„Es muss weiter ermittelt werden“ -Teil 2 des Plädoyers von Seda Basay

Mit freundlicher Genehmigung von Rechtsanwältin Basay dokumentieren wir hier ihr Plädoyer im NSUVerfahren. Im ersten Teil befasst sich das Plädoyer mit dem Mord an Enver Şimşek und den polizeilichen Ermittlungen dazu. Präzise, kleinteilig und gerade deshalb anschaulich und erschütternd wird für die Leser an Hand der Vernehmungsprotokolle konkret nachvollziehbar, welche Auswirkungen der Mord und die polizeilichen Ermittlungen auf die Familie hatten. Der zweite Teil geht auf die Einlassung der Angeklagten Zschäpe ein und widerlegt konkret die These der Bundesanwaltschaft von dem abgeschotteten Trio (an diesem Teil hat RA Reinecke unterstützend mitgearbeitet). In der Presse (z.B. SPON, Süddeutsche, Tagesspiegel) fand das Plädoyer und die Worte von Abdulkerim Şimşek grosse Aufmerksamkeit.

Angaben der Angeklagten

Zu den Geschehnissen rund um die Ermordung von Enver Şimşek hat die Angeklagte Zschäpe in ihrer schriftlichen Erklärung vom 09.12.2015 wie folgt vortragen lassen:

Erst Mitte Dezember 2000, während der Adventszeit, erfuhr ich von den Geschehnissen am 09.09.2000. Ich weiß nicht, ob es an der Stimmung zur Weihnachtszeit  lag, jedenfalls merkte ich an den Blicken des Uwe Mundlos, dass etwas nicht stimmte.  Ich sprach ihn darauf an, was mit ihm los sei und er berichtete mir, was rund drei Monate zuvor passiert war.

Ich war geschockt. Ich konnte nicht fassen was die beiden getan  hatten.  Ich bin  daraufhin  regelrecht ausgeflippt.  Ich wusste nicht, wie ich auf diese unfassbare Tat reagieren sollte. Auf meine massiven Vorwürfe, wie man so etwas tun könne, reagierte Uwe Mundlos lediglich dahingehend, dass „eh alles verkackt sei“ und dass er es zum „knallenden Abschluss“ bringen wolle….

Uwe Mundlos erwiderte, dass sie – gemeint sind Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – genau gewusst hätten, wie ich reagieren würde und dass sie mir deshalb drei Monate lang nichts gesagt hätten. Ich stellte Uwe Böhnhardt zur Rede. Dieser bestätigte mir den Geschehensablauf mit der gleichen Begründung wie ich ihn zuvor von Mundlos erfahren hatte. Auf meine Frage, warum sie einen Menschen getötet hatten, erhielt ich keine klare Antwort.Es wurden Argumente vorgetragen wie: Perspektivlosigkeit,  Gefängnis und  insgesamt bestehende  Frustration.

Wir stellen fest. Perspektivlosigkeit und Frustration hätten dazu geführt, dass Enver Şimşek umgebracht wurde. Das ist mit Verlaub eine Geschmacklosigkeit, was die Angeklagte da von sich gibt. Es wird aber immer schlimmer: Für mich, lässt die Angeklagte weiter verlesen, waren dies keine nachvollziehbaren  Erklärungen. Ich zitiere:

Es wurde mit  keinem Wort  erklärt, dass der Mord politisch motiviert  gewesen sei. Beide berichteten mit keinem Wort, dass Enver Şimşek deshalb sterben musste, weil er Ausländer  war.

Ja, dann frage ich Sie: Warum musste Enver Şimşek dann sterben?  Da sind zwei Menschen 216 Kilometer von Zwickau nach Nürnberg gefahren und haben Enver Şimşek zufällig in der Liegnitzer Straße getroffen und einfach so getötet, weil die beiden frustriert und perspektivlos waren?? Dann führt sie aber weiter aus:

Bis  zum heutigen Tag weiß ich die wahren Motive der beiden nicht und ich schließe nicht aus, dass sie mir nicht die Wahrheit gesagt haben, was ihre wahren Motive waren.

Hoher Senat, als diese Erklärung in der Hauptverhandlung am 09. Dezember 2015 verlesen wurde und dort die Rede ist von „bis zum heutigen Tag“, hatten bereits 249 Verhandlungstage stattgefunden. 249 Verhandlungstage, in denen es um die rechtsextreme und besonders auch rassistische und antisemitische Einstellung der Angeklagten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos ging.

Wir haben uns das Bekennervideo angesehen, das menschenverachtende Spiel Pogromly thematisiert, zahlreiche Zeugen aus dem Umfeld des Trios, die Eltern von Mundlos und Böhnhardt gehört, die allesamt die rechtsextreme Einstellung der Drei bestätigten und die Angeklagte kennt angeblich bis zum heutigen Tag die wahren Motive für den Mord nicht. Diese Angaben sind – wie ein Kollege zu Recht bemerkt hat –  eine Zumutung.

Wie kamen Mundlos und Böhnhardt auf die Tatorte?

