel seinen Schriftsatz im Verfahren Erdogan zur Verfügung stellt und auch noch ein Interview gibt, so wird man davon ausgehen müssen, dass dieses Vorgehen mit Herrn Erdogan abgesprochen war (außer vielleicht die Wendung mit Lukas Podolski). Trotzdem stellt er sich nun so in die Öffentlichkeit, dass vielleicht doch die eine oder andere Anmerkung zu dem Ziel gestattet sei, im jetzigen Verfahren ein vollständiges Verbot des (Schmäh oder Nichtschmäh)gedichtes zu erreichen.

Rechtsanwalt Kaplan hatte nach der Mandatsübernahme eingeräumt, dass er zwar nicht häufig zivilrechtlich unterwegs sei aber das vorliegende Verfahren auch etwas mit dem Strafparagrafen der Beleidigung zu tun habe. Unbestritten, doch die großen Auseinandersetzungen um die Meinungsfreiheit werden in den letzten 20 Jahren fast ausschließlich in Zivilverfahren geführt.

Wer wie der Kölner Kollege Fußballfan (FC-Köln) und Rechtsanwalt ist, der sollte allerdings wissen, dass nicht nur der Pokal, sondern auch das einstweilige Verfügungsverfahren seine eigenen Gesetze hat. Im Verfügungsverfahren geht nicht nur um den Anspruch selbst, sondern auch zusätzlich um die Eilbedürftigkeit. Erdogan hat allerdings keine eigene Berufung eingelegt, sondern nunmehr (ca. 4 bis 5 Monate nach der Urteilszustellung) eine sogenannte Anschlussberufung. Damit dürfte aber nach allen bisherigen gerichtlichen Entscheidungen von Oberlandesgerichten (der BGH kann in diesen Fragen nicht entscheiden, da im einstweiligen Verfügungsverfahren der Instanzenzug beim OLG endet) eine Eilbedürftigkeit nicht mehr vorliegen wie z.B. das OLG München bereits in einem vergleichbaren Fall entschieden hat:

Leitsatz: Legt ein Antragsteller im Verfahren der einstweiligen Verfügung gegen ein seinen Antrag teilweise zurückweisendes Urteil nicht selbst Berufung ein, sondern schließt er sich erst nach Ablauf der Berufungsfrist der Berufung des Antragsgegners an, so fehlt es an einem Verfügungsgrund, weil er dadurch gezeigt hat, dass er die Sache hinsichtlich des zunächst abgewiesenen Teils seines Antrags nicht als eilbedürftig ansieht.

Aus den Gründen: … Jedenfalls das weitere Vorgehen der Antragstellerin nach der teilweisen Zurückweisung ihres Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im ersten Rechtszug zeigt unzweifelhaft, dass sie selbst nicht von der Notwendigkeit einer einstweilige Verfügung auch in dem Umfang, in dem ihr Antrag zurückgewiesen worden war, ausgegangen ist. Denn sie hat das Verfahren nicht nur zögerlich weiter verfolgt (vgl. Schmukle , in: Ahrens , der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl. 2005, Kap. 45 Rz. 49; Berneke , Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl. 2003 Rz. 88; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl. 2002, Kap. 54 Rz. 24; jeweils zum hinsichtlich der Dringlichkeitsschädlichkeit gleich gelagerten Wettbewerbsrecht), sondern sogar die Möglichkeit, eine ihr günstige Entscheidung herbeizuführen, durch das Verstreichenlassen der Frist zur Einlegung einer eigenständigen Berufung gänzlich aus der Hand gegeben. Ihre Bereitschaft, die ihr ungünstige Entscheidung des Landgerichts hinzunehmen, obwohl sie mit der Berufung eine Möglichkeit gehabt hätte, ihr Anliegen weiter zu verfolgen, zeigt, dass sie ein Verbot, das über die vom Landgericht erlassene einstweilige Verfügung hinausging, nicht für erforderlich erachtet hat. Die Annahme, die Sache sei eilbedürftig, ist deshalb nicht mehr gerechtfertigt, soweit sie Gegenstand der Anschlussberufung ist. (OLG München, Urteil vom 13. Januar 2005 – 29 U 4223/04 –, Rn. 36, juris)

Von daher dürfte schon jetzt feststehen, dass im einstweiligen Verfügungsverfahren das angestrebte Totalverbot nicht mehr erreicht werden kann und zwar unabhängig davon, ob es in der Sache gerechtfertigt ist. Da wir Herrn Erdogan nicht beraten, verraten wir auch nicht, was man tun müsste, um jetzt doch noch das angestrebte Gesamtverbot zu erreichen.

Zum weiteren Inhalt des Interviews des Kollegen wollen wir hier nicht gross Stellung nehmen. Ob tatsächlich durch das Gedicht „das ganze türkische Volk“ beleidigt wurde, können wir nicht beurteilen, wir wissen auch nicht so richtig wer darunter fällt (Gülen Anhänger? Erdogans Gegner? auch deutsche Staatsbürger wie der Kollege Kaplan?). Für das Zivilverfahren dürfte dieses Argument ohne Bedeutung sein, da Kläger im Verfahren nicht „das ganze türkische Volk“ ist, sondern Herr Erdogan und zwar auch nicht als Vertreter des „ganzen türkischen Volkes“. Das ist übrigens ein Problem, dass sich auch manchmal im Strafrecht unter dem Stichwort „Sammelbeleidigung“ findet und zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht zur Parole ACAB mehrfach entschieden wurde. Danach steht fest: Die Beleidigung des „ganzen türkischen Volkes“ ist ebenso wenig strafbar wie die Beleidigung des „ganzen deutschen Volkes“. Wahrscheinlich hat der strafrechtlich versierte Kollege seinen Mandanten auf diese Probleme hingewiesen, aber Erdogan besteht offenbar darauf, dass die Beleidung des ganzen türkischen Volkes vorgetragen wird.

Eberhard Reinecke

Um von vornherein allen Gerüchten entgegenzutreten: Ich habe diesen Artikel nicht geschrieben, weil ich selbst Werder-Fan bin.