„Nur“ drei Monate Zwangsmitgliedschaft sind auch zu viel

Probleme des Amtsgerichtes beim Kirchenaustritt dürfen nicht zulasten der (Un)Gläubigen gehen.

Davon träumt jeder Geschäftemacher: Der Eintritt in den Klub oder die wiederkehrende Bestellung (z.B. Zeitschriften) ist außerordentlich einfach, vielleicht sogar mit einem Klick möglich. Der Austritt hingegen oder die Kündigung kann nur persönlich erfolgen, am besten noch bei einer Stelle mit begrenzten Öffnungszeiten. Natürlich ist das im normalen Leben nicht möglich, derartige Verträge wären unwirksam, diverse Wettbewerbsvereine würden gegen Geschäftemacher vorgehen, die derartiges versuchen. Allerdings gibt es Institutionen, die diese Art des Geschäftemachen zu ihrem Leitbild erhoben haben: Die Kirchen. Der Eintritt ist einfach, der Austritt schwierig.

Mitglied der Kirche wird man durch Taufe. Oder mit den Worten des Bundesverfassungsgerichtes in einer fast 50 Jahren alten Entscheidung, die durchaus einmal korrigiert werden könnte:

Die Zugehörigkeit zu der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins ist keine Zwangsmitgliedschaft. Eine solche könnte nach Art. 4 Abs.1 GG – unbeschadet einer etwaigen theologischen Legitimierung im innerkirchlichen Bereich – nicht Grundlage der Kirchensteuerpflicht sein. Zunächst ist schon durch die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an die in einer evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde vollzogene Taufe hinreichend sichergestellt, dass ein Kirchenangehöriger für die Kirchensteuer nicht ohne oder gegen seinen Willen der steuerberechtigten Kirche zugeordnet wird. Für den Regelfall der Kindestaufe erklären die sorgeberechtigten Eltern die Bereitschaft zur Erziehung des Kindes in diesem Bekenntnis. Dabei wissen sie, dass diesem Akt herkömmlich die Bedeutung der Zugehörigkeit zu der entsprechenden Kirche beigemessen wird.

Nun könnte man sagen, dass die Kirchen dies tatsächlich selbst regeln können. Konsequent wäre dann natürlich auch, dass für die weiteren Lebensschritte auch das Kirchenrecht gilt. So etwa wird man in der katholischen Kirche erst durch die Firmung „Vollbürger im Reiche Christi“, ähnlich in der evangelischen Kirche mit der Konfirmation. Man konnte also auf die Idee kommen das jemand der nicht zur Firmung/Konfirmation geht, auch nicht mehr Angehöriger der Kirche ist.

Allerdings weit gefehlt: Mit der Mitgliedschaft in der Kirche hängt schließlich der Anspruch auf Kirchensteuer zusammen, und da interessiert es die Kirche wenig, ob irgendjemand jemand „Vollbürger im Reiche Christi“ ist. Da kann man auch Atheist(in) sein, Hauptsache die Steuer fließt. Die Absurditäten dieses Kirchenstandpunktes waren Gegenstand eines Verfahrens beim Verwaltungsgericht Berlin, in dem wir tätig waren, und über das wir auch hier berichtet hatten.

Verzögerter Kirchenaustritt wegen Corona

Der Austritt verlangt einen Hürdenlauf, von dem alle Geschäftemacher träumen. Man tritt nicht etwa durch eine schlichte Erklärung gegenüber dem Verein, in den einen die Eltern angemeldet haben, aus. Wirksam ist der Austritt nur, wenn er gegenüber staatlichen Behörden erklärt wird, dort auch nicht etwa mit einfachem Schreiben, sondern mit einem persönlichen Besuch, in Nordrhein-Westfalen beim Amtsgericht. Gebühren für diesen Besuch werden auch noch erhoben (und zwar vom Austretenden, nicht von der Kirche, für die eigentlich die Dienstleistung des Staates erfolgt).

Nun allerdings kündigen genau diese Behörden „wegen Corona“ an, nur wenige Termine für die Masse der (Un)Gläubigen zur Verfügung stellen zu können, die aus der Kirche (mit guten bis sehr guten Gründen) austreten wollen. In Köln etwa können Termine frühestens für den März vereinbart werden. Jetzt wird allerdings die Frage interessant, ob das Amtsgericht verpflichtet ist, auch rückwirkend ein Kirchenaustritt zu bescheinigen: Immerhin heißt es ja in der oben bereits zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes auch:

Belastende Rechtsfolgen für das Kind werden an die Taufe in der Regel erst in einem Zeitpunkt angeknüpft, in dem es die Religionsmündigkeit erlangt hat und daher jederzeit durch Austritt seine Mitgliedschaft beenden kann. Wird die Mitgliedschaft gleichwohl aufrechterhalten, so liegt darin ein Element der Freiwilligkeit, das es ausschließt, von einer Zwangsmitgliedschaft zu sprechen.

Spätestens von dem Zeitpunkt an, in dem ich schriftlich gegenüber dem Amtsgericht mein Austritt erklärt hat, verwandelt sich meine bisherige „freiwillige“ Mitgliedschaft in der Kirche in eine Zwangsmitgliedschaft, wenn ich eben tatsächlich nicht „jederzeit“ austreten kann. (Wir lassen hier einmal weg, dass es außerhalb dieser Entscheidung juristisch äußerst gewagt ist, aus einer Untätigkeit (Nichtaustritt) auf eine positive Erklärung – freiwillige Mitgliedschaft – zu schließen.) Im Übrigen werden bekanntlich Fristen (wie z.B. Klagefristen) von dem Zeitpunkt an gehemmt, in dem die entsprechenden Schreiben beim Gericht eingegangen sind. Verzögerte Bearbeitung bei den Gerichten führt regelmäßig nicht zu Nachteilen für die Parteien.

Es wird also spannend, ob die Kirchen das Privileg erhalten, nicht nur „trotz Corona“  Versammlungen in geschlossenen Räumen (Gottesdienste) durchführen, sondern auch „wegen Corona“ ein bisschen Zwangsmitgliedschaft. Näheres und Formschreiben zu alldem kann man auch noch hier nachlesen.

Update:
Mitlerweile (18.4.2021) berichtet auch die Presse über den fortwährenden Skandal unzureichender Termine, hier die Westdeutsche Zeitung.

Eberhard Reinecke