Zschäpe und ihre Verteidigung – Lügnerin, Sicherungsverteidiger und ein Neuer

Wie von niemandem anders erwartet, hat das Oberlandesgericht München den Antrag von Frau Zschäpe auf Entlassung der Rechtsanwältin Sturm zurückgewiesen. Zusammengefasst: Aus Sicht einer „verständigen Angeklagten“ ergäben ich keine Gründe für die Ablösung der Verteidigerin Sturm. Trotzdem hat das Gericht angekündigt, Frau Zschäpe einen weiteren Pflichtverteidiger beizuordnen.

Mit einer anderen Entscheidung konnte spätestens nicht mehr gerechnet werden, nachdem die Rechtsanwälte Heer und Stahl sich mit ihrer Kollegin verbündet hatten und damit von vornherein klar war, dass ein evtl. erfolgreicher Antrag gegenüber Frau Sturm entsprechende Anträge gegenüber den Rechtsanwälten Heer und Stahl nach sich ziehen könnten. Damit wäre dann eventuell das Verfahren geplatzt.

Zschäpe – die Lügnerin

Die im Zuge dieser Auseinandersetzung öffentlich gewordenen wechselseitige Vorwürfe geben interessante  Hinweise zur Rolle von Beate Zschäpe im Trio.

An erster Stelle steht hier sicherlich der Vorwurf der Verteidiger an Frau Zschäpe, dass sie ihr „exklusives Wissen“ nur „fragmentarisch“ ihren Verteidigern mitgeteilt hat. Daraus ergibt sich zunächst einmal, dass offenbar auch die Verteidiger davon ausgehen, dass Frau Zschäpe ihnen ganz viel über die Mordserie des NSU mitteilen könnte, Frau Zschäpe sich aber nicht einmal gegenüber den Personen äusserte, zu denen sie angeblich nach Äußerungen vor Prozessbeginn tiefstes Vertrauen hatte. Was aber sollte Frau Zschäpe davon abhalten, zumindest gegenüber Ihren Verteidigern einen Einblick in das Innenleben des NSU zu geben, wenn das für sie entlastend wäre. Ein Gericht wird darauf sicherlich nicht seine Überzeugung stützen können, für die öffentliche Wahrnehmung und die historische Forschung ist dies aber ohne Zweifel von Bedeutung.

Die Vorwürfe der Verteidigung gegenüber Frau Zschäpe und insbesondere das Bestreiten von ihren Angaben führt allerdings dazu, dass Frau Zschäpe von ihren eigenen Verteidigern als Lügnerin dargestellt wird (was sie im übrigen in ihrer letzten Stellungnahme Ihren Verteidigern vorwirft). Zumindest hinsichtlich einer Einzelheit spricht tatsächlich alles für eine eindeutige und hinterhältige Lüge: Frau Zschäpe hatte bekanntlich in einem ihrer Schreiben an das Gericht die Behauptung aufgestellt, Herr Rechtsanwalt Stahl „twittere“ während der Verhandlung. Zum Beleg hatte sie Screenshots von Twittermeldungen von Rechtsanwalt Stahl vorgelegt. Da Frau Zschäpe nun aber im Knast nicht über einen Internetzugang verfügt (zumindest verfügen sollte), mit Sicherheit aber nicht über einen Drucker, auf dem sie derartiges ausdrucken konnte, spricht alles dafür, dass ihr diese Informationen von einem externen Rechtsanwalt (dem vierten Verteidiger?) zugeleitet wurden. Herr Rechtsanwalt Stahl hat erklärt, er habe diese Meldung morgens um 7:30 Uhr, also lange vor der Verhandlung getwittert. Wir neigen dazu, dem zu glauben. Das bedeutet dann allerdings, dass Frau Zschäpe nicht nur bereit war, ihr zugetragene Fotokopien von Twittermeldungen im Gericht zu präsentieren, sondern gleichzeitig zu behaupten, Sie selbst habe Rechtsanwalt Stahl twittern sehen, was mit Sicherheit nicht möglich war, wenn diese Twittermeldung um 7:30 Uhr morgens abgesetzt wurde. Das zeugt von Verschlagenheit und Hinterhältigkeit. Dass Frau Zschäpe auch früher (1997) schon in Absprache mit Anderen ein Gericht belogen hat, hatte bereits ein Zeuge ausgesagt.

Nun sind sich die Kommentatoren darin einig, dass die Auseinandersetzung Frau Zschäpe „mehr“ schade als ihren Verteidigern. Das ist allerdings relativ, da die ohnehin kaum vorhandenen Vertei­digungschancen nicht mehr entscheidend verschlechtert werden können.