Auch für die von uns vertretene Familie Şimşek bleiben viele Fragen offen. Die Wichtigsten. Warum Enver Şimşek und warum drei Morde in Nürnberg. Meine Kollegen haben schon einiges dazu gesagt, ob es Unterstützer und Tippgeber an den einzelnen Tatorten gegeben hat. Wie kommt man überhaupt darauf in die Liegnitzer Straße in Nürnberg Langwasser zu fahren, wo Enver Şimşek ermordet wurde. Im Gegensatz zu den anderen Tatorten in Nürnberg also Scharrerstrasse und Guylaerstrasse, die beide in den inneren Bezirken südlich des Hauptbahnhofes liegen, befindet sich der Tatort von Enver Şimşek im südlichen Randgebiet von Nürnberg.

Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe haben zum Zeitpunkt der Ermordung von Enver Şimşek in der Heisenbergstraße 6  in Zwickau gewohnt. Wenn man von der Heisenbergstraße Zwickau kommend nach Nürnberg fährt, verlässt man die Autobahn, wenn man zu den anderen Tatorten von Özudoğru und Yaşar, die wie gesagt im Innenstadtbereich liegen, kommen will, in Richtung Nürnberg-Fischbach bzw. Nürnberg-Zentrum. Wenn man aber in die Liegnitzer Straße in Nürnberg-Langwasser fahren will, muss man weiter auf die A 9, dann weiter auf die A 6 und dann die Autobahnausfahrt Nürnberg-Langwasser nehmen. Diese Autobahnhausfahrt bietet sich eigentlich nur dann an, wenn man gezielt nach Nürnberg-Langwasser oder Altenfurt unterwegs ist. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass man zumindest was die Liegnitzer Straße anbelangt, ganz zufällig dort vorbeifährt, um Enver Şimşek, der im Jahre 2000 nur an den bereits ausgeführten Tagen mit seinem Blumenwagen am Tatort war,  zu treffen.

Nun gibt es für die Auswahl der Tatorte zwei gegensätzliche Thesen. Es gibt zu einen die übrigens auch von uns, den Vertretern der Familie Şimşek, und vielen anderen Kollegen vertretene These, dass es vor Ort jeweils Unterstützer, Mitglieder oder Tippgeber gegeben hat. Dagegen steht die These der Bundesanwaltschaft, dass Mundlos und Böhnhardt die Tatorte jeweils selbst ausspioniert haben.

Ich will mich im Folgenden detailliert der Frage widmen, ob sich aus den Tatorten in Nürnberg und insbesondere dem Tatort des Mordes an Enver Şimşek Hinweise darauf ergeben, dass der NSU vor Ort und gerade in Nürnberg Helfer und Hinweisgeber hatte. Die Bundesanwaltschaft bestreitet dies bekanntlich. Das einzige und auch stärkste Argument von ihr ist dabei die Erklärung, dass trotz ihrer Ermittlungstätigkeit keine weiteren Helfer und Angehörigen des Netzwerkes NSU aufgespürt wurden.

Würde man im Rahmen einer empirischen Wissenschaft die Hypothese prüfen wollen, dass der NSU keine weiteren Unterstützer, Hinweisgeber und eventuell weitere Mitglieder hat, so wäre es natürlich von vornherein ein unverzeihlicher wissenschaftlicher Fehler, wenn derjenige, dessen Hypothese überprüft werden soll, die wesentliche Bedingung für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit seiner These selbst setzt, sprich wenn die Bundesanwaltschaft durch mehr oder weniger umfangreiche Ermittlungen selbst dafür sorgen kann, ob weitere Helfer und Beteiligte aufgespürt werden oder nicht. Nachfolgend wird die Hypothese der Bundesanwaltschaft, dass es keine Helfer und Unterstützer vor Ort gegeben hat, einmal unabhängig von der Frage, ob solche Helfer und Unterstützer bisher festgestellt wurden, sondern ausschließlich aus sich heraus untersucht.

Im ersten Schritt wird man dafür natürlich Annahmen machen, wobei davon auszugehen ist, dass die folgenden Annahmen auch aus Sicht der Bundesanwaltschaft plausibel sind.Das bedeutet insbesondere, dass das Trio – wenn es nicht aufgrund von örtlichen Hinweisen gehandelt hat – jeden Tatort mindestens zweimal aufgesucht haben muss,

  • nämlich einmal zum Auskundschaften
  • und einmal zur Durchführung der Tat.

Allerdings liegen die tatsächlichen Tatorte sowie die für weitere Taten ausgespähten Tatorte in Nürnberg weit verstreut, was anhand der  Karte von Nürnberg nun gezeigt werden soll.

Nuernberg-01(Wir danken Jörn Neumann,   der uns das Foto gemacht hat)

Sie sehen gelb markiert die vier Nürnberger Tatorte,
Ziff. 1 der Taschenlampenanschlag,
Ziff. 2 der Mord an Enver Şimşek,
Ziff. 3 der Mord an Abdurrahmin Özüdoğru und
Ziff. 4 der Mord an Ismail Yaşar.

Die blauen Pfeile bezeichnen diejenigen Objekte, zu denen es Ausspähnotizen gibt, die im Asservat 2.12.280 ausgedruckt bzw. handschriftlich vorliegen. Sie können jetzt daran sehen, dass die Tatorte und die ausgespähten möglichen Tatorte weit über das Stadtgebiet von Nürnberg verteilt sind.

