NSU und AfD

Am 22. und 23.4.2017 fand im Kölner Maritim Hotel der Parteitag der AfD statt. Dagegen hatten verschiedene Bündnisse demonstriert (Ein Überlick hier und hier).   Rechtsanwalt Reinecke hielt auf der Abschlusskundgebung einen kurzen Beitrag, in dem er die ideologischen VErbindungen zwischen dem NSU und der AfD darstellte. Er führte aus:

Der NSU war die radikale verbrecherische Speerspitze der rechtsradikalen Bewegung. Die Serie der von ihnen begangenen Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle ist einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik. Schon im Jahre 2001 verschickte der NSU einen Brief an verschiedene rechtsradikale Organe um dort zu verbreiten:

„Die Aufgaben des NSU bestehen in der energischen Bekämpfung der Feinde des deutschen Volkes und der bestmöglichen Unterstützung von Kameraden und nationalen Organisationen. Solange sich keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten weitergeführt.“

Zeitgleich hatte der NSU erste Bekennervideos fertiggestellt, in denen sie ihre Mordopfer verhöhnten.

„Enver Simsek weiß nun, wie ernst uns die Erhaltung der deutschen Nation ist.“

Entsprechende Äusserungen wurden im Video dann auch für die anderen Opfer des NSU gemacht. Wir haben in diesen Rechtfertigungen des NSU für seine Mordtaten die ganzen ideologischen Versatzstücke, die wir auch von Pegida bis AfD finden, die Angst um die „Überfremdung“, der Kampf gegen die Volksverräter und die Lügenpresse oder Lügenmedien. Nun ist es glücklicherweise so, dass nicht jeder, der diese Ideologie vertritt, zur Waffe greift und wahllos Menschen, die anders aussehen, umbringt. Trotzdem ist die Geistesverwandtschaft unverkennbar und der NSU hat nur das auf die Spitze getrieben, wovon sogenannte besorgte Bürger schwadronieren und was sich in massenhaften Angriffen auf Asylbewerberheime oder Asylbewerber niederschlägt.

Der NSU hat aber nicht nur brutal und terroristisch die rechte Ideologie auf die Spitze getrieben, er konnte auch wie ein Fisch in brauner Brühe leben. Die Mitglieder des NSU lebten nicht besonders konspirativ, sie konnten sich in einer Umgebung sicher sein, in der auch die ganz normalen Nachbarn in ihrem Partykeller ein Bild von Adolf Hitler aufgestellt hatten und dies mit der Bemerkung „das ist doch nicht verboten“ im Prozess verteidigten. Es ist kein Einzelfall, wenn der Cousin von Beate Zschäpe seine politische Haltung als „normal“ bezeichnet, aber auf seiner Facebook-Seite NPD-Parolen wie „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ verbreitet. Dieser Cousin, der jetzt auf Mallorca lebt und dort arbeitete und der vorher gegen die Überfremdung in Deutschland war, reagierte im Prozess konsterniert auf die Frage, ob er es denn nicht eigentlich schlimm finde, dass er jetzt auf Mallorca den Spaniern die Arbeitsplätze wegnimmt. Wir haben im Prozess Zeuginnen gehört, die heute noch Beate Zschäpe für ihre beste Freundin halten und die es ungerecht finden, dass die Opfer des NSU Entschädigungen des Staates erhalten und sie nicht. Wohlgemerkt – alles ganz „normale“ Bürger.

Seit Pegida und AfD ist viel davon die Rede, dass man die Sorgen der Bürger ernst nehmen müsse. In der der Tat: Man muss den Rassismus ernst nehmen und der NSU konnte nur deswegen solange wüten, weil die Gefahr rechtsradikalen Terrorismus nicht ernst genommen wurde. Und die besorgten Bürger, die auch schon einmal Asylbewerberheime in Brand setzen, werden auch nicht ernst genommen, zumindest wenn man die Aufklärungsquote als Maßstab dafür nimmt, wie ernst der Staatsapparat bestimmte Formen der Kriminalität nimmt.

Geht es allerdings um die ideologischen Versatzstücke der AfD über die angebliche Überfremdung der deutschen Nation oder die Angst vor der Einführung der Scharia, so muss man derartige Behauptungen genauso viel oder wenig ernst nehmen wie eine Behauptung, dass eins und eins drei ist. Das ist lächerlich, wenn aber jemand aufbauend auf der Rechnung dass eins und eins drei ist ein Auto bauen würde, wäre das gemeingefährlich und müsste schon deswegen ernst genommen werden.

Tatsächlich ist es doch so, dass diejenigen am lautesten das Ernstnehmen rechtsradikaler Ideologie fordern, die das immer schon gedacht haben, sich bisher aber nie getraut haben es auszusprechen. Es sind die Kräfte, die sich zwar wortreich von der AfD distanzieren, in ihren inhaltlichen Positionen aber kaum von der AfD zu unterscheiden sind, sondern z.B. mit Rechtsradikalen wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Orban bestes Einvernehmen erzielen.

Das Wüten des NSU war nur möglich, weil die Staatsorgane von Polizei bis Verfassungsschutz blind gegenüber der Gefahr des Rechtsterrorismus waren. Die Ermittlungen in den Mordtaten des NSU sind – wenn man so will – ein Feldversuch von München bis Hamburg und Rostock bis Köln zur Ermittlungstätigkeit von Polizei und Verfassungsschutz. Völlig unabhängig voneinander hat sich letztlich in allen Ermittlungen ein struktureller Rassismus gezeigt, der in einer operativen Fallanalyse – also einem Profiling -des LKA Baden-Württemberg zu auf die Spitze getrieben wird:

„Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist. […] Auch spricht der die Gruppe prägende rigide Ehrenkodex eher für eine Gruppierung im ost- bzw. südeuropäischen Raum (nicht europäisch westlicher Hintergrund)«.

Wer nicht sehen will, wie weit sich rassistische Meinungen in der Gesellschaft ausgebreitet haben, der ist blind gegenüber den Gefahren des daraus hervorgehenden Terrorismus. Und so wie dieses Profiling waren dann die Ermittlungen, sie wurden gegen die Familien der Opfer geführt, auch als keinerlei Verbindung zwischen den durch dieselbe Pistole Getöteten hergestellt werden konnte.

Der NSU lehrt uns, wie schmal der Grad zwischen der menschenverachtenden Ideologie der Rechtsradikalen, die von der AfD verbreitet wird, zu Mordtaten ist. Mit der sehr wahrscheinlichen Verurteilung der Angeklagten in München zu lebenslanger und langjährigen Freiheitsstrafen ist das Problem des Rechtsterrorismus nicht erledigt.

Die Hemmungslosigkeit, mit der Angriffe auf Fremde und Asylbewerberheime stattfinden, macht deutlich, wie gefährlich diese Ideologie ist. Man kann den rechten Terrorismus nicht bekämpfen wenn man gleichzeitig zulässt, dass die Ideologie der AfD sich weiter in der Gesellschaft ausbreitet.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Eberhard Reinecke