Schaden für die Verteidiger?

Ob und wie weit die Verteidiger durch die Auseinandersetzung beschädigt sind, misst sich sicherlich an deren eigenen Ansprüchen und Hoffnungen zu Beginn des Verfahrens. Frau Rechtsanwältin Sturm hatte erklärt, sie habe keinen Moment gezögert, als ihr das Mandat angetragen wurde, Herr Rechtsanwalt Stahl erklärte, man habe wahrscheinlich nur einmal oder nie in seinem Leben die Gelegenheit in einem solchen Verfahren zu verteidigen. Das ZDF hatte vor Prozessbeginn im heute-journal vom 3.5.2013 ein Portrait der Verteidigung Zschäpe gebracht. Am Ende des Beitrages hieß es, dass das Honorar (angeblich) sehr bescheiden sei, dann fuhr der Sprecher fort: „Wenn sie ihren Job gut machen, dann könnten Sie zu den Berühmtheiten Ihres Faches gehören.“ Und so war wohl auch der Plan, daran muss gemessen werden ob und wie die Verteidiger sich durch ihr Verhalten schaden.

Zu Beginn des Verfahrens versuchten die Verteidiger dann besonders hervorzukehren, dass jeder Mensch einen Anspruch auf einen Verteidiger hat (was völlig unbestritten ist) und wie viel Lob sie eigentlich verdient haben, weil sie sich dieser schweren Aufgabe unterziehen. Heute wissen wir, dass sie sich dieser Aufgabe unterzogen haben, ohne überhaupt die sachliche Grundlage dieser Verteidigung (nämlich die Kenntnis der konkreten (Nicht)beteiligung ihrer Mandantin und ihre heutige Stellung dazu) geklärt zu haben. Für mich ist absolut unverständlich, wie man unter solchen Bedingungen überhaupt eine Verteidigung übernehmen kann.

Dass nach den wechselseitigen Vorwürfen kein wirkliches Vertrauensverhältnis mehr zwischen Verteidigung und Frau Zschäpe besteht, liegt auf der Hand (dabei ist – ähnlich wie in einer zerrütteten Ehe – völlig egal, wer daran „schuld“ ist). Dass die Rechtsanwälte Heer und Stahl ohne Notwendigkeit eine Stellungnahme zu dem Antrag Zschäpe vs. Sturm abgegeben haben, machte deutlich, dass Ihnen die Solidarität untereinander wichtiger ist, als das jeweils einzelne Mandats-verhältnis zur Angeklagten.

Das „neue“ Verständnis vom Verhältnis zwischen Mandant und Anwalt.

Von grundsätzlicher Bedeutung für das Verständnis von Strafverteidigung sind aber die folgenden von Frau Zschäpe aus einem Brief ihrer Anwälte inhaltlich richtig zitierten Passagen (Um Missverständnissen vorzubeugen: wir bedauern weder Frau Zschäpe um ihre Anwälte noch umgekehrt, es geht hier – losgelöst vom Einzelfall – um das Verständnis von Strafverteidigung):

„Wir stellen folgendes klar: Natürlich stimmen wir die grundlegende Frage Ihrer Verteidigungslinie mit Ihnen ab. Ihr Gebahren, uns konkrete Anweisungen erteilen zu wollen und sich quasi als ‚Vorsitzende der Verteidigung‘ zu geben, widerspricht nicht nur unserem Selbstverständnis, sondern diametral dem Institut der Verteidigung insgesamt. Offensichtlich haben Sie immer noch nicht verinnerlicht, dass wir nicht ihre „Vertreter“ sind, sondern innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung aus eigenem originären Rechten agieren. …. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis dass nicht Sie, sondern wir entscheiden, ob und gegebenenfalls wie wir einen Zeugen befragen, ob und mit welchem Inhalt wir Erklärungen abgeben, ob wir Fragen anderer Verfahrensbeteiligten beanstanden und wie wir insgesamt agieren.“

Da fallen einem nur noch die Wahlen in diesem Land ein, in denen die Wähler „grundlegende Entscheidungen“ treffen sollen; Einfluss auf die spätere konkrete Politik haben sie nicht. Wir haben erhebliche Zweifel, dass die Strafverteidigervereinigungen, die am Anfang des Prozesses die Verteidigung unterstützten, ein solches Verständnis von Strafverteidigung teilen.

Welches Verhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt besteht in Wahlmandaten?

