Aussageverweigerung und Auskunftsverweigerung – Probleme im NSU-Verfahren?

Am Dienstag (18.03.2014) war es wieder einmal so weit. Der Zeuge Enrico T. sollte vernommen werden. Er spielt eine Rolle beim Weg der Pistole Ceska 83 (Mordwaffe in 9 Fällen) von der Schweiz bis zum Trio, und bewegte sich im Grenzbereich zwischen dem rechten und sonstigen kriminellen Milieu. Nach Diskussionen um die zutreffende Belehrung für diesen Zeugen im Hinblick auf eine mögliche Selbstbelastung fand die Vernehmung nicht statt. Der Zeuge wird erneut erscheinen, diesmal mit einem Zeugenbetreuer. Es steht allerdings zu erwarten, dass der Zeuge dann keine Angaben machen wird, wie bereits der Zeuge Andreas S., der dem Angeklagten Carsten S. diese Pistole verkauft haben soll, die dann entsprechend der Absprache mit dem Angeklagten Wohlleben an das Trio gelangte.

Schon Andreas S. hatte die Auskunft vollständig verweigert, was damals teilweise in der Presse als eine„kleine juristische Sensation“ angesehen wurde, obwohl nach meiner Auffassung dies eher der sehr weiten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entspricht. Doch Aussageverweigerung und Auskunftsverweigerung haben völlig andere Voraussetzungen und auch Konsequenzen.

Aussageverweigerung für nahe Angehörige

Die Aussageverweigerung steht im wesentlichen nahen Angehörigen zu, diese muss nicht begründet werden, darf nicht gewertet werden und hat darüber hinaus erhebliche zusätzliche Auswirkungen:

Insbesondere dürfen in einem solchen Fall auch frühere Vernehmungen nicht verwertet werden. Weder dürfen sie verlesen, noch durch die Vernehmungspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Zwar kann sich der jeweilige Zeuge mit einer Verwertung früherer Angaben einverstanden erklären, regelmäßig geschieht dies nicht. So etwa liefen dann auch die Vernehmungen z.B. der Mutter von Frau Zschäpe oder der Ehefrau des Angeklagten E. kurz ab, nach Belehrung über ihr Aussageverweigerungsrecht machten sie davon Gebrauch, die Frage des Gerichts, ob frühere Angaben verwertet werden könnten, verneinten sie. Damit ist all das tabu. Eine solche Aussageverweigerung kann erhebliche günstige Wirkung für Täter haben. So etwa in Körperverletzungsverfahren gegen prügelnde Ehemänner. Haben diese es dann, vor der Hauptverhandlung ihre Frauen zur Rückkehr zu bewegen (und das kommt leider viel zu häufig vor) und verweigern die Ehefrauen dann die Aussage, bleibt in vielen Fällen nur der Freispruch, da es häufig sonstige Zeugen für die Prügeleien nicht gibt.

Im NSU Verfahren allerdings sind die Angaben der Mutter von Beate Zschäpe eher marginal für den Ausgang des Verfahrens.

Auskunftsverweigerung: Die Stunde der Vernehmungsbeamten

Anders verhält die Sache sich hingegen bei einem Auskunftsverweigerungsrecht. Diese (geregelt in § 55 StPO) gibt an sich  nur das Recht, die Beantwortung einzelner Fragen zu verweigern. Es besteht also kein Recht, generell Auskünfte zu verweigern. Voraussetzung für die Verweigerung ist, dass eine wahrheitsgemäße Beantwortung zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen kann. Entscheidend dabei ist allerdings, dass es nicht um eine (gefürchtete) eigene Verurteilung geht, sondern dass es völlig ausreichend ist, wenn eine wahrheitsgemäße Antwort auch nur zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens führen könnte. Wurde z.B. bereits einmal ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und ist dieses zwar eingestellt, der mögliche Tatvorwurf aber nicht verjährt, besteht ein Auskunftsverweigerungsrecht.

Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht dehnen dieses Recht allerdings nach der „Mosaiktheorie“ sehr weit aus. So kann etwa schon die Antwort, ob der Zeuge zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort gewesen ist, von seinem Auskunfts­verwei­gerungsrecht umfasst sein, wenn es theoretisch denkbar ist, dass später durch andere Zeugen  und Beweismittel herauskommt, das gerade zu dieser Zeit und an diesem Ort eine Straftat begangen wurde und deshalb auch nur ein Anfangsverdacht gegen den Zeugen entstehen kann. Die praktischen Auswirkungen dieser Auskunftsverweigerung sind allerdings gering. In diesen Fällen dürfen die Vernehmungsbeamten zu früheren Aussagen vernommen werden. Am Mittwoch (19.3.2014)  konnte man dann erleben, dass dies für die Angeklagten sicherlich nicht positiver ist, als die Vernehmung des unmittelbaren Zeugen. Ein Polizeibeamter berichtete über der Vernehmung des Andreas S. (des Waffenverkäufers). Ein springender Punkt (für die Frage, ob Wohleben und Carsten S. wissen konnten, ob die Pistole möglicherweise zum Töten dienen sollte) war dabei, ob der Schalldämpfer für die Pistole mitbestellt worden war, oder ob er ohne Bestellung draufgeben wurde (so die Behauptung von Carsten S). Der Zeuge hatte dazu in seiner dritten Vernehmung ganz eindeutige Erklärungen abgegeben:

„Es war definitiv so, dass die einen Schalldämpfer bestellt haben. Ich liefere doch nicht mehr, als ich liefern muss.“

Hätte der Zeuge selbst ausgesagt, so hätte man sich sicherlich mit Amnesie auseinandersetzen müssen, von der die Zeugen aus der rechten Szene in diesem Verfahren geradezu massenhaft befallen sind. So aber gibt es klare und eindeutige Angaben, die Versuche der Verteidigung, die Vernehmung in ein schiefes Licht zu rücken, scheiterten. Die Auskunftsverweigerung, für die sich gerade Rechtsanwalt Klenke so stark gemacht hatte, hat seinem Mandanten Wohleben nicht genutzt sondern eher geschadet.
Eberhard Reinecke