Je näher die Verurteilung rückt, desto schriller werden die Töne der Verteidigung

Zum Haftbeschluss gegen Wohlleben und der Orgie
von Befangenheitsanträgen

Diese Woche ging es mal wieder mit Befangenheitsanträgen Schlag auf Schlag. Pünktlich am Mittwochmorgen wurde ein Beschluss verteilt, in dem dem Senat des Oberlandesgerichtes bestätigt wurde, nicht gegenüber Frau Zschäpe und Herrn Wohlleben befangen zu sein. Das verwundert nicht, allerdings hatte dieser letzte Befangenheitsantrag einige Besorgnis in der Presse ausgelöst.

Eine falsche Wortwahl des Gerichtes soll vorgelegen haben, weil das Gericht „nach der letzten Straftat der angeklagten Personen“ geschrieben hatte statt „nach der letzten den Angeklagten zur Last gelegten Tat“ (o.ä). Immerhin konstatierten die Richter, die über das Befangenheitsgesuch entschieden, eine „weniger geglückte Formulierung“. Einen ähnlichen Befangenheitsantrag hatten wir schon einmal vor zwei Jahren. Damals war einem der seinerzeit noch mit Frau Zschäpe zusammenarbeitenden Verteidiger „aufgefallen“, dass einer der Beisitzer auf seinem Ordner mit persönlichen Notizen die Aufschrift „HV-NSU“ angebracht hatte. Auch hier sollte die Aufschrift belegen, dass dieser Richter von der Existenz der Terrorgruppe ausging, die doch erst im Rahmen des Verfahrens festgestellt werden sollte.
Mittwochabend wurde dann der Beschluss zur Haftfortdauer Wohlleben verteilt worauf Donnerstag früh der nächste Befangenheitsantrag folgte, weil das Gericht angeblich bei der vorläufigen Bewertung der Einlassung Wohlleben den Zeitpunkt der Einlassung (erst nach mehr als 250 Verhandlungstagen) bewertet hätte, was nun eindeutig nicht der Fall ist.

Nutzen von Befangenheitsanträgen

Befangenheitsanträge haben durchaus etwas Verlockendes. Das Revisionsgericht überprüft diese – wenn in erster oder zweiter Instanz das Landgericht verhandelt hat – nicht etwa nur auf Rechtsfehler, sondern nach sogenannten Beschwerdegrundsätzen. Das Revisionsgericht darf also hier Tatsachen anders werten als das Landgericht. Auch ein Weiteres macht auf den ersten Blick Befangenheitsanträge so verlockend: Wird ein Befangenheitsantrag zu Unrecht zurückgewiesen, so stellt dieses in diesen Fällen einen absoluten Revisionsgrund dar (§ 338 Zif.3 StPO). Es interessiert dann also nicht, ob das Urteil darauf beruht, also ob ein anderer Richter anders entschieden hätte. Das ist selbst dann irrelevant, wenn bei einem erfolgreichen Befangenheitsantrag ein „besonders scharfer Hund“ Richter geworden wäre und das Urteil für den Angeklagten vielleicht noch schlimmer ausgefallen wäre.

Gegenüber dem eigenen Mandanten wird demonstriert, dass der Anwalt nicht mit dem Gericht kuschelt. Darüberhinaus können mit einem Befangenheitsantrag auch noch einmal  öffentlichkeitswirksam bestimmte Fragen hervorgehoben werden. So ist auch die Verlockung groß, vermeindliche Rechtsfehler des Gerichtes als Ausdruck der Befangenheit zu werten und damit gleichzeitig das Gericht zu zwingen, zu den Fragen Stellung zu nehmen. Allerdings sagt der BGH:

Rechtsfehler können für sich genommen eine Ablehnung der mitwirkenden Richter grundsätzlich nicht begründen; etwas Anderes gilt jedoch, wenn die von den abgelehnten Richtern getroffene Entscheidung bzw. die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung sich als rechtlich völlig abwegig erweist oder gar als willkürlich erscheint (Festhaltung BGH, 12. November 2009, 4 StR 275/09, NStZ 2010, 342).

