Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren – ein Joker für alle Fälle

Wie Wohlleben das Verfahren beschleunigt

Immer wieder wird in NSU-Verfahren der Beschleunigungsgrundsatz beschworen. Wenn die Bundesanwaltschaft „erklärt“, warum nicht weitere Beweisaufnahmen zum Umfeld des Trios oder der V-Männer stattfinden soll, das Gericht dem oft zustimmt, wenn Verteidiger unbedingt sofort einen Antrag – z.B. einen Befangenheitsantrag – entschieden sehen wollen, umgekehrt wenn es das Gericht ablehnt Verteidiger zu entpflichten. Die (angeblich) fehlende Beschleunigung spielt bei Haftentscheidungen eine Rolle, der Grundsatz muss auch dafür herhalten, dass Absprachen in Strafverfahren möglich sind. Eigenwillige Vorstellungen von Beschleunigung hat der Angeklagte Wohlleben und seine Verteidigung. Da wird schon mal ein Beweisantrag zu einem Zeugen gestellt, der sich in Equador aufhält. Das würde das Verfahren natürlich um viele Monate verzögern, wäre der Verteidigung aber wohl eher recht, weil sie dann wegen der Dauer des Verfahrens wieder die Entlassung von Wohlleben aus der Haft beantragen könnte. Auch Beweisanträge zu Heß stören nicht bei der Beschleunigung. Am 16. und 17.11.2016 zeigte die Verteidigung Wohlleben dann  eine skurile Vorstellung von Beschleunigung. Nach der „Papierform“ schienen diese  Verhandlungstage kurz zu werden. Jeden Tag einen Zeugen evtl. noch Verlesungen und Beweisanträge, also nichts besonders Aufregendes. Wenn wir trotzdem am 17.11. den Gerichtssaal erst um 18:00 verlassen haben, dann wegen der „Beschleunigung“ durch die Verteidigung Wohlleben.

Beschleunigung durch Ablehnungsanträge

Der Zeuge für den 16.11. war nach einer halben Stunde fertig, ein (hoch interessanter) Beweisantrag zu unwahren Angaben eines V-Mannführers ebenfalls gestellt, als das Gericht dann kurz vor 11:00 Uhr einen Beschluss dazu verkündete, bestimmte Unterlagen zu verlesen. Es ging um einen von uns gestellten Beweisantrag. (Die Verlesung erfolgte dann am 23.11.2016.)

Nach der Verkündung des Beschlusses wurde die erste Stufe gezündet, die darin besteht, dass zunächst eine Unterbrechung von 15 min. bis 30 min gefordert wird, um aufgrund des Beschlusses mit dem Angeklagten zu beraten. Nach Rückkehr aus dieser Beratung – am 16.11.2016 um ca. 11:30 Uhr – wird dann verkündet, man brauche eine weitere Unterbrechung bis 14:00 Uhr, um einen Befangenheits­antrag auszuarbeiten. Sodann Verlesung eines Befangenheitsantrages um 14:00 Uhr mit der Begründung, durch die Verlesung von angeblich völlig irrelevanten Unterlagen habe sich das Gericht als befangen dargestellt. Das Gericht  verstoße durch die beabsichtigte Verlesung (Dauer ca. eine Stunde) gegen den Beschleunigungsgrundsatz.

Anschließend Unterbrechung der Verhandlung bis zum 17.11. morgens. Die Strafprozessordnung sieht die Möglichkeit vor, trotz Befangenheitsantrag zu nächst einmal maximal zwei Tage weiter zu verhandeln. Vorgesehen war am 17.11. die Vernehmung eines Zeugen. Der Morgen begann dann mit der Mitteilung des Vorsitzenden Richters, dass die Verhandlung weitergeführt wird und nicht bis zur Entscheidung über das Befangenheitsgesuch unterbrochen wird.

Antrag auf Unterbrechung durch die Verteidigung Wohlleben, anschließend Beanstandung der Anordnung des Vorsitzenden und Antrag auf Gerichtsbeschluss. Unterbrechung bis 11:30 Uhr. Anschließend wird der Beschluss verkündet, dass auch der Senat insgesamt für die Fortsetzung der Hauptverhandlung ist.

Unterbrechung der Hauptverhandlung auf Antrag der Verteidigung Wohlleben, um den Beschluss zu prüfen bis 12:15 Uhr. Um 12:15 Uhr Ankündigung der Ausarbeitung eines Befangenheitsantrages bis 13:50 Uhr. Verlesung des Befangenheitsantrages, Gelegenheit zur Stellungnahme, Unterbrechung. Entscheidung des Vorsitzenden, dass weiter verhandelt wird. Unterbrechung, Gerichtsbeschluß, wieder Unterbrechung und dann oh Wunder kein dritter Befangenheitsantrag sondern „nur“ eine Erklärung, dass Wohlleben trotz Befangenheit der Richter diese nicht erneut ablehnt. Dann endlich – nach 17 Uhr – Vernehmung des Zeugen, die bis 18 Uhr beendet ist.

Was soll das alles?

Wir hatten bereits im Februar 2016 berichtet, dass die Verteidigung Wohlleben immer mehr auf Ablehnungsanträge setzt. Schon in den letzten Wochen konnte das Gericht kaum einen Antrag der Verteidigung Wohlleben ablehnen, ohne das anschließend die Ablehnung als Anlass für einen Befangenheitsantrag genommen wurde.

Was die Verteidigung damit bezweckt, ist nur schwer zu erahnen. Vielleicht soll das Gericht provoziert werden, um aus der Rolle zufallen, was allerdings nach allen bisherigen Erfahrungen kaum gelingen kann. Dass die Befangenheitsanträge in der Sache Erfolg haben können ist ausgeschlossen, wie wir bereits im Februar 2016 ausgeführt hatten. Vielleicht soll aber gar nicht mehr gegenüber dem Gericht verteidigt werden. Die Sache wird schon verloren gegeben, stattdessen soll „Wolle“ zum rechtsradikalen Märtyrer aufgebaut werden, der Prozess zur Propagandaplattform (s. Heßanträge) gemacht werden. Und wenn das Gericht die Heßanträge ablehnt, wird vielleicht ein weiterer Befangenheitsantrag gestellt, weil der Senat sich der Wahrheit verschließe.

Eberhard Reinecke