An Schamlosigkeit nicht zu überbieten – die Unschuldsbeteuerungen der verurteilten Täter des Solinger Brandanschlags

Als einer der im Verfahren tätigen Nebenklagevertreter gebe ich die folgende Erklärung in eigenem Namen ab. Ich halte es für unzumutbar, dass sich meine damaligen Mandanten in den Stunden der Trauer mit den Erklärungen der Täter auseinandersetzen.

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Zeitgleich mit dem Gedenken an den 30 Jahre zurückliegenden Brandanschlag in Solingen haben sich drei der vier verurteilten Täter mit vollem Namen – sodass ich sie auch mit vollem Namen nenne – an die Öffentlichkeit gewandt und ihre Unschuld beteuert. Schamlos wollen sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit anlässlich des Gedenkens nutzen, um sich selbst als Justizopfer zu präsentieren.

Nun hatten Christian Buchholz, Markus Gartmann und Felix Köhnen mehr als 25 Jahre seit ihrer Verurteilung Zeit, sich mit dem Urteil auseinanderzusetzen. Theatralisch erklären Sie jetzt nicht länger schweigen zu wollen (wobei ihn allerdings auch bisher niemand ein Schweigegebot auferlegt hatte), um dann in äußerst dürftigen Erklärungen ihre Unschuld zu beteuern. Man könnte das einfach ignorieren, wenn es nicht besorgniserregende Reaktionen auf diese Erklärungen (z.B. im Solinger Tageblatt) gibt. Dort unterstützt der Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Stadtrat diese Erklärungen und orakelt über unbekannte Strukturen und bis heute unbekannte Täter (während die drei Verurteilten und ihr Anwalt von der Alleintäterschaft des 4. Verurteilten ausgehen)

Man kann also nur wieder feststellen, dass offensichtlich bis heute Teile der Stadtgesellschaft in Solingen es immer noch nicht wahrhaben wollen, dass tödlicher und tötender Rassismus nicht nur ein Problem entwurzelter Fürsorgezöglinge ist, sondern weit in die gute Gesellschaft hineinreicht. Immer noch soll es offenbar nicht wahr sein, dass auch ein Sohn aus einem Arzthaushalt und der Sohn eines biederen Handwerkers an dem Brandanschlag beteiligt waren. Noch schöner für Solingen wäre natürlich, wenn es – wie der SPD-Mann in die Diskussion wirft – vielleicht sogar bisher unbekannte auswärtige Täter gäbe.

Was also haben die Täter nach mehr als 25 Jahre Schweigen dem 350 Seiten starken Urteil des Oberlandesgerichtes in Düsseldorf entgegenzusetzen?

Allein 100 Seiten nimmt sich das Oberlandesgericht Zeit, den zentralen Punkt der Entscheidung nämlich das Geständnis des Angeklagten Markus Gartmann zu untersuchen und die Richtigkeit festzustellen. Die jetzt wieder in den Erklärungen behauptete Drucksituation bei polizeilichen Vernehmungen sind schon deswegen ohne Bedeutung, weil der Angeklagte Markus Gartmann das Geständnis ohne jeden Druck in der Hauptverhandlung und auch gegenüber Sachverständigen mehrfach wiederholt hat. Darüber hinaus hatte er zwei Pflichtverteidiger, von denen einer dem Geständnis eher kritisch gegenüberstand.

Schäbig ist die Behauptung, sein Verteidiger habe ihm geraten, das Geständnis abzugeben. Offenbar sehr bewusst umgeht Markus Gartmann in der jetzigen Erklärung die viel wichtigere Frage, ob er denn gegenüber seinem Verteidiger erklärt hat, dass er, Christian Buchholz und Felix Köhnen unschuldig seien, mit anderen Worten, ob ihm sein Verteidiger dazu geraten habe, ein falsches Geständnis abzugeben oder ob er auch gegenüber seinen Verteidigern gestanden hat. Es steht Herrn Gartmann frei, seinen damaligen Verteidiger von der anwaltlichen Schweigepflicht zu entbinden, damit dieser erklären kann, ob auch ihm gegenüber Herrn Gartmann das Geständnis abgelegt hat oder ob er das Geständnis als falsch bezeichnet hat. Wer weiter in der Öffentlichkeit über das falsche Geständnis von Markus Gartmann fabuliert, der sollte sich zunächst mit diesen 100 Seiten im Urteil des OLG auseinandersetzen.

Anders als alle drei Verurteilten und nun auch Teile der Medien behaupten, war das Verfahren natürlich kein Indizienprozess (wobei ohnehin unklar ist, was daran schlecht sein soll), sondern beruhte entscheidend auf dem Geständnis des Angeklagten Gartmann.

Ansonsten beschönigen Felix Köhnen und Christian Buchholz ihre damaligen Einstellungen (zu ihrer heutigen politischen Einstellung kann und soll nicht Stellung genommen werden.) Felix Köhnen hält sich zugute, dass er sich nach dem Brandanschlag von Mölln ein T-Shirt gegen Nazis gekauft habe. Unbestritten ist allerdings, dass Köhnen, Buchholz und Gartmann noch gut eine Stunde vor der Tat Lieder der Böhzen Onkels gehört haben. Felix Köhnen hatte sogar behauptet, so viele und so lange Lieder dieser Rechtsrockband gehört zu haben, dass er eigentlich zur Tatzeit gar nicht am Ort des Geschehens hätte sein können.

Christian Buchholz geht mit keinem Wort auf seine damalige Einbindung in rechtsradikale Kreise ein, seine Tagebucheintragungen hält der offenbar keiner Erwähnung mehr wert. Das Urteil des OLG Düsseldorf zitiert dabei:

 „Der schwule Kanake Ali machte mich blöd an“; „Ihr werdet auch noch brennen … Niedertreten bis sie beten, Kanaken knacken. Fuck off“. Schließlich vertraute er dem Tagebuch unter dem (S. 37) 10. April 1993 – etwa 1 1/2 Monate vor der Tat – an, daß er an diesem Tage eine Tasche mit zuvor in Düsseldorf gekauften Sachen in einer Telefonzelle vergessen, nach ihm eine Ausländerin („Kanakenmama“) die Zelle betreten habe und daß „dieses asoziale Kanakenschwein vom Cocktail noch nicht verbrannt worden ist“, „die gesammte Tasche“ bereits „in eine Alditüte“ „umgeräumt“ gehabt habe, bevor er zur Telefonzelle zurückgekehrt sei (S. 38).

Felix Köhnen räumt zwar die damalige Einbindung in die rechte Szene ein aber meint dann:

Aber das macht einen Menschen nicht zu einem Brandstifter und Mörder.

Glücklicherweise ist es tatsächlich so, dass nicht jeder rassistischer Schreihals tötet. Aber umgekehrt gilt: Es hat noch niemand ein von Ausländern bewohntes Haus angezündet, der nicht rechte Gedanken im Kopf hatte. Der Brandanschlag in Solingen zeigt vor allem eines: Rassismus und extrem rechte Gesinnung sind wie ein Pulverfass. Es bedarf oft nur einer Kleinigkeit um das Fass zur Explosion zu bringen. Rassismus tötet und die nutzlose Diskussion über die Täterschaft von Buchholz, Gartmann und Köhnen lenkt von den Aufgaben im Kampf gegen den Rassismus nur ab.

Wer sich seriös über den Brandanschlag informieren will, dem seien empfohlen:

Transcript Verlag:
Solingen, 30 Jahre nach dem Brandanschlag – (https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-6497-3/solingen-30-jahre-nach-dem-brandanschlag/)

Beltz-Verlag:
Da war doch was!« – Der Brandanschlag in Solingen 1993 – (https://www.beltz.de/fachmedien/paedagogik/produkte/details/49773-da-war-doch-was-der-brandanschlag-in-solingen-1993.html)

 

Rechtsanwalt Eberhard Reinecke