Befangenheitsentscheidungen des OLG sind unanfechtbar

Bei erstinstanzlichen Verfahren beim Oberlandesgericht sind Befangenheitsanträge eine weitgehend brotlose Kunst – mal von dem Öffentlichkeitsaspekt abgesehen. Ständige Rechtsprechung des BGH ist:

Die Revision gegen ein erstinstanzliches Urteil des Oberlandesgerichts kann grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, das Gericht habe ein Ablehnungsgesuch gegen einen erkennenden Richter zu Unrecht verworfen (Festhaltung BGH, 5.Januar 1977, 3 StR 433/76 (L), BGHSt 27, 96).

Hintergrund dieser Rechtsprechung, die scheinbar im Widerspruch zum klaren Wortlaut von § 338 Nr.3 StPO steht, ist, dass die Anfechtung der Befangenheitsentscheidung zwar in der Revision erfolgt, aber wie eine Beschwerde behandelt wird. Nun ist allerdings das Beschwerderecht gegen Beschlüsse des Oberlandesgerichtes stark eingeschränkt. Nach § 304 StPO gibt es grundsätzlich keine Beschwerde gegen Entscheidungen des Oberlandesgerichtes als Tatsacheninstanz. Die Entscheidungen des OLG zur Befangenheit sind deswegen grundsätzlich unanfechtbar. Anders als in anderen Verfahren kann die Verteidigung deshalb auch nicht den absoluten Revisionsgrund geltend machen. Das Einzige was bleibt ist eine Verfassungsbeschwerde, weil durch eine unzutreffende Behandlung des Ablehnungsgesuches die Angeklagten ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden seien (beim Erfolg des Befangenheitsgesuchs wären ja andere Richter zuständig gewesen). Diese Trauben hängen allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes deutlich höher:

„Eine „Entziehung“ des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt“ (Rdn,41)

Besorgnisse darüber, das Verfahren sei gefährdet, weil angeblich das Gericht irgendwann einmal ein falsches Wort gewählt hätte, sind danach nicht angebracht.

Warum Befangenheitsanträge auch ansonsten selten erfolgreich sind.

Das Befangenheitsrecht versucht den typischen Spagat zwischen aufgeklärten rechtsstaatlichen Grundsätzen einerseits und der Notwendigkeit, Strafverfahren zu Ende zu führen andererseits.
So klingt es für Angeklagte – oder auch für Parteien im Zivilverfahren – zunächst einmal recht positiv, wenn betont wird, dass es nicht um die Frage geht, ob der Richter tatsächlich befangen ist, sondern dass bereits der Anschein der Befangenheit ausreicht. Noch besser wird das Ganze, wenn man dann liest, dass es für den Schein auf die Sicht der Partei (des Angeklagten) ankommt. Bliebe das Ganze so stehen, so würde wahrscheinlich selten ein Prozess zu Ende geführt. Dass ein Richter aus Sicht eines Angeklagten befangen ist oder befangen sein muss, wenn er andere Meinungen vertritt als der Angeklagte oder gar – im Zivilverfahren – sich auch noch mit der fiesen Gegenpartei freundlich unterhält, steht ja sowieso schon mal fest. Ginge es also nur um den Anschein der Befangenheit aus Sicht der Partei/des Angeklagten, könnten viele Prozesse blockiert werden. Hier hilft sich die Justiz dann – wie auch sonst so oft – mit einer Kunstfigur, einem echten Homunculus. Kennen wir im Zivilrecht den „durchschnittlichen Betrachter“ oder auch den „typischen Konsumenten“ der beim Verständnis von Verträgen, von Werbungen etc. heranzuziehen ist (aber natürlich meist der Richter selbst ist), so handelt es sich beim Befangenheitsantrag um den Homunculus des „verständigen Angeklagten/Partei“. Nun dürften die meisten Richter in ihrem Leben noch nie Angeklagter gewesen sein. Von daher können sie eigentlich auch keine Vorstellung davon haben, was ein „verständiger“ Angeklagter ist. Das macht aber eigentlich gar nichts, weil gerade dies die Möglichkeit eröffnet, in die Figur des „verständigen“ Angeklagten alles das hineinzuinterpretieren, was dem konkreten Angeklagten so abgeht. Und da ein „verständiger“ Angeklagter bereits im Grundsatz an der Unparteilichkeit des Gerichtes nicht zweifelt, muss es schon ziemlich dicke kommen, bevor dieser Homunculus zu Recht den Anschein der Befangenheit vermuten darf. Also sagt der BGH:

Die Ablehnung eines Richters ist nach § 24 Abs. 2 StPO nur gerecht fertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zur Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Mai 2014 – 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372 f. mwN). Allein das Misstrauen als rein subjektives Empfinden des Ablehnenden genügt demnach nicht (BGH, Urteil vom 13. März 1997 – 1 StR 793/96, BGHSt 43, 16, 18). (Rdn.29)

Was man als Richter nicht machen sollte

Nur selten führen daher auch in Verfahren beim Landgericht, in denen der Bundesgerichtshof die Entscheidung in vollem Umfang überprüft, zur Aufhebung. Da muss man schon – wie jüngst geschehen – als Vorsitzender einer Strafkammer eine eigene Facebook-Seite unterhalten und sich dort auch noch mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause, JVA“ präsentieren. Das ging zwar nicht seinen Berufskollegen am Landgericht, wohl aber dem Bundesgerichtshof zu weit. Man könnte natürlich fragen, wie dämlich eigentlich ein Richter sein muss, der eine solche Facebook-Seite unterhält, berechtigter ist allerdings die Vermutung, dass diesem Richter sein Amt als Vorsitzender zu Kopf gestiegen ist und er offenbar meint, als König regieren zu dürfen.

Von solchen krassen Beispielen abgesehen gibt es aber nur selten Fälle. Man sollte allerdings auch nicht zu einem Verteidiger sagen: „Unter uns gesagt, machen Sie sich doch nichts vor, die Drei gehören dahin, wo sie sind, und zwar ganz lange und ganz tief. Solche Leute haben in Freiheit nichts zu suchen“ (3 StR 283/14) Da stolpern die Gerichte eher darüber, dass sie selbst über die Befangenheitsanträge entscheiden (weil sie diese für unzulässig halten) und sich nicht die Zeit nehmen, ihre Kollegen entscheiden zu lassen. Wenn man ansonsten noch darauf achtet, keine Geheimgespräche mit einer der Parteien bzw. Staatsanwaltschaft und/oder Verteidiger zu führen, Zeugen nicht heimlich zu befragen kann es kaum Probleme mit der Befangenheit geben.