Wie Sie sehen, sticht der Tatort von Enver Şimşek besonders hervor, weil er im Gegensatz zu den anderen Orten sehr weit von der Innenstadt entfernt liegt. Wenn man sich jetzt zunächst einmal mit den Ausspähungen bis zur 3. Tat, dem Mord an Abdurrahim Özüdoğru befasst, so hätten wir nach der oben gemachten Annahme im Zeitraum bis zum Juni 2001 nicht nur mindestens sechs Fahrten nach Nürnberg (jeweils eine zum Auskundschaften und eine für die Tat, also für Taschenlampe, Şimşek und Özüdoğru), sondern deutlich mehr. Zumindest gibt es keine plausible Theorie, die erklärt, wie man zufällig, wenn man kreuz und quer auf der Suche nach Tatorten durch Nürnberg streift, auf diese drei Tatorte kommt.

Dasselbe gilt, wenn man systematisch vom Bahnhof aus die Stadt in südliche Richtung durchkämmt. Bis man dann am Tatort Şimşek angekommen wäre, müsste man sicherlich viele Tage unterwegs sein. Im Minimum wird man also mit mindestens zehn Fahrten nach Nürnberg kalkulieren müssen, die das Trio im Zeitraum von Ende 98 bis Juni 2001 durchgeführt hat, um die Tatorte für die drei Taten auszukundschaften, wenn dies ohne örtliche Hilfe geschah.

Jetzt könnte man genau wie die Bundesanwaltschaft argumentieren und sagen, dass es keinerlei Belege dafür gibt, dass es in diesem Zeitraum Fahrten des Trios von Zwickau nach Nürnberg gegeben hat Also müssen die Tatorte in Nürnberg zwingend von anderen Personen ausgekundschaftet worden sein. Die These hinkt ein wenig, weil wir erst ab Februar 2004 einen vollständigen Überblick über Pkw-Anmietungen haben und es auch nicht für alle davor liegenden Taten korrespondierende Anmietungen gibt. Selbst wenn aber unterstellt wird, dass zunächst nicht sämtliche Fahrten mit geliehenen Fahrzeugen erfasst worden sind, waren die vorhandenen finanziellen Mittel doch recht bescheiden, so dass nichts dafür spricht, dass davon doch recht erhebliche Beträge für die Anmietung von Fahrzeugen verwandt wurden. Also für das Vorhandensein von nicht ermittelten Anmietungen war kein Geld da.

Die Autoanmietungen von Mundlos und Böhnhardt

Zum Zeitpunkt des Taschenlampenanschlages in Nürnberg lebte das Trio noch vom ersten Überfall auf den Edeka-Markt am 18.12.1998  und hatte deswegen ca. 1.200,00  bis 1.400,00 DM im Monat zur Verfügung, konnte sich nur eine zwei-Zimmer-Wohnung leisten und es spricht nichts dafür, dass sie von dem knappen Geld Fahrten nach Nürnberg unternommen haben, um ergebnisoffen und ohne Hinweise aus der Stadt Tatorte zu recherchieren.

Ab Oktober 1999, also nach dem Überfall auf die Postfiliale in Chemnitz am 27.10.1999  war die finanzielle Situation etwas besser, hier standen ca. 2.200,00 DM bis 2.400,00 DM pro Monat zur Verfügung und eine wirklich grundlegende Verbesserung ergab sich erst durch die beiden Überfälle (2 Sparkassenfilialen in Chemnitz) am 14.05.2004  und am 18.05.2004 , bei denen mehr als 100.000,00 € erbeutet wurden. Halten wir insoweit als Zwischenergebnis fest, dass es keinerlei konkrete Hinweise darauf gibt, dass das Trio vor dem Mord an Abdurrahim Özüdoğru häufiger in Nürnberg war, um – unabhängig von örtlichen Helfern – Tatorte auszukundschaften.

Wir können aber auch das Verhalten des Trios ab Februar 2004 zu Grunde legen. Die Situation ändert sich mit den Einnahmen von ca. 100.000,00 € aus den Überfällen im Mai 2004. Im Zeitraum zwischen dem Mord an Mehmet Turgut und dem Mord an Halit Yozgat kann man davon ausgehen, dass sämtliche Pkw-Anmietungen erfasst sind. Zumindest gibt es korrespondierende Fahrzeuganmietungen zu sämtlichen, dem NSU zugeschriebenen Taten sowohl den Mordtaten, wie den Sprengstoffanschlägen und den Raubüberfällen, so dass es eher als unwahrscheinlich angesehen werden muss, dass es weitere und zusätzliche Anmietungen gegeben hat, die bei den Ermittlungen nicht aufgetaucht sind.

Die Variante, dass das Trio eventuell bei anderen Personen ein Fahrzeug sich als Freundschaftsdienst ausgeliehen hat, kommt im Zusammenhang mit der Überprüfung der These der Bundesanwaltschaft nicht in Betracht, weil diese gerade leugnet, dass es Helfer und weitere Mitglieder des NSU gegeben habe.