Die Partei schliesst mit dem Rechtsanwalt einen Dienstbesorgungsvertrag ab, in dessen Rahmen der Anwalt auch an die Weisungen des Mandanten gebunden ist. Weisungen, die auf eine Straftat abzielen (z. B. falsche Zeugen zu benennen o. ä.) können naturgemäß nicht verbindlich sein. Die wesentliche Aufgabe des Anwaltes besteht darin, dem Mandanten zu erklären, welche Alternativen es gibt und welche Folgen gegebenenfalls ein bestimmter Prozessvortrag oder ein bestimmtes Verhalten haben, auch solche, die der Mandant vorschlägt. Natürlich und selbstverständlich kann der Mandant mir die Weisung erteilen, z. B. eine bestimmte Frage zu stellen oder eine bestimmte Erklärung abzugeben. Vom Grundsatz her bin ich auch verpflichtet, diese Weisung auszuführen (Wer all das nicht glaubt kann es z.B. hier nachlesen: „Der Rechtsanwalt als Weisungsempfänger bei Schriftsatzentwürfen des eigenen Mandanten“ MDR 2009, 1017, leider online nicht frei zugänglich verfügbar).

Bei uns hat der Mandant das Recht, auch Weisungen zu erteilen, die wir für falsch halten. Wir können – wenn wir uns mit dem Mandanten nicht einigen – entweder die Weisung durchführen oder das Mandat niederlegen. Wir haben aber nicht das Recht, anstelle des Mandanten zu handeln oder gar gegen dessen Weisung. Genau dann würde der Mandant zum Objekt des Verfahrens gemacht und zwar von den Beteiligten, die seine Rechte als Subjekt des Verfahrens wahren sollen.

Der Pflichtverteidiger in dem Spannungsverhältnis zwischen Mandant und Staat

Das Verhältnis zwischen dem Mandanten und seinem Vertreter ändert sich natürlich dann, wenn der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet wird und zwar selbst dann, wenn der Angeklagte ihn sich selbst ausgesucht hat. In einem solchen Fall steht der Verteidiger auch in der Pflicht gegenüber dem Staat, das heißt er kann nicht einfach das Mandat niederlegen und er kann auch schon deswegen nicht einfach zu gerichtlichen Verhandlungen nicht mehr erscheinen, weil ihm dann die Kosten des eventuell geplatzten Verfahrens auferlegt werden können.

Daraus entstanden ist – und beileibe nicht nur in politischen Verfahren – die Figur des “Siche­rungsverteidigers”, da grössere Verfahren nicht ohne Anwesenheit von Verteidigern statt­finden dürfen. Hat in einem etwas aufwendigeren Verfahren ein Angeklagter lediglich einen Wahl­verteidiger und befürchtet das Gericht eventuell eine Entlassung dieses Wahlverteidigers oder ein Niederlegen dessen Mandats, so ordnet es – oft auch gegen den Willen des Angeklagten – einen weiteren Verteidiger bei, der dann von vielen Kollegen nur als “Sicherungsverteidiger” oder gar als “Pflichti” bezeichnet wird. Seine soziale Stellung innerhalb der Strafverteidiger ist nicht sehr hoch, er ist nicht angesehen, weil er letztlich seine Arbeit im Interesse des Gerichtes und nicht im Interesse des Mandanten macht. Unter renommierten Strafverteidigern besteht Konsens, dass die Übernahme einer Verteidigung ohne oder gar gegen den Willen des Angeklagten nicht in Frage kommt. Und auch wenn – zumeist aus Gründen der Sicherung des Honorars – der Wahlverteidiger seine Bestellung zum Pflichtverteidiger beantragt, wird er bemüht sein, möglichst wie ein Wahlverteidiger und nicht wie ein „Sicherungsverteidiger“ zu agieren. Natürlich kann sich für einen solchen Verteidiger ein Problem ergeben, wenn im Laufe des Verfahrens Differenzen auftreten. Würde er einfach – weil er das Mandat niederlegen will – dem Gerichtsverfahren fern bleiben und platzt deswegen das Verfahren, so können ihm die Kosten des Verfahrens oder die zusätzlichen Kosten auferlegt werden.

Insofern ist also selbstverständlich, dass Frau Sturm – auch wenn der Bruch der vertrauensvollen Zusammenarbeit evident ist – das Mandat nicht einfach niederlegen kann und dem Gerichtssaal auch nicht einfach fernbleiben kann. Selbstverständlich sollte aber eigentlich folgende Reaktion sein: Frau Sturm kann pauschal erklären, dass die Angaben von Frau Zschäpe unzutreffend sind. Im Interesse ihrer Selbstachtung müsste man allerdings erwarten, dass sie gleichzeitig dem Gericht ihre Entpflichtung anbietet, falls das Gericht damit einverstanden ist und z. B. ein anderer dritter Vertei­diger bereit ist, in das Verfahren einzutreten. Sich stattdessen in den Clinch mit der Mandantin zu begeben und Gefahr zu laufen, dass dieser von der Mandantin teilweise öffentlich ausgetragen wird, müssten an sich schon genügend Gründe sein, um aus dem Verfahren auszusteigen. Wie es auch anders geht, hat Rechtsanwalt Strate im Verfahren Mollath gezeigt.

Wenn evident ist, dass keinerlei Kommunikation mehr zwischen Zschäpe und ihren Verteidigern besteht, so ist auch evident, dass diese tatsächlich nur noch als Sicherungsverteidiger agieren und nunmehr wahrscheinlich auch nach und nach auf Distanz zu ihrer Mandantin gehen werden. Ein erstes Beispiel bietet hier Herr Rechtsanwalt Stahl, der in Anspielung auf die Behauptung von Frau Zschäpe, dass Rechtsanwalt Heer in der mündlichen Verhandlung im Internet surfe, nunmehr das Umschlagsblatt der Zeitung „Surf“ (7/2015 – Titelgeschichte: Bock auf Bayern) in eine Twittermeldung einstellt und erklärt: „Unter dem Aspekt bekommt Bayern eine ganz neue Seite für mich“.

Wir machen uns zur Regel, selbst bei beendeten Mandaten – und selbst wenn diese im Streit geendet haben – nicht öffentlich über unsere Mandanten herzuziehen. Nun gibt es gute Gründe Frau Zschäpe zu verachten, wer sich aber in ihre Dienste gestellt hat, sollte nicht über sie Witze machen. Bedenkt man, dass die Verteidigung durch dieses Verfahren in die “erste Riege deutscher Strafverteidiger” aufsteigen wollte, so ist davon nicht viel übrig geblieben. Man hat fast den Eindruck, dass das staatliche Honorar doch nicht so bescheiden ist, dass darauf verzichtet werden kann. Und eine Wahrung des Renomees wird später auch kaum mit der  Behauptung möglich sein, dass Frau Zschäpe besser weggekommen wäre, wenn sie diesen Verteidigern ihr “exklusives Wissen” nicht nur fragmentarisch mitgeteilt hätte oder zumindest ansonsten sich an die Anweisungen der Verteidigung gehalten hätte.

Der vierte Mann

Es steht zu erwarten, dass Frau Zschäpe nunmehr einen vierten Verteidiger erhält. Es soll sich um Herrn Rechtsanwalt Grasel handeln. Nun wird auch dieser Verteidiger kaum etwas ausrichten können, da es natürlich immer extrem schwer ist, gegen die Wahrheit anzukämpfen.

Natürlich hat der neue Anwalt keine Aktenkenntnis und schon gar nicht ausreichende Kenntnis des bisherigen Prozessverlaufes. Zschäpe hatte angedeutet, dass sie bereit sei, Angaben zu machen. Der neue Verteidiger wird sie dabei wenig unterstützen können. Wir vermuten auch, dass Herr Grasel von den Mitverteidigern nicht mit offenen Armen empfangen wird, spricht doch alles dafür, dass die Munition für den Antrag Zschäpe vs Sturm von diesem Rechtsanwalt kam. Also wird er auch mit Ihnen kaum die Folgen einer (Teil-)einlassung von Zschäpe besprechen können.

Vielleicht wird sich Frau B. Zsch. aus Zwickau auch mal wie L.H. aus Nackenheim äussern:

„Mein Fall wurde vollständig und unter Einbezug aller Konsequenzen und Möglichkeiten beantwortet. Die Antwort war klar verständlich und eindeutig.“

Die Entscheidung für einen vierten Verteidiger wäre trotzdem richtig. Es wird die Akzeptanz des späteren Urteils gegen Zschäpe erhöhen, wenn das Gericht ihrem Wunsch nach einem weiteren Verteidiger nachkommt. Man wird ohnehin nicht verhindern können, dass Zschäpe nach ihrer Verurteilung zu einer sehr langen Strafe zur Märtyrerin der rechten Szene wird. Man kann aber verhindern, dass dafür noch die Behauptung herhalten muss, dass man ihr in der entscheidenden Phase des Prozesses eine Verteidigung verweigert hätte, die mit ihr eine Einlassung bespricht.