Festlegung des Gerichtes auf den „dringenden Tatverdacht“

Das Gericht darf sich nicht endgültig festgelegt haben, weil es sonst befangen ist. Gleichzeitig muss es aber im Rahmen der Haftentscheidung über den dringenden Tatverdacht entscheiden. Mit dem Haftbeschluss wird die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet und gleichzeitig gibt der Senat zu erkennen, was er von der Einlassung von Ralf Wohlleben hält. Sprachlich gibt das Gericht sich in diesem Beschluss keinerlei Blöße. Ich habe einmal durchgezählt und komme auf 17 Stellen in denen das Gericht (auf ca. 10 Seiten Begründung) den „vorläufigen Charakter“ bzw. die „vorläufige Bewertung“ betont. Wird das Wohlleben viel nützen? Wohl kaum. Das ergibt sich schon aus dem Charakter einer solchen Haftentscheidung. Wesentliche Voraussetzung ist in jedem Fall die Bejahung eines „dringenden Tatverdachtes“. Der dringende Tatverdacht entspricht nicht der vollständigen Überzeugung des Gerichtes für den Fall der Verurteilung, nähert sich diesem Grad der Gewissheit aber immer mehr an. Bei erstmaliger Verkündung eines Haftbefehles – oft kurz nach einer Tat – sind die Anforderungen an die Beweisdichte für die Bejahung des dringenden Tatverdachtes natürlich nicht so hoch, wie im Zeitpunkt der Anklageerhebung und der Eröffnung des Hauptverfahrens. Im Laufe des Verfahrens steigern sich notwendig die Anforderungen an den dringenden Tatverdacht und wenn das Oberlandesgericht in dem Beschluss davon ausgeht, dass fast sämtliche Beweismittel im Zusammenhang mit dem Vorwurf gegen Wohlleben bereits geprüft wurden und es weiter bei einer „vorläufigen Bewertung“ die Angaben von ihm „jedenfalls zum Kernbereich des Vorwurfes teilweise unglaubhaft“ hält, so wird Wohlleben sich kaum Hoffnung machen können, dass diese „vorläufige“ Einschätzung sich noch bis zur Urteilsverkündung wesentlich ändern kann. Hätte das Gericht zum jetzigen Zeitpunkt erhebliche Zweifel daran, dass Wohlleben verurteilt werden könnte, dürfte es den dringenden Tatverdacht nicht annehmen. Es muss sich aber zum dringenden Tatverdacht positionieren, um eine Haftentscheidung zu treffen. Dann nützen Wohlleben auch die 17-fache Betonung der Vorläufigkeit ziemlich wenig – außer dass der Sprache genüge getan ist. Manchmal hoffen dann Angeklagte noch auf die erforderlichen unterschiedlichen Mehrheiten. Für die Haftentscheidung reicht die einfache Mehrheit (3:2), für die Verurteilung braucht es eine 2/3 Mehrheit (4:1). Bisher hat man allerdings nicht den Eindruck, dass die Bestätigung des dringenden Tatverdachtes nicht von allen Mitgliedern des Senates mitgetragen wird.
Es sind wenig Fälle in der Rechtsgeschichte bekannt, in denen noch kurz vor der Urteilsverkündung der dringende Tatverdacht bejaht wurde (den im Grundsatz das Gericht sogar von Amts wegen täglich neu prüfen müsste) und wo dann trotzdem keine Verurteilung erfolgte. Umgekehrte Fälle gibt es häufiger. Im Laufe der Hauptverhandlung verstärkt sich der Tatverdacht und es droht eine hohe Strafe. Dann wird der Angeklagte schon vor dem Urteil in Haft genommen.
Sucht man nach Fällen, in denen das Gericht im letzten Moment die Richtung änderte fällt einem allerhöchstens das Verfahren gegen Fritz Teufel wegen Entführung des CDU-Politiker Lorenz ein, in dem allerdings die Änderung der Auffassung des Gerichtes nicht etwa durch flammende Plädoyers der Verteidiger herbeigeführt wurde, sondern dadurch, dass Fritz Teufel in seinem Schlusswort ein Alibi aus dem Hut zauberte, das sogar bewiesen werden konnte (im Gegensatz zu dem „B-Libi“ (Fritz Teufel), das zwar existiert aber nicht bewiesen werden kann). Nun steht in unserem Verfahren aber weder zu erwarten, dass Wohlleben noch irgendeinen Trumpf im Ärmel hat, noch dass seine Verteidiger im Rahmen des Plädoyers so viel wesentlich neue Argumente bringen, dass verhindert werden könnte, dass die „vorläufige“ Bewertung auch zur endgültigen wird. Schließlich hat man nicht den Eindruck, dass die vom Gericht so stark betonte „Vorläufigkeit“ mit Oberflächlichkeit verwechselt werden könnte, d.h. das Gericht wird sorgfältig alle bisherigen Beweismittel abgewogen haben.

Eberhard Reinecke

P.S. Auch wenn heute (25.2.) mögliche Termine bis Anfang Januar 2017 mitgeteilt wurden, gehe ich davon aus, dass die relevanten Teile der Beweisaufnahme – insbesondere im Hinblick auf den Angeklagten Wohlleben – abgeschlossen sind.