Im Zeitraum vom 23.02.2004, dem Mord an Mehmet Turgut und dem 06.04.2006, dem Mord an Halit Yozgat, sind insgesamt 30 Anmietungen von Pkws dokumentiert , davon sind neun Fahrten eindeutig zuzuordnen, sei es den jeweiligen Taten oder sei es bekannten Urlaubsfahrten . Von den verbleibenden 21 Fahrten ergeben sich in drei Fällen  keine gefahrenen Kilometer, weil diese nicht erhoben wurden.

In neun Fällen sind weniger als 200 km gefahren, in vier weiteren weniger als 400 km . Da bereits die einfache Fahrt zwischen der Polenzstraße 2 und der Scharrerstraße in Nürnberg 205 km sind, können sämtliche Fahrzeuganmietungen, bei denen eine geringere Kilometerzahl als 400 zurückgelegt wurden, insgesamt also 13, nicht dem Ausspähen von Tatorten gedient haben. Nürnberg ist bei allen Morddelikten und dem Anschlag in der Keupstraße noch der am nahe liegende Tatort.

Lediglich vier dokumentierte Fahrten im Zeitraum zwischen Februar 2004 und April 2006 liegen zwischen 500 km und 900 km und eine weitere Fahrt ist mit 1.800 km dokumentiert . Auch in der Zeit des Wohlstandes des Trios, als sie sich das Ausleihen von Autos leisten konnten, gibt es also nur wenige Fahrten, die tatsächlich dem Ausspähen gedient haben könnten, wobei natürlich nicht nur Nürnberg, sondern auch die weiteren Tatorte dann hätten ausgespäht werden müssen. Auch das spricht eindeutig dagegen, dass in den Zeiten eines schmaleren Budgets mehrere Fahrten nach Nürnberg durchgeführt wurden. Betrachtet man also die logistischen Voraussetzungen, so spricht nichts dafür, dass das Trio tatsächlich ohne Hinweise von außen in Städte gefahren ist, um dann nach möglichen Tatorten selbständig zu suchen.

Die in der Frühlingstrasse gefundenen Ausspähnotizen

Nun gibt es allerdings die Ausspähnotizen, ich hatte diese auf der gezeigten Karte auch bereits mit blauen Pfeilen markiert. Die Frage ist hier, ob die vorhandenen Ausspähnotizen tatsächlich darauf hindeuten, dass Mundlos und Böhnhardt diese Notizen aufgrund eigener Beobachtungen selbst gemacht haben oder ob es sich nicht eher um Notizen handelt, die von Dritten zugeliefert wurden. In dem Asservat 2.12.280

 

Asservat2.12.280

ist als erstes mögliches Objekt ein Asylheim aufgeführt in der Industriestraße, zu dem es dann heißt:

„Asylheim: Tür offen ohne Schloss, Keller zugänglich.“

Nun waren Mundlos und Böhnhardt von ihrem Äußeren gerade nicht die Personen, die einfach mal in Asylheime hineingehen, dort das Schloss testen und außerdem überprüfen, ob der Keller frei zugänglich ist. Bei einer einmaligen Prüfung weiß man auch nicht, ob das Schloss immer fehlt oder nur zu diesem Zeitpunkt z. B. defekt war. Es handelt sich also hier um Kenntnisse, die zwar ein Insider haben und weitergeben kann, die aber eine Person, die von außen kommt, sicherlich nicht bei einer einmaligen Ausspähung feststellt und festhalten kann. Dabei ist natürlich noch nicht berücksichtigt, wie Mundlos und Böhnhardt denn überhaupt auf dieses Heim gekommen sein sollen, ob sie wirklich Straße für Straße durch Nürnberg gegangen oder mit ihren Fahrrädern gefahren sind oder ob sie dazu auf sonstige Veröffentlichungen zurückgegriffen haben.

Die zweite Ausspähnotiz bezieht sich auf einen Imbiss in der Schafhofstraße 32, ein bereits weit nach Nordosten liegender möglicher Tatort außerhalb der Innenstadt. Dazu heißt es in den Notizen:

„Problem: Tankstelle nebenan. Türke aus Tankstelle geht in jeder freien Minute zu reden rüber. Imbiss mit Vorraum.“

Wie oft muss man in einen Imbiss gehen oder ihn von außen beobachten, um eine solche Feststellung treffen zu können, dass der Tankwart von der daneben liegenden Tankstelle immer wieder in den Imbiss geht. Dies sind sicherlich keine Feststellungen, die man machen kann, wenn man sich mal zum Zwecke des Tests für eine halbe, maximal eine Stunde in einen Imbiss setzt und dort als Gast auftritt oder diesen für kurze Zeit von außen beobachtet. Auch dies dürften eher Beobachtungen von ortskundigen Personen sein, die sich häufiger an dieser Stelle aufhalten können.

Die dritte Ausspähnotiz zu „Asylheim 2“ lautet:

„Keine Haus-Nr. Linkes Gebäude direkt vor Tunnel, Innenhof.“

Auch dies erscheint doch eher ein Hinweis von Außenstehenden an Mundlos und Böhnhardt zu sein, wie sie dieses Heim finden. Hätten sie es bereits gefunden und würden über ihre eigenen Beobachtungen Ausspähnotizen schreiben, so wäre es zumindest unwahrscheinlich, dass sie noch einmal die Lage dieses Asylheims, das sie ja – so die Annahme der Bundesanwaltschaft – selbst ermittelt hatten, noch einmal in dieser Form niederlegen.

