Plädoyer: Teilschweigen und mangelnde Authentizität

Zum Aussageverhalen der Angeklagten Zschäpe –
Teil 1 des Plädoyers – gehalten von RA Reinecke am 14.12.2007

Nach diesen Vorbemerkungen komme ich nun zum ersten Teil meines Plädoyers, den ich mit „Teilschweigen und mangelnde Authentizität“ überschreibe und in dem ich mich mit einzelnen Aspekten des Aussageverhaltens der Angeklagten befassen will. Welche Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der Einlassung hat das schriftliche Frage- und Antwortspiel der Angeklagten? Die jetzigen Vertrauensanwälte der Angeklagten meinen hier wohl den Stein der Verteidigungsweisen gefunden zu haben, weil man damit Angaben der Angeklagten in Hauptverhandlung einführen kann, die zuvor jeweils auf ihre Nützlichkeit für die Verteidigung – nicht unbedingt auf ihre Wahrheit – überprüft wurden. Sie übersehen dabei, dass diese Form der Einlassung nahezu wertlos ist. Von einer Nachahmung kann nur dringend abgeraten werden.

Schriftliches Frage- und Antwortspiel

Bekanntlich gilt der größte Teil der Strafprozessordnung, gerade auch die Vorschriften über die Vernehmung der Angeklagten zur Sache in sämtlichen Strafverfahren, d.h. genauso beim Einzelrichter des Amtsgerichtes wie beim OLG-Senat. Ich stelle mir eine Verhandlung beim Einzelrichter des Amtsgerichtes vor, in der ich eine mit dem Mandanten abgesprochene Erklärung für diesen abgebe und der Richter dann Fragen dazu stellt. Was würde passieren, wenn ich ihm dann mitteile, wir würden seine Fragen notieren und in ca. 14 Tagen schriftlich beantworten. Im besten Fall würde der Richter wohl erklären, es müssten durch den Angeklagten ohnehin keine Fragen beantwortet werden und wenn er jetzt nicht antworte, dann eben nicht. Auch in durchschnittlichen Verfahren beim Landgericht, die in wenigen Tagen erledigt sind, wäre dieses Frage/Antwort – Verfahren nicht durchführbar. Die Richter könnten natürlich auch nach Blick in Kommentare sogar zu der Auffassung kommen, dass § 243 StPO zwingend die mündliche Befragung vorsieht. Wie dem auch sei: Wenn der Angeklagten angeboten wird sich auf Fragen mündlich zu äußern, sind ihre Rechte gewahrt, weder die Aufklärungspflicht des Gerichtes noch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs zwingt dazu, auf die schriftlichen Antworten einer Angeklagten zu warten. Dass ein solches Frage- und Antwortspiel überhaupt möglich war, ist der schlichten Tatsache geschuldet, dass sich das Verfahren ohnehin lange Zeit hingezogen hat.

Das Vorgehen der Angeklagten führt allerdings dazu, dass ihre Angaben schon von vorneherein und ohne inhaltliche Prüfung als unglaubhaft angesehen werden müssen. Aus gutem Grund ist es so, dass die Befragung des Angeklagten im Strafprozess mündlich erfolgt. Im Dialog von Frage und Antwort entwickelt sich die Authentizität der Aussage und auch non-verbale Reaktionen, die für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von entscheidender Bedeutung sein können. Der zugunsten der Angeklagten befangene Sachverständige Professor Dr. Bauer hat immerhin eines eingeräumt: Ohne das persönliche Gespräch mit der Angeklagten ausschließlich aufgrund ihrer schriftlichen Äußerungen ließe sich die Glaubwürdigkeit nicht beurteilen. Er kam dann zu dem auf dem Boden der Prozessordnung absurden Vorschlag, der Vorsitzende solle einmal längere persönliche Gespräche mit Frau Zschäpe führen und sich auf diesem Wege selbst von ihrer Glaubwürdigkeit überzeugen.

Die hohe Bedeutung der unmittelbaren Kommunikation ist letztlich unumstritten. Es sei daran erinnert, dass es in den ersten Tagen des Prozesses Diskussionen um die Sitzordnung gegeben hat. Die Verteidiger haben großen Wert darauf gelegt, so zu sitzen, dass sie Zeugen während ihrer Aussage jeweils sehen können. In der Tat gilt eventuell das Minenspiel, die Körpersprache und ähnliches bei einer Aussage als ein Indiz bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit. Für Angeklagte gilt natürlich nichts anderes. Auch dort wird die Art des Vortrages, die Spontaneität, das Minenspiel und ähnliches für die Würdigung von Bedeutung sein, ob der Einlassung der Angeklagten zu folgen ist oder nicht. Diesem Test der Glaubwürdigkeit hat sich Frau Zschäpe ebenso entzogen wie mündlicher Nachfragen, die den Vortrag präzisieren könnten und authentischer machen.

Welche große Bedeutung die unmittelbare Kommunikation zwischen Zeugen oder auch Angeklagten und dem Gericht haben, kann man auch an Parallelen aus dem Zivilverfahren erkennen. Dort werden mündliche Aussagen von Zeugen schriftlich protokolliert und genehmigt. Trotzdem gibt es Einschränkungen bei der späteren Verwertung dieser schriftlich fixierten Aussagen. So etwa ist es ein eherner Grundsatz, dass ein Berufungsrichter die Glaubwürdigkeit eines Zeugen allein aufgrund der schriftlich niedergelegten Angaben nicht anders beurteilen darf als der Richter erster Instanz, wenn er sich nicht zuvor einen eigenen persönlichen Eindruck verschafft hat. Dasselbe gilt praktisch in Fällen, in denen im Zivilverfahren zwischen verschiedenen Terminen zur Beweisaufnahme ein Richterwechsel eintritt. Nach der Rechtsprechung des BGH (XI ZR 160/96, XI ZR 310/89) können frühere Zeugenaussagen durch Würdigung der Vernehmungsprotokolle nur verwertet werden, sofern es auf einen persönlichen Eindruck von den Zeugen und ihren Bekundungen nicht ankommt, was nun eher selten ist.

Legt man all diese Maßstäbe zugrunde, so steht von vornherein fest, dass die Angaben von Frau Zschäpe bei der Beweiswürdigung nur von untergeordneter Bedeutung sind. Eine Einschätzung Ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit ist nicht möglich, sie entzieht sich mit Ihrer Methode von Vorn herein einer Beurteilung, wie sie in einem mündlichen Dialog möglich ist.

Teilschweigen

Hinzu kommt allerdings, dass die Angeklagte längst nicht alle Fragen, insbesondere die der Nebenklagevertreter beantwortet hat. Dieses Verhalten gegenüber Fragen der Nebenklagevertreter belegt nicht nur ihre Verachtung gegenüber den Opfern, sondern ist als Teilschweigen ohne weiteres verwertbar. Der Bundesgerichtshof führt zum Problem des „Teilschweigens“ folgendes aus:

„Durch eine Teileinlassung macht sich der Angeklagte freiwillig zum Beweismittel. Sein teilweises Schweigen bildet dann einen negativen Bestandteil seiner Aussage, die in ihrer Gesamtheit der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegt.“ (BGH, Beschluss vom 03. Mai 2000 – 1 StR 125/2000 –, juris)

Die Bewertung der Verweigerung der Beantwortung von Fragen als Teilschweigen bezieht sich deshalb nicht nur auf Fragen des Gerichts sondern auch anderer Prozessbeteiligter, wie etwa das Kammergericht für die dem Nebenkläger gleichgestellte Staatsanwaltschaft entschieden hat (Beschluss vom 11. Dezember 2009 – (2) 1 Ss 364/09 (33/09) –, Rn. 6, juris)

Aus einem Schweigen der Angeklagten zu den ihr gestellten Fragen lassen sich also auch Rückschlüsse ziehen, zumindest wenn die Angeklagte keine nachvollziehbaren Gründe für die Nichtbeant­wortung nennt und andere Gründe für die Nichtbeantwortung ausgeschlossen werden können (so BGH, 3 StR 370/01)

Die Strafprozessordnung kennt bei der Aufklärung des Sachverhalts keinerlei Fragen erster oder zweiter Qualität, je nachdem, ob sie vom Gericht oder von sonstigen Beteiligten gestellt werden. Das Gesetz kennt nur unzulässige, ungeeignete und nicht zur Sache gehörige Fragen, die beanstandet werden können; ansonsten sind die Fragen zulässig. Von Seiten der Nebenklagevertreter sind einige hundert Fragen an Frau Zschäpe gestellt worden. Von Amtswegen sind von Seiten des Gerichtes zunächst keine dieser Fragen beanstandet worden, von den jetzigen Vertrauensverteidigern ebenfalls nicht. Die Rechtsanwälte Sturm, Heer und Stahl haben eine Reihe von Fragen beanstandet, das Gericht hat diesen Beanstandungen teilweise stattgegeben. Damit steht für alle und auch für die Angeklagte Zschäpe fest, dass sämtliche Fragen, die entweder überhaupt nicht beanstandet wurden oder die trotz Beanstandung durch das Gericht für zulässig erklärt wurden, zur Sache gehören. Es ist nicht Aufgabe des Gerichtes Fragen „zu übernehmen“ und sich dann vielleicht – wenn dies pauschal für die zulässigen Fragen geschieht – noch dem Vorwurf der Befangenheit auszusetzen. Wenn der Senat die Fragen nicht beanstandet, ist das Signal genug für die Angeklagte, diese Fragen zu beantworten. Viele der Fragen der Nebenklagevertreter sprachen offenkundige Widersprüche in der Einlassung an. Insofern kann in der Beweiswürdigung auch berücksichtigt werden, dass Frau Zschäpe gerade auch solche Fragen nicht beantwortet hat.

Eine vernünftige Erklärung für die Verweigerung der der Beantwortung der Fragen hat die Angeklagte zu keinem Zeitpunkt gegeben. In Ihrer Erklärung vom 14.09.2016 auf Seite 3 hat die Angeklagte überhaupt keinen Grund für ihre Entscheidung angegeben, am 08.12.2016 in ihrer Erklärung zum Gutachten von Professor Sass auf Seite 7 hat sie als erstes behauptet, sie hätte

„alle prozessrelevanten Fragen mit ihrer Einlassung vom 09.12.2015 und den folgenden Stellungnahmen beantwortet.“

Dass dies nicht zutrifft, liegt auf der Hand. In einzelnen Fällen werde ich darauf im weiteren Plädoyer auch noch zurückkommen. Ich will hier aber nur beispielhaft drei offensichtlich prozessrelevante Fragen wiederholen, die wir an die Angeklagte gestellt haben und die von ihr nicht beantwortet wurden (Ergänzung zum Plädoyer: Vollständig finden Sie diese Fragen hier.):

Beispiel 1aus unseren Fragen:.
Zu den in der Frühlingsstrasse aufgefundenen Videoaufzeichnungen zum Bombenanschlag in der Keupstraße soll sich Ihr Verteidiger, Herr Grasel nicht nur gegenüber der taz sondern auch gegenüber dem Berliner Tagesspiegel geäussert haben. Er soll dabei ausweislich des beigefügten Artikels erklärt haben: „Denkbar sei auch, Mundlos und Böhnhardt hätten in Köln nach der Tat bei einem Freund die Sendungen aufgenommen.“ Wissen Sie ob Uwe Böhnhardt und/oder Uwe Mundlos in Köln einen Freund/Freundin hatten und wie heisst der/die?

Beispiel 2 aus den von uns gestellten und nicht beantworteten Fragen:
Der vom BKA rekonstruierte Internetverlauf auf Ihrem Computer (EDV 01) ist Ihnen bekannt (SAO 267, 120). Wie ordnen Sie zeitlich die Radiomitteilung, der Sie den Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos entnommen haben wollen, in diesen Internetverlauf ein, das heißt welche Suchanfragen haben Sie vor und welche Suchanfragen nach der genannten Radiomeldung vorgenommen?

Drittes Beispiel:
Auf Ihrem PC wurde nach Feststellungen des BKA das erste Benutzerkonto am 14.04.2011 angelegt (SAO 267, 212). Es befanden sich Auszüge von google-maps und google-earth betreffend das jüdische Krankenhaus in Berlin auf Ihrem PC (SAO 267,91). Wann und zu welchem Zweck wurden entsprechende Suchanfragen gestartet und entsprechende Kartenausschnitte heruntergeladen?

Ich könnte jetzt sicherlich noch ein bis zwei Stunden lang erkennbar prozessrelevante Fragen von Nebenklagevertretern verlesen, die von der Angeklagten nicht beantwortet wurden. Es trifft also schlicht nicht zu, dass Frau Z. alle prozessrelevanten Fragen beantwortet hätte. Als zweiten Grund hat Frau Zschäpe in Ihrer Erklärung vom 8.12.2016 angegeben

„Auf Grund des Prozessverhaltens einzelner anwaltlicher Vertreter der Nebenklage gehe ich davon aus, dass auf die bisher gestellten Fragen weitere Fragen in gleicher Anzahl gestellt würden, weil ich deren Erwartung aus eigener Unkenntnis nicht erfüllen kann.“

Das ist natürlich kein Grund, Fragen nicht zu beantworten. Durch die Verweigerung einer mündlichen Befragung wird es natürlich mühsam, wenn eventuelle Vorhalte jeweils zusätzlich schriftlich erfolgen müssen. Eine vernünftige Erklärung dafür, zumindest die zunächst gestellten Fragen, die sie aus eigener Kenntnis beantworten könnte nicht zu beantworten, ist dies nicht. Kann sie schon die zunächst gestellte Frage angeblich nicht beantworten, kann sie das natürlich auch sagen. Am Interessantesten ist allerdings der dritte Grund, den Frau Zschäpe am 8.12.2016 für die Nichtbeantwortung der Fragen gibt, wenn sie dort ausführt:

„Schließlich bin ich der Meinung, dass viele der gestellten Fragen eher in einem Untersuchungsausschuss und nicht in einem Strafprozess gestellt werden sollten.“

Welche Fragen das nun seien sollen, erfahren wir nicht. Vielleicht erwartet Frau Z. bei einer solchen Begründung Verständnis bei denen zu finden, die gerne unangenehme Fragen aus dem Prozess in Untersuchungsauschüsse auslagern möchten. Man weiß außerdem nicht, ob das heißen soll, dass Frau Zschäpe als Zeugin in einem Untersuchungsausschuss diese Fragen tatsächlich beantworten würde. Nach Zeitungsmeldungen soll der Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtages erwogen haben, Frau Zschäpe als Zeugin zu laden. Man darf also gespannt sein, ob Frau Z. dann dort die Fragen beantworten würde. Ich vermute, das wird sie nicht tun. Was soll also die Begründung, dass an sie gerichtete Fragen in den Untersuchungs­ausschuss gehören?

Zusammengefasst: Irgendein nachvollziehbarer Grund dafür, dass Frau Zschäpe die Fragen der Nebenklagevertreter nicht beantwortet hat, ist nicht erkennbar. Erkennbar ist die Angst davor, sich selbst bei einer nur schriftlichen Beantwortung in weitere Widersprüche zu verstricken.

Als Zwischenergebnis kann also festgehalten werden, dass die Art der Einlassung der Angeklagten Zschäpe zum einen keinerlei Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen kann, weil die Angeklagte sich jeglicher persönlicher Überprüfung der Glaubwürdigkeit entzieht und zum anderen – gerade im Hinblick auf das Verhalten gegenüber Fragen der Nebenklage­vertreter – als Teilschweigen zu werten ist.

Mangelnde Authentizität

Die nur schriftliche Einlassung und Beantwortung von Fragen führt aber auch zum Verlust jeglicher Authentizität. Zu Recht hat der Sachverständige Saß darauf hingewiesen, dass die Einlassung der Angeklagten nicht authentisch ist und er hat es ebenfalls zu Recht als deutliches Indiz dafür angesehen, dass die Einlassung nicht glaubhaft ist. Es war schon etwas peinlich, als der Wahlverteidiger von Frau Zschäpe versuchte, Herrn Saß zu Erklärungen zu bringen, wie denn eine authentische Einlassung aussehen müsste. Dabei ist dies eigentlich nicht so schwer. Eine authentische Einlassung zeichnet sich dadurch aus, dass sie vor dem Auge des Hörers oder Lesers Bilder entstehen lässt. Sie zeichnet sich darüber hinaus durch Detailreichtum aus. Nun ist es nur guten Schriftstellern gegeben, Sachverhalte schriftