Angebliche Lehren aus dem NSU Verfahren – Müssen die Rechte der Nebenklage einschränkt werden?

Das NSU-Verfahren neigt sich mit dem Beginn der Plädoyers der Verteidigung seinem Ende zu, auch wenn im Moment nicht genau absehbar ist, wann diese beginnen werden. Es werden aber schon erste Resümees gezogen und – wie könnte es anders sein – auch über Änderungen der Strafprozessordnung diskutiert. Nun hat sich allerdings wirklich eine Schwäche der Strafprozessordnung gezeigt: Gerade auch am 10.4., als (wieder einmal) die Plädoyers der Verteidigung beginnen sollte, der Neuverteidiger von André Eminger aber zunächst seine Duftmarke mit Befangenheitsanträgen setzen wollte. Während der Beweisaufnahme ist bei Befangenheitsanträgen das Gericht befugt, bis zu 2 Tage weiter zu verhandeln. Allerdings heißt es in § 29 Abs.2 StPO, dass die Befangenheitsanträge vor Beginn der Schlussvorträge entschieden sein müssen.Damit stoppt jeder (zulässige) Befangenheitsantrag den weiteren Gang der Plädoyers. Wie auch am 10.4.2018. So auch schon zuvor: Nachdem im Anschluss an ihre Schlussvorträge die Bundesanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Andrè Eminger beantragt und das Gericht diesen erlassen hatte, hagelte es über 2 Monate hinweg Befangenheitsanträge, eine weitere Verhandlung war in dieser Zeit nicht möglich, so dass die Plädoyers der Nebenklage erst im November beginnen konnten. Ähnliches noch einmal im Januar, Februar und März, als die Verteidigung Wohlleben diverse Befangenheitsanträge anbrachte. Ohne Zweifel hätte es das Verfahren beschleunigt, wenn – zumindest in Fällen, in denen die Plädoyers sich über mehrere Tage hinziehen – auch ein Weiterverhandeln während der Pläydoyers trotz Befangenheitsantrag möglich gewesen wäre.

Die lästige Nebenklage

Tatsächlich steht alledings die Nebenklage im Zentrum der Kritik und auch angedachter „Reform“-Vorschläge, wie z.B. die Welt oder auch die Süddeutsche berichtete.

Populistischer Hebel sind dabei die Kosten. Die Schwäbische Post vermisst sogar eine Erwähnung des Prozesses im Bericht des Bundes der Steuerzahler unter dem Titel der Verschwendung öffentlicher Mittel.

Nun ist bekannt, dass die berühmte „schwäbische Hausfrau“ angebliches Vorbild für den einen oder anderen Finanzminister sein soll. Als Maßstab dafür, wie Verfahren in einem Rechtsstaat gestaltet werden sollten, eignet sich die schwäbische Hausfrau allerdings nicht. So offen und unverblümt, wie in einem solchen Artikel wird das selten vorgetragen und nicht wenige Journalisten bemühen sich auch darum, die Bedeutung der Nebenklage für das NSU-Verfahren deutlich zu machen, wie es z. B. in der Süddeutschen Zeitung durchaus gelang. Eine andere Auffassung vertritt offenbar Gisela Friedrichsen, die in einem (hinter der Bezahlschranke verborgenen) Artikel in „Die Welt“ sich zu dieser Frage geäußert hat. Der Zusammenfassung im Zeit-blog von Tom Sundermann (die im Übrigen auch den Meinungsstand festhält) können wir allerdings entnehmen, dass Frau Friedrichsen die Auswirkung der Nebenklage auf das Verfahren für gering hält, wenn es dort heißt:

Dabei fragt sie: „Nebenklage, das fünfte Rad am Wagen?“ Zumindest in Teilen kommt sie zu einer bejahenden Antwort. Die Nebenklage hätte nicht viel mehr bewirkt, „außer, dass sie die Balance zwischen Anklage und Verteidigung aus dem Lot brachte“. Auf das Urteil würden die Plädoyers keinen Einfluss haben.

Das war zwar zu einem früheren Zeitpunkt noch anders, als sie die Nebenkläger in solche mit voranbringenden Beiträgen und in Störer aufteilen wollte.

Die Aufgaben der Nebenklage

Allerdings liegt dem ohnehin ein unzutreffendes Verständnis von der Bedeutung der Opfersicht für das Strafverfahren und von den Aufgaben der Nebenklage zu Grunde. Natürlich steht im Strafrecht die Tat und der Täter im Mittelpunkt, es geht um seine Schuld und seine Strafe. Das darf man allerdings nicht mit der Frage des „Verständnisses“ für den Täter verwechseln. Schon aus § 46 StGB ergibt sich, dass zur Schuld des Täters auch „die Beweggründe und die Ziele des Täters“ sowie „die verschuldeten Auswirkungen der Tat“ gehören. Dies lässt sich ohne die Opfer Perspektive gar nicht richtig feststellen, das Opfer nur als Zeugen zu vernehmen reicht nicht aus. Das Opfer muss die Möglichkeit haben auf alle Darstellungen des Täters zu reagieren.

Natürlich geht es auch bei der Nebenklage primär darum, dass die angeklagte Tat aufgeklärt wird und zwar in möglichst vielen Facetten. Dazu kann und hat die Nebenklage einiges beigetragen. Einiges spricht dafür, dass die zusätzlichen Indizien und Beweise, die auf Initiative der Nebenkläger in das Verfahren eingebracht wurden, hilfreich sind, dass der Senat allerdings vielleicht auch ohne diese zusätzlichen Indizien und Beweise zu einer Verurteilung käme.

Das verkennt allerdings, dass der Schutz der Opfer nicht mit dem Prozess selbst endet. Je eingeschränkter die Tatsachenbasis ist, auf der eine Verurteilung beruht, desto anfechtbarer – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – wäre ein Urteil. Zu der Verpflichtung der anwaltlichen Vertreter für die Nebenkläger gehört eben auch, sie möglichst davor zu bewahren, dass die Angeklagten später zu Märtyrern gemacht werden, die nur verurteilt wurden, weil „die Türken“ in Deutschland zufrieden gestellt werden müssten, dass aber die Beweise eigentlich sehr dünn gewesen wären. Vieles, was die Nebenklägervertreter vorgetragen haben, zielte aber gerade darauf ab, die Angeklagten und insbesondere Beate Zschäpe als ganz gewöhnliche Lügnerin darzustellen, die im Prozess einfach nur ihre Haut retten will. Insofern geht und kann es nie darum gehen, die Beweisaufnahme auf das zu beschränken, was dann gerade ausreichend ist, um zu einem Schuldspruch zu kommen, vielmehr ist die Aufklärung des Hintergrundes, der politischen Strukturen des NSU von elementarer Bedeutung, wenn Legendenbildung verhindert werden und das Verfahren die erforderliche generalpräventive Auswirkung haben soll. Diese besteht eben nicht nur in der abschreckenden Wirkung gegenüber rechtsradikaler Gewalt, sondern auch darin, dass die politische Ideologie, die zu den Taten geführt hat und unlösbar mit ihnen verbunden ist, gebrandmarkt wird. Genau hier lag und liegt die Stärke der Nebenklage im NSU-Verfahren.

Geldverschwendung durch die Nebenklage?

Aber wie verhält es sich nun mit der Zeitverschwendung und Geldverschwendung durch die Nebenkläger. Man könnte natürlich einfach schon damit mal anfangen, dass zu Beginn jedes Verhandlungstages etwa 3 Minuten lang festgestellt wurde, welche Nebenkläger und Nebenklagevertreter im Gerichtssaal anwesend waren. Bei mehr als 400 Verhandlungstagen werden dies bis zum Urteil also mehr als 1.200 Minuten sein oder 20 Stunden. Daraus ergäben sich also allein bereits 5 oder 6 Verhandlungstage, die unserer schwäbischen Hausfrau mächtig aufs Gemüt schlagen. Allerdings spricht nichts dafür, dass an irgendeinem Verhandlungstag mehr verhandelt worden wäre, wenn man die 3-minütige Ankündigung am Anfang sich erspart hätte.

Auch in der Zeugenbefragung selbst dürfte der von den Nebenklägern in Anspruch genommene Zeitraum kaum mehr als 10 bis 15 % der Gesamtbefragung ausgemacht haben. Bei den Beweisanträgen der Nebenkläger wird man zu unterscheiden haben: Die Anträge, denen das Gericht nachgegangen ist, dürften in den allermeisten Fällen hilfreich für das Urteil sein, hier wird man also kaum den Vorwurf machen können, dass die Nebenkläger überflüssige Zeit vergeudet haben. Andere Anträge, denen das Gericht nicht nachgegangen ist – gerade im Zusammenhang mit den Machenschaften des Verfassungsschutzes und anderer staatlicher Stellen – haben zwar für die Verlesung und Bescheidung einige Zeit in Anspruch genommen, auch diese Zeiten sind aber im Verhältnis zur Gesamtdauer marginal und weit entfernt von der Vielzahl der Verhandlungstage, die mit sinnlosen Befangenheitsanträgen verbracht werden mussten oder die wegen solcher Anträge aufgehoben wurden. Der Prozess dürfte ohne diese Befangenheitsanträge ca. 1 – 1½ Jahre früher beendet worden sein. Im übrigen: Hätten sich alle Staatsorgane – insbesondere auch der Verfassungsschutz – rückhaltlos an der Aufklärung beteiligt, wäre im Verfahren mancher Antrag überflüssig gewesen. Es bleibt also lediglich eines: Nebenklageanwälte kosten Geld; das wird sich nicht vermeiden lassen, solange man das Institut der Nebenklage nicht aufgeben will.

Unseriöse Nebenklagevertreter

Ich habe nie daraus einen Hehl gemacht, dass es natürlich Nebenklagevertreter gibt, die die Institution der Nebenklage durch ihre Untätigkeit beschädigen, denen es ausschließlich um das Geld geht. Und wo Geld verdient werden kann, gibt es auch Betrug. Ein herausragender Vertreter ist da sicherlich der Rechtsanwalt Ralph Willms, der die nicht vorhandene Frau Keskin als Opfer aus der Keupstraße vertreten hat. Die Staatsanwaltschaft Aachen hat deswegen nunmehr gegen ihn Anklage erhoben, und ausserdem, weil er ebenfalls versucht haben soll, ein „Opfer“ des Loveparade Unglücks zu konstruieren und es dann zu vertreten.

Nun kann der Missbrauch eines Rechtes nie dessen Abschaffung begründen. Problematisch wird es aber, wenn selbst gegenüber solchen Rechtsanwälten kollegiale Solidarität gepflegt wird.  Deshalb hier eine kleine Abschweifung: Eine mitfühlende Seele ist z.B. Frau Rechtsanwältin Wierig, die durch ein eigenwilliges Plädoyer aufgefallen war, das ihrer Mandantin  missfiel und zum Ende des Mandates führte.

Frau Wierig hat ein ganzes Buch über ihr wichtig erscheinende Aspekte des NSU-Verfahrens geschrieben;  der Titel „Nazis inside“ ist eher irreführend, da man über die Innenansicht von Nazis nichts erfährt, eigentlich auch wenig über die Innenansichten des NSU-Verfahrens. Dafür allerdings etwas über die Innenansicht von Rechtsanwalt Willms, über den es im Buch auf S. 132 heißt:

Ich schätze ihn sehr. Von der Statur ein Defense beim Football, vom Wesen ruhig und besonnen. ….
Sie erinnern sich an meine Ausführungen über Einzelanwälte, die sich über trocken Brot in den Schlaf weinen? Auch der Kollege weis wohl ein Lied davon zu singen. Und so geht er angeblich darauf ein, als der Herr Mandatsvermittler eine Provision von ihm verlangt. Behauptet zumindest der Vermittler. Der – wie sich später herausstellt – es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Ich kann es nicht beurteilen. Ich war nicht dabei.
……
Die Kinder sind hungrig, und die Frau braucht neue Schuhe. Also zahlt der Kollege (eventuell), übernimmt das Mandat, freut sich, und alles ist gut. Zunächst. Bis seine Mandantin zum ersten Mal als Zeugin geladen wird. Und nicht kommt….
Der Kollege gerät in Erklärungsnot. Er hat keine aktuellen Informationen zu Frau K. Was nicht verwundert, denn der Herr Vermittler lässt ihn offenbar am langen Arm verhungern.
…….
Was mich nicht erstaunt – denn inzwischen weis ich, wie Presse funktioniert (…..) –, ist die Medienreaktion. Da wird mit aller Häme auf den Kollegen eingeprügelt, der eine Mandantin vertritt, die es nicht gibt. Da wird wieder einmal das Bild der geldgierigen und völlig unbeleckt von jeder Moral agierenden Anwälte gezeichnet. Und was das alles gekostet habe! (….) Dem Herrn Vermittler hingegen, dessen Geschöpf Frau K. war, wird kein Vorwurf gemacht.

In weiten Strecken ihres Buches – gerade wenn es um die Angeklagten im NSU-Verfahren geht – wird die Unschuldsvermutung von Frau Rechtsanwältin Wierig hoch gehalten, nicht so allerdings wenn es um die Frage geht, warum der arme Rechtsanwalt Willms in diese schwierige Situation geraten ist. Da erfährt man dann, dass „der Vermittler“ des Mandats Schuld sei, ohne das bisher allerdings festgestellt worden ist, ob und wie eine Vermittlung stattgefunden hat, welchen Einfluss der Vermittler hatte o.ä. Gegenüber diesem wirklichem, mittlerweile verstorbenen Opfer des Keupstr. – Anschlags, muss keine Zurückhaltung im Sinne der Unschuldsvermutung gewahrt werden. Dass die Rechtsanwältin trocken Brot, hungrige Kinde und neue Schuhe für die Ehefrau für ein ausreichendes Betrugsmotiv hält, mag ja noch durchgehen, dass aber jedes Wort der Kritik an dem Kollegen fehlt, der mehr als 200 Tage in Prozess saß, ohne seine Mandantin zu kennen, spricht für eine merkwürdige Berufsauffassung, die geeignet ist, das Institut der Nebenklage in Verruf zu bringen.

Und was meint denn Rechtsanwältin Wierig zu den von der Staatsanwaltschaft Aachen behaupteten Machenschaften des Rechtsanwaltes Willms im Zusammenhang mit der Loveparade, wo es wohl weit und breit keinen „Vermittler“ gegeben hat? Aber vielleicht ist ja immer noch der ursprüngliche „Vermittler“ schuld, weil er den Kollegen in eine Situation gebracht hat, wo er dringend Geld verdienen musste (zwar nicht mehr für die hunrigen Kinder und die Schuhe der Ehefrau aber für die Tilgung der Schulden).

Es gibt keinen Grund, die Rechte der Nebenklage zu ändern

Zwingen denn nun unseriöse und untätige Nebenklagevertreter dazu, dass Recht der Nebenklage zu ändern? Sicher nicht. Schon die Vorgänge um den gescheiterten Versuche von RA Willms zum Loveparadeverfahren ein Opfer zu generieren machen deutlich, dass schon mit einfachen Kontrollen solche Vorfälle verhindert werden können. Allerdings wird man dem Gericht in München nicht vorwerfen können, dass es in der hektischen Atmosphäre nach der Verschiebung des Prozessbeginns im April 2013 den Beiordnungsantrag durchgewunken hat, und sich darauf verlassen und vertraut hat, dass ein Anwalt seine Mandantin auch kennt und dass er das Orginal eines Attestes vorliegen hat, das er dem Gericht mit Fax übersendet.

Dass das Opfer selbst sich an dem Verfahren beteiligen kann, wird kaum zu ändern sein und es gibt auch keinen Vorschlag in diese Richtung. Auch die Beiordnung eines Anwaltes hat im Regelfall nach den Wünschen des Opfers zu erfolgen. Erweitert man den Ermessensspielraum, dass das Gericht von sich aus Nebenklagevertreter auswählen und für bestimmte Gruppen zusammenfassen kann (so teilweise die Pläne), liegt darin die Gefahr, dass solche Nebenklagevertreter vom Gericht ausgewählt werden, von denen keine kritischen Nachfragen, eigene Anträge etc. erwartet werden. Auch auf dem Boden des geltenden Rechtes kann schon darüber diskutiert werden, ob jeder nebenklageberechtigten Person ein eigener Anwalt beizuordnen ist, oder auch einzelnen Nebenklägern ein gemeinsamer Anwalt, wie es im weiteren Verlauf des NSU-Verfahrens auch geschehen ist. Ein Prinzip muss allerdings gewahrt werden: das der freien Anwaltswahl. Wenn das Gericht schon bestimmten Nebenklägern nur einen Anwalt beiordnen will, so werden diese sich gemeinschaftlich auf eine Person einigen müssen und irgendjemanden, der von keinem Nebenkläger beauftragt ist, wird das Gericht nie beiordnen dürfen. In Fällen, in denen Nebenkläger unterschiedliche Interessen in einem Verfahren vertreten, werden diese ebenfalls nicht durch ein und denselben Anwalt vertreten werden dürfen.

Es ist im Übrigen bemerkenswert, dass die Diskussion um die Rechte der Nebenklage in diesem Verfahren geführt wird, nicht aber z.B. im Verfahren gegen Verena Becker, das maßgeblich von dem Nebenkläger Michael Buback gestaltet wurde. Das aber wird Gegenstand eines weiteren Beitrages sein.

Eberhard Reinecke