Die vierte Notiz lautet bezogen auf eine Kneipe in der Adam-Klein-Straße:

„Cafe wie in Köln, Straße wirkt auch etwas so.“

Hier mag es unentschieden sein, ob das eher von Außenstehenden aufgeschrieben und mitgeteilt wurde oder Ergebnis einer eigenen Recherche ist, auch hier wird man allerdings feststellen müssen, dass Mundlos und Böhnhardt irgendwann zusätzlich in Nürnberg gewesen sein müssten, um diese „Kneipe“ aufzuspüren.

Die fünfte Ausspähnotiz bezieht sich auf ein Asylheim in der Regensburger Straße 398. Dort heißt es:

„Viele Häuser, sehr weit draußen, großes Gelände“

Auch dies mag sowohl der Hinweis eines Dritten, wie die Ergebnisse einer eigenständigen Recherche sein. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings etwas anderes: Dieser Ort wird als „sehr weit draußen“ charakterisiert, obwohl er zur Innenstadt von Nürnberg etwa nur halb so weit entfernt ist, wie der Tatort in Sachen Şimşek.

Die sechste Ausspähnotiz lautet dann zum Büro der DKP in Nürnberg:

„EG, großes Fenster, normales Wohnhaus, Nazis verbieten.“

Auch hier ist es eher wahrscheinlich, dass insbesondere der Hinweis auf „Nazis verbieten“ von Außenstehenden gegeben wurde, damit man auch das richtige Fenster und das richtige Büro erkennen kann.

Als siebtes in dem Asservat heißt es dann – diesmal allerdings handschriftlich:

„Scharrerstraße neben Post Imbiss“

Es ist eindeutig, dass damit der Tatort des Mordes an Ismail Yaşar umrissen ist. Der Ausdruck mit den Notizen d.h. das Asservat 2.12.280 stammt vom 26.05.2005 genau 14 Tage vor dem Mord an Ismail Yaşar. Es geht jetzt besonders um die handschriftlichen Eintragungen: Zwischen dem 26.05.2005 und dem Mord an Ismail Yaşar am 09.06.2005 ist keinerlei Fahrzeuganmietung dokumentiert. Vom 24.05. abends um 17.45 Uhr bis zum 26.05. um 12.00 Uhr war allerdings ein Skoda Octavia ausgeliehen mit dem 537 km zurückgelegt wurden, also theoretisch denkbar die Strecke nach Nürnberg und zurück . Selbst wenn man aber unterstellt, dass Mundlos und Böhnhardt vom 24.05.2005 bis zum 26.05.2005 in Nürnberg waren und dort mögliche Tatorte selbst ausgespäht hätten, wäre völlig unverständlich, warum die Planquadrate in den Ausspähnotizen handschriftlich nachgetragen sind. Wurden die Ausspähnotizen selbst auch erst nach Abschluss dieser Fahrt in die Datenbank eingetragen, hätte man die Planquadrate aus den Stadtplänen gleich mit eingetragen, da Mundlos und Böhnhardt sich auch beim Ausspähen des Stadtplanes bedienten.

Noch viel weniger wäre nachvollziehbar, dass das mögliche Tatobjekt „Scharrerstraße“ nicht ebenfalls in die Datenbank übernommen worden ist, wenn es zum Zeitpunkt des Ausdruckes des Asservates, d.h. am 26.5.2005 schon bekannt war. Auch diese Gesamtschau spricht also eher dafür, dass die Ausspähnotizen von dritten Personen zugeliefert worden sind und Mundlos und Böhnhardt dann anhand eines vorhandenen ADAC-Stadtplanes handschriftlich nachgetragen haben, in welchem jeweiligen Planquadrat sich die Objekte befinden.

Kurzfristige Planung des Mordes an Ismail Yasar mit Hilfe Nürnberger Kontakte?

Die plausibelste Lesart dieser Ausspähnotizen ist unseres Erachtens Folgende: Mundlos und Böhnhardt hatten sich entschlossen, zum 09.06.2005 – ein Jahr nach dem Anschlag in der Keupstr. – eine weitere Tat zu verüben. Sie haben deshalb die ihnen von Nürnberger Rechtsradikalen gelieferten möglichen Tatorte ausgedruckt. Nun ist auffällig, dass von den maschinenschriftlich ausgedruckten Tatorten mindestens fünf sich weniger für individuelle Mordanschläge eignen, sondern mehr für Bomben und Brandlegungen. Das sind die drei Asylbewerberheime, die Kneipe in der Adam-Klein-Straße sowie die Deutsche Kommunistische Partei.

Es kann durchaus sein, dass das Trio ursprünglich vorhatte, am Jahrestag des Anschlages auf die Keupstraße einen weiteren Bombenanschlag zu begehen. Wenn sie dann – aus welchem Grund auch immer – davon Abstand genommen haben, dann blieb als möglicher Tatort ausschließlich der Imbiss in der Schafhofstraße 32. Wahrscheinlich verdankt der Betreiber dieses Imbisses sein Leben seinem Freund von der Tankstelle, der immer wieder zu ihm rüber kommt, so dass das Trio dieses Objekt für zu gefährlich gehalten hat.

Es spricht daher viel dafür, dass das Trio nach dem Ausdruck möglicher Ziele für den 9.6.2005 und nach dem Entschluss keinen Bombenanschlag, sondern einen Mord zu begehen, sich noch einmal gezielt bei seinen Nürnberger Kontakten erkundigt hat und diese dann den Hinweis auf den Imbiss von Ismail Yaşar in der Scharrerstraße gaben, weshalb dieser Tatort nach dem 26.05. handschriftlich nachgetragen wurde. Dass es innerhalb der rechten Szene in Nürnberg einen Bezug bzw. einen besonderen Zusammenhang zu diesem Imbiss gibt, werde ich in anderem Zusammenhang noch darlegen.

Dass Mundlos und Böhnhardt den Tatort in der Scharrerstraße gerade nicht selbständig vorab ausgekundschaftet haben, sie aber trotzdem gezielt dieses Objekt suchten, wird schon daran deutlich, dass nach Berichten von Zeugen Mundlos und Böhnhardt sich vor Ort auch nochmal an einem Stadtplan orientieren mussten, um überhaupt den Tatort zu finden. Das ist nicht das Verhalten von Personen, die den Tatort selbst ausgekundschaftet haben, insbesondere wenn dies wenige Tage vorher geschah.

Wir meinen daher, dass die Ausspähnotizen gerade nicht dafür sprechen, dass hier Beobachtungen niedergelegt sind, die Mundlos und Böhnhardt selbst gemacht haben, sondern sehr viel mehr dafür spricht, dass es sich um die Beobachtungen dritter Personen handelt. Insofern stützen die vorhandenen Ausspähnotizen gerade nicht die These der Bundesanwaltschaft, dass es keine Helfer und Hinweisgeber vor Ort gab.

Die Tatorte im einzelnen:

Nachdem sowohl die logistischen Voraussetzungen, wie die Ausspähnotizen nicht für, sondern gegen die Trio-Theorie der Bundesanwaltschaft sprechen, möchte ich mich im Folgenden noch einmal konkret mit den ersten drei Tatorten in Nürnberg befassen und der Wahrscheinlichkeit, dass Mundlos und Böhnhardt diese Tatorte ohne örtliche Helfer ausgekundschaftet haben.

Da ist zunächst die Gastwirtschaft in der Scheuerlstaße 23, in der im Juni 1999 der Taschenlampenanschlag verübt wurde. Wenn wir uns vorstellen, dass Mundlos und Böhnhardt in dieser Zeit nach Nürnberg fahren, um mögliche Anschlagsziele auszukundschaften, dann mag es im ersten Schritt noch plausibel sein, dass sie sich vom Bahnhof aus in südliche Richtung bewegen – sei es nun mit dem Auto, mit dem Fahrrad oder zu Fuß – und dann auch beim Unterqueren der Bahnlinie in die Scheuerlstraße kommen, obwohl es auch viele andere Wege in diesen Stadtteil gibt. Dann aber fällt ihr Blick auf einen typischen 50er- Jahre-Bau sowie eine Aufschrift „Pilsstube Sonnenschein“. Äußere Hinweise darauf, dass diese Gaststätte von einem Türken betrieben wird, gibt es nicht, keine Hinweise auf Döner oder ähnliches, da ohnehin in der Gaststätte kaum Speisen verabreicht werden, sondern nur Getränke. Wie also kommen Mundlos und Böhnhardt darauf, dass gerade in dieser Gaststätte mit dem urdeutschen Namen „Pilsstube Sonnenschein“ ein Türke arbeitet. Selbst wenn sie nah an die Gaststätte herantreten, um zu sehen wer Inhaber ist, werden sie dort allerhöchstens einen jugoslawischen Namen finden, da der türkische Inhaber, ein Herr B., die Gaststätte von der jugoslawischen Konzesssionsträgerin inoffiziell zum 01.05.99 übernommen hatte und erst zum 01.07. (nach dem Taschenlampenanschlag) auch nach außen auftreten wollte.

Es gibt schlicht und einfach keine vernünftige Vorstellung, wie ein Außenstehender, dem keine Hinweise erteilt werden, sich gerade diese Gastwirtschaft als Objekt seines ersten Bombenanschlags aussucht. Bei einem Hinweis von Ortskundigen, dass sich „hier schon wieder ein Türke in einer deutschen Gaststätte breit macht“ hingegen läge eine plausible Erklärung dafür vor, dass Mundlos und Böhnhardt auch gar nicht mehrfach nach Nürnberg fahren mussten, um den Tatort auszukundschaften, sondern dass sie gezielt den Tatort aufsuchen konnten.

Bevor ich zum Tatort in Sachen Şimşek (Pfeil Gelb Nr. 2) komme, zunächst etwas zum Tatort Özüdoğru: Wenn wir jetzt unterstellen, dass Mundlos und Böhnhardt das Gebiet südlich des Hauptbahnhofes Nürnberg systematisch durchstreifen, um mögliche Geschäfte festzustellen, in denen ein türkischer Inhaber ermordet werden kann, würden sie ja wahrscheinlich die Hauptschlagadern durchgehen und vielleicht noch die daran direkt anschließenden Nebenstraßen aufsuchen und auskundschaften. Hingegen in ein Wohngebiet zu gehen, in dem eigentlich wenig Ladenlokale sind, ist nicht sehr wahrscheinlich, selbst wenn sie dies tun, stoßen sie dort auf ein Ladenlokal als „Änderungsschneiderei“. Ob dieses von einem Mann oder einer Frau betrieben wird, können sie zumindest nicht ohne längere Beobachtung feststellen, der kleine Name im Eingangsbereich dürfte ebenfalls nicht unbedingt Aufschluss darüber geben, ob es sich um einen Mann, eine Frau, eine junge oder eine alte Person handelt. Es spricht also auch hier schon der erforderliche logistische Aufwand dagegen, dass der Tatort bei einer systematischen Durchforstung der Straßen Nürnbergs durch Mundlos und Böhnhardt von diesen selbst festgestellt worden ist.

Am absolut unwahrscheinlichsten ist die Theorie von den nicht existierenden Helfern vor Ort allerdings bezogen auf den Mord an Enver Şimşek. Ich hatte bereits zu Beginn anhand der Karte demonstriert, dass dieser Tatort mehr als 6 km von der Innenstadt Nürnbergs entfernt ist. Er liegt auch nicht an einer Straße, die man fährt, wenn man z. B. von Zwickau nach Nürnberg fährt, um dort mögliche Tatorte auszukundschaften. Zwischen dem Taschenlampenanschlag im Juni 1999 und dem Mord an Enver Şimşek im September 2000 werden kaum viele Fahrten nach Nürnberg stattgefunden haben. Gerade für den ersten Mord werden sie aber besonders sorgfältig den Tatort ausgekundschaftet haben, insbesondere wenn sie keinerlei Beschreibung und Hinweise von Dritten hatten. Dabei kommt eine Besonderheit hinzu.

Wenn wir davon ausgehen, dass Mundlos und Böhnhardt immer in geschlossenen Räumen töteten und ihren ersten Mord sicherlich nicht so geplant hätten, dass sie einen Verkäufer, der lediglich mit einem Tisch an dieser Stelle steht und Blumensträuße verkauft, einfach erschießen, dann war das Zeitfenster für eine selbständige Feststellung des Tatortes und die Durchführung äußerst kurz. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass Enver Şimşek kurz vor seinem Tod am 27.08/28.08. bzw. 02.09/03.09. mit seinem Fahrzeug an dieser Stelle stand und damit am 09.09. erst das 5. Mal war, also zwei Wochenenden zuvor.

Die Auskundschaftung des Tatortes mit dem dort stehenden Fahrzeug hätte also gerade in diesem schmalen Zeitfenster stattfinden müssen. Noch ein weiteres kommt allerdings hinzu: Enver Şimşek stand an dieser Stelle nur samstags und sonntags. Es gab aber keinen Hinweis darauf, dass dieser Stand nur am Samstag und am Sonntag dort steht.

Selbst wenn man die unwahrscheinliche Variante unterstellt, dass Mundlos und Böhnhardt einmal zufällig am Samstag oder Sonntag an dieser Stelle vorbeigekommen sind und die Stelle als möglichen Tatort ausgekundschaftet haben, hätten sie gar nicht wissen können, dass die Ausführung der Tat selbst auch an einem Samstag stattfinden müsse. Das können natürlich Ortskundige wissen.

Dabei ist besonders bemerkenswert, dass der NSU vor allen Dingen am Mittwoch gemordet hat. Die Mordanschläge gegen Özüdoğru, Taşköprü, Kiliç, Turgut fanden alle an einem Mittwoch statt, ebenso der Bombenanschlag in der Keupstraße.

Der Mord an Ismail Yaşar dann an einem Donnerstag, da offenbar unbedingt am 09.06. (Jahrestag Anschlag Keupstrasse) eine weitere Tat verübt werden sollte, der darauffolgende Mord an Theodoros Boulgarides wieder an einem Mittwoch. Die Taten an Mehmet Kubaşik und Halit Yozgat fanden Dienstag und Donnerstag statt.

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass Mundlos und Böhnhardt gerade im Fall Şimşek ohne Hinweise von außen zufällig zweimal samstags an der völlig abgelegenen Stelle in Nürnberg auftauchten, um Enver Şimşek zu ermorden. Es liegen jedenfalls genügend Anhaltspunkte dafür vor, dass die Theorie der Bundesanwaltschaft, dass das Trio allein gehandelt hat, nicht haltbar ist. Betrachtet man diese Theorie für sich gesehen, so spricht absolut nichts dafür und alle Straftaten werden sehr viel leichter und plausibler erklärbar, wenn man von dritten Helfern ausgeht.

Es bleibt also für die Bundesanwaltschaft ausschließlich die unbewiesene Behauptung, dass es derartige weitere Täter bisher nicht gegeben hat mit der Begründung, dass sie nicht ermittelt wurden. Da allerdings ist immer entscheidend, in welchem Umfang und mit welcher Intensität hier tatsächlich ermittelt wurde und wird. Die Bundesanwaltschaft hat vielleicht nicht genügend Steine umgedreht, um auf entsprechende externe Täter zu stoßen.

Angehörige der rechten Szene in Nürnberg hatten Kontakt zu den Tatorten

Ich hatte oben bereits darauf hingewiesen, dass gerade im Mordfall Yaşar konkrete Hinweise auf mögliche Rachegedanken in der rechten Szene gegen Ismail Yaşar vorliegen, und dass darüber hinaus die Person, die dabei involviert ist, nachweislich auch Kontakt zu Mundlos und auch zu Holger Gerlach und Ralf Wohlleben hatte. Was die Kontakte nach Nürnberg betrifft, so kann einem Vermerk des Bundeskriminalamtes vom 19.04.2012 nämlich entnommen werden, dass Ismail Yaşar, der in der Scharrerstrasse in Nürnberg umgebracht wurde, einige Monate vor seinem Tod eine Auseinandersetzung mit einem als PMK-rechts (politisch-motivierte Kriminalität rechts) Erkenntnissen versehenen Jür. F. gehabt hat. Jür. F. hat eine Sachbeschädigung zu dessen Nachteil begangen und wurde deswegen zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Das Bundeskriminalamt führt in einem weiteren Vermerk vom 24.05.2012 zu diesem Sachverhalt aus, dass kein Zusammenhang zwischen der Sachbeschädigung aus dem Jahr 2004 und dem im Jahre 2005 erfolgten Mord an Ismail Yaşar festgestellt werden konnte. Aus dem damaligen Vorgang gehe hervor, dass es sich um eine situationsbedingte und anlassunabhängige Tat, was immer das heißen mag, handelte.  In einem weiteren Vermerk vom 09.08.2012 führt das BKA nochmals weiter aus, dass ein Zusammenhang nicht erkennbar sei. Dies überrascht, zumal Jür. F. und der Angeklagte Ralf Wohlleben sowie der Angeklagte Holger Gerlach, sowie Stefan A., Kai St. und Uwe Mundlos am 18.02.1995 gemeinsam an einer Skinhead Veranstaltung in der Gaststätte „Tiroler Höhe“ in der Sterzinger Straße in Nürnberg teilgenommen haben.

Bei der  Gaststätte „Tiroler Höhe“ handelt es sich um einen bekannten Neonazi- und NPD-Treff.  Die Telefonnummer der „Tiroler Höhe“ befand sich auch auf der „Garagenliste“ des Uwe Mundlos. Demnach gab es Kontakte der Angeklagten Gerlach, Wohlleben und dem Verstorbenen Uwe Mundlos nach Nürnberg. Und das ist jetzt entscheidend. Einer dieser Kontakte in Nürnberg hatte eine Auseinandersetzung mit dem späteren Mordopfer Ismail Yaşar. Und offensichtlich führte diese Auseinandersetzung auch zu einer Verurteilung des Jür. F. zu einer Freiheitsstrafe. Diesen Umstand haben weder Bundesanwaltschaft noch das Bundeskriminalamt erkannt und überprüft, sondern lediglich angenommen, dass kein Tatzusammenhang erkennbar sei.

Meine Kollegin Antonia von der Behrens hat in ihrem Plädoyer bereits darauf hingewiesen, dass außerdem Kontakte zu dem ursprünglich aus Gera stammenden Neonazi Jen. H. bestanden, der im Nachbarhaus der Gaststätte „Sonnenschein“ wohnte und dessen Adresse auf der so genannten Garagenliste stand. Sie hat auch dargestellt, dass auch der Wohnort des Herausgebers des „Landsers“ in der Nähe der Gaststätte war. Der Neonazi Chr. W., der Ex-Freund von M. St., hat in seiner polizeilichen Vernehmung im Jahr 2012 zugegeben, dass er den Blumenstand von Enver Şimşek kannte und dort zweimal Blumen gekauft hat.  Weitere Ermittlungen gegen ihn sind nicht bekannt.Soviel dazu, dass die Bundesanwaltschaft ernsthafte Ermittlungen dazu geführt hat, ob es Tippgeber und/oder Unterstützer gab.

Im Ergebnis halten wir also Folgendes fest: Gegen die These, dass der NSU in Nürnberg oder auch in anderen Städten Helfer und Tippgeber hatte, spricht eigentlich nur, dass die Bundesanwaltschaft bisher noch keinen finden konnte. Von der Sache her ist dies allerdings allemal wahrscheinlicher als die These, dass Mundlos und Böhnhardt alle Tatorte selbst ausspioniert haben. Weil für die Familie immer noch die Frage offen ist, wer den Hinweis auf den Blumenstand des Enver Şimşek gegeben hat, dürfen die Ermittlungen dazu nicht mit diesem Verfahren beendet werden.

Es muss weiter ermittelt werden.

Dazu möchte auch ich zum Ende meines Plädoyers meine am 09.12.2015 verstorbene Kollegin Angelika Lex zitieren. Sie sagte in ihrer Dankensrede zur Verleihung des Georg-Elser-Preises:

„Wenn jeder einen Schritt weiter geht, als er sich ursprünglich vorgenommen hat, dann mach ich mir keine Sorgen.“

Das sollten sich alle an der Aufklärung der NSU-Taten Interessierten zu Herzen nehmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.