Die Berliner Pressekammer – ein Fall für den Staatsanwalt?

Sie haben es wieder getan. Wir hatten bereits früher darüber berichtet, mit welcher Dreistigkeit die Berliner Pressekammer Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes in einstweiligen Verfügungsverfahren ignoriert. Wir sprachen damals von einer Höchststrafe für das Landgericht Berlin die Pressekammer Berlin. Jetzt werden wir hier Lügen gestraft. Es geht noch heftiger. Das Bundesverfassungsgericht rügte die Pressekammer stellte die Vollstreckung aus deren einstweiligen Verfügung ein und machte Ausführungen, die den Staatsanwalt aufhorchen lassen müsste.

Das Vorgehen der Berliner Pressekammer war besonders dreist. Der Sache nach ging es um einen ehemaligen Fußballer, dem der Besitz von Kinderpornographie vorgeworfen wird. Nachdem das Verwaltungsgericht Düsseldorf eine Presseerklärung des Amtsgerichtes für zulässig erachtet hatte, berichtete wohl auch der Springer-Konzern über den Fußballer (natürlich nicht ganz so zurückhaltend, wie das Amtsgericht). Dagegen ging selbiger Fußballer – besser wohl dessen Anwälte – gerichtlich vor, natürlich bei einer der Pressekammern, die ein großen Herz für den Wunsch nach Anonymität haben. Nach einer 20-seitigen Abmahnung, auf die nicht reagiert wurde, wurde ein Verfügungsantrag mit einer Reihe Anträgen gegen die Berichterstattung des Springer Konzerns gestellt. Der Antrag enthielt gegenüber der Abmahnung wesentlichen Erweiterungen und zusätzlichen Beweismittel (eidesstattliche Versicherung). Entgegen der Verpflichtung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes die Antragsgegner anzuhören, korrespondierte das Gericht nur mit dem Antragsteller und schlug ein mögliches Verbot vor. Auch diese Hinweise wurden dem Springer-Verlag nicht mitgeteilt, sodann die einstweilige Verfügung erlassen, die entsprechend des Hiweis dahin ging,

über das „Geständnis“ des Antragstellers zu berichten, ohne darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller selbst kein Geständnis abgelegt habe, vielmehr lediglich eine Einlassung seines Verteidigers gegenüber der Staatsanwaltschaft vorliege, deren Verwertbarkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht feststehe.

(Dass ein solches Verbot ziemlich witzlos ist und eigentlich nur dazu dient, die Presse zu disziplienieren und Kosten zu produzieren müsste Gegenstand eines anderen Artikels sein). Man fragt sich, wie kommt die Pressekammer dazu, sich so über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinwegzusetzen? Vielleicht hatte das Landgericht Berlin gedacht, dass das Bundesverfassungsgericht müde geworden ist, immer wieder falsche Entscheidungen der Landgerichte aufzuheben. In letzter Zeit hatte das Verfassungsgericht in einer Vielzahl von Entscheidungen zwar nicht das Vorgehen der Gerichte gebilligt, wohl aber die Voraussetzungen für eine Verfassungsbeschwerde als nicht gegeben gesehen (1 BvR 1379/20, 1 BvR 1422/20, 1 BvR 1617/20, 2 BvQ 65/20). Doch das Vorgehen der Pressekammer Berlin ging erkennbar auch dem Bundesverfassungsgericht zu weit, das seine Grundsätze ausführlich wiederholt. Das Ganze kulminiert in folgendem Satz:

Nach diesen, der Pressekammer des Landgerichts Berlin nicht zuletzt aus dem Verfahren Az. 1 BvR 1380/20 bekannten Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

Also halten wir fest: Die Rechtsprechung der Pressekammer verletzt „offenkundig“ grundrechtsgleiche Rechte und der Kammer ist das bekannt. Richtig verstanden bedeutet dies eigentlich nichts anderes als der Hinweis an die Staatsanwaltschaft einem Verdacht der Rechtsbeugung nachzugehen. Entgegen verbreiteter Auffassung liegt Rechtsbeugung nicht (erst) dann vor, wenn das Ergebnis eines Rechtsstreites falsch entschieden wird, vielmehr kann das Recht auch „bei Leitung der Rechtssache“ gebeugt werden. Das gilt natürlich insbesondere dann, wenn fundamentale Rechtsschutzgarantien vom Gericht missachtet werden. So sagt der BGH (3 StR 498/14):

Rechtsbeugung kann zwar auch durch Verletzung von Verfahrensrecht begangen werden (BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383; vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343). ….  Bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht kann neben dessen Ausmaß und Schwere insbesondere auch Bedeutung erlangen, welche Folgen dieser für die Partei hatte, inwieweit die Entscheidung materiell rechtskonform blieb und von welchen Motiven sich der Richter leiten ließ.

Und das Landgericht Wuppertal

Ein Richter, der durch falsche Anwendung von Verfahrensvorschriften einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege begeht und sich damit in schwerwiegender Weise vom Gesetz entfernt, indem er betreuungsrechtliche Entscheidungen ohne Einhaltung der zwingend einzuhaltenden Verfahrensvorschriften trifft, macht sich wegen Rechtsbeugung strafbar.

Ein elementareres Verfahrensrecht als der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist nun kaum denkbar. Also müsste eigentlich die Staatsanwaltschaft bei diesem Offizialdelikt tätig werden.

Eberhard Reinecke

P.S. Eigentlich gehöre ich noch zur Generation „Enteignet Springer“. Man nehme diesen Beitrag also nicht als Parteinahme für Springer, sondern als Verteidigung von Rechtsgrundsätzen, auf die auch andere angewiesen sind.