Wer solche „Aussteiger“ hat, braucht keine Einsteiger mehr

Am 4.12.2013 wurde bekannt, dass das BKA bei sage und schreibe 746 Tötungs­delikten neu prüfen wird, ob diese nicht eventuell einen rechtsextremistischen Hintergrund haben. In der Woche davor hatte der Cousin von Beate Zschäpe im NSU-Verfahren ein Beispiel dafür gegeben, was man auch unter „Ausstieg“ aus der rechten Szene verstehen kann. Am 10.12.2013 kam als „Aussteiger“ noch der Sohn der Nachbarin von Beate Zschäpe hinzu.Die frühere Bewertung von Straftaten, wie auch die Selbstbewertung der „Aussteiger“ zeigen,  welche  recht unterschiedliche und teilweise auch eigenwillige Interpretationen es dazu gibt, was rechts ist.

 Totschweigen statt Handeln

Es war schon lange bekannt, dass die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten – nicht nur Tötungen – sehr viel größer ist als in offiziellen Statistiken angegeben. Jahrelang wurde vor allen Dingen versucht, durch Totschweigen und statistische Tricks die Zahlen niedrig zu halten, ein absoluter Tiefpunkt sind die direkten Fälschungen der Statistik durch Otto Schily, über die im Jahre 2002 die Fernsehsendung Panorama berichtete.  (hier auch das youtube-Video).

Wer sieht, mit welcher Dreistigkeit Otto Schily hier rechtsextremistische Gewalt wegsta­tistikt, kann nur umso besser verstehen, dass er auch schon wenige Stunden nach dem Anschlag in der Keupstraße wusste, dass dieser keinen rechtsextremistischen Hintergrund hat. Aber selbst nach Bekanntwerden der NSU Taten hat sich hier zunächst wenig geändert, wie ein FR-Online Übersichtsartikel erläutert.

Rechte Gewalt beginnt bei Ausgrenzung und Diskriminierung

In vielen Orten scheint es wichtiger zu sein, rechtsextreme Gewalt zu leugnen, um nicht ins Gerede zu kommen, statt sich offensiv mit den Straftätern auseinanderzusetzen. Hier bleibt nunmehr zu hoffen, dass die Arbeit des BKA – weit über die Tötungsdelikte hinaus – Konsequenzen hat. Während mittlerweile die Forderung breite Zustimmung findet, in allen Fällen von Gewalttaten gegenüber Migranten auch einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund zu untersuchen, wird man die Gruppe der Betroffenen auf Obdachlose, Rollstuhlfahrer oder auch Punker ausdehnen müssen. Gerade diese sind oft Opfer rechter Gewalt, weil sie in der rechten Ideologie als „überflüssige Esser“, die „uns“ auf der Tasche liegen, angesehen werden, weil man ihnen gegenüber die eigene Überlegenheit (sei sie auch nur körperlicher Natur) besonders leicht demonstrieren kann. Wenn etwa jemand einem Rollstuhlfahrer einen NPD-Aufkleber auf die Stirn klebt und ihn mit Pfefferspray einsprüht, dann ist das eben nicht einfach dem Alkohol geschuldet, sondern vor allen Dingen auch der rechten Ideologie, selbst wenn der Ausstieg aus der Szene behauptet wird.

Was ist ein Aussteiger aus der rechten Szene?

In der letzten Novemberwoche demonstrierte Zschäpes Cousin was alles ein „Ausstieg“ aus der rechten Szene sein soll. Seit etwa 2000 habe er mit rechten Strukturen nichts zu tun, beteuerte er, Mitglied im Thüringer Heimat­schutz sei er nie gewesen, seit sieben bis acht Jahren lebe er auf Mallorca, habe zwar noch einige Freunde in Jena, aber nichts mit der rechten Szene zu tun. Dieses anheimelnde Bild wurde dann jäh gestört, als der Kollege Narin, dem wir hier für seine unermüdlichen Recherchen einmal danken wollen, ein Bild von der Facebook-Seite des Stefan A. präsentierte. Dort gab es ein Bild einer Puppe, die eine alte Dame darstellt, verbunden mit dem Slogan: „Lieber Geld für die Oma, als für Sinti und Roma“. Die Thüringer Allgemeine beschreibt richtig, wie der Zeuge dies verharmlost hat.

Dabei handelt es sich hierbei um einen Slogan der NPD aus der Bundestagswahl 2013, die sogar von dem Funktionär Udo Pasteurs als besonders gelungenes Beispiel für „humorvolles Anpolitisieren“ bezeichnet wird, wie gerade die Heute-Show gezeigt hat (im Video nach 30 Sekunden).

Mindestens von selben Kaliber war der „Ausstieg“ von Patrick K., der am 10.12.2013 vernommen wurde. Er ist der Sohn der Nachbarin, für die Zschäpe die „beste Freundin“ war. In ganz frühen Jahren, so etwa mit 14 (heutiges Alter 22), habe er einmal eine CD mit „verbotener Musik“ besessen, Frau Zschäpe habe ihm sogar geraten, sich von der rechten Szene fernzuhalten. Gelernt hat man dann, dass die Ausbildung zur Sicherheitsfachkraft mächtig auf das Erinnerungsvermögen drückt. Weil er seit einem Jahr geprüfte Sicherheitsfachkraft sei, habe er alles vorherige verdrängt. Schon in seiner polizeilichen Vernehmung aus dem Dezember 2011 äusserte er sich sehr zurückhaltend über „Susann“ (Zschäpe), selbst was er damals eher ungünstig für Zschäpe dargestellt hatte, hatte er jetzt schon wieder vergessen. Da war es doch gut, dass ihm noch im Frühjahr dieses Jahres die 250,00 € vom NDR für die Mitwirkung an der Homestory über Beate Zschäpe unter dem irreführenden Titel „Die Nazi-Morde“ die Zunge gelöst hatte. Dort trat er als ganz harter Rechter auf (etwa ab 38:30), der auf einer Verpixelung bestanden hatte und dessen Stimme nachgesprochen wurde. Einige Highlights der Äusserungen dieses „Aussteigers“, die er noch im Frühjahr gemacht hat:

„Herrgott, Alter, 10 Morde und das hat sie – und eine Polizistin umgebracht und ach du Scheiße und das noch. Das ist für mich nichts, ey, die Leute sollen aufhören, so einen Scheiß zu labern.“
„Aber Menschen, die hierher kommen, im Asylheim wohnen, da einen Geldantrag stellen und da einen und dann kriegen sie alles in den Arsch geblasen, solche Menschen hasse ich, ganz ehrlich.“
 Zur Entschädigung für die Opfer des NSU:
„Finde ich absolut asozial. Es gibt andere Menschen, die Schlimmeres erlebt haben, weitaus Schlimmeres. Bestes Beispiel. Was ist denn mit den Menschen, Frauen oder Kindern, die vergewaltigt werden? Was ist denn damit? Die bekommen auch keine Entschädigung.“

 Auch hier rundete der Kollege Narin das Bild mit der facebook-Seite ab: Werbung für die Band „Endstufe“, Unterstützung von NPD-Kampagnen gegen Asylbewerberheime in Schneeberg, da hat er wohl nicht „genug mit sich selbst zu tun“, was nun ansonsten der angebliche Grund für seine schlechte Erinnerung war.

Was ist rechtsradikal?

Es bedarf einer neuen gesellschaftlichen Diskussion darüber, was tatsächlich rechts ist. Dass es Menschen gibt, die selbst ein Hitler-Bild deswegen aufstellen, weil es „das einzig Verwertbare“ aus einem Nachlass ist oder NPD-Parolen auf ihren Facebook-Seiten verbreiten, muss gesellschaftlich geächtet werden. Dass ein Spruch wie „lieber Geld für die Oma, als für Sinti und Roma“ auch in Ruhrgebietsstädten bis in die Anhängerschaft der SPD hinein den einen oder anderen Lacher finden kann, ist eher besorgniserregend. Wenn aber nicht geklärt wird, dass sich Nationalismus und Rassismus bereits in die Mitte der Gesellschaft hinein ausgebreitet haben, dann wird man letztlich Polizeibeamten auch nicht ernsthaft vorwerfen können, dass sie immer nur „besoffene Jugendliche“ sehen, wo es tatsächlich um die Umsetzung rechtsradikaler Ideen in Taten geht und dann muss man sich nicht wundern, wenn sich jemand als „Aussteiger“ bezeichnet, der „nur“ NPD-Parolen vertritt.
Eberhard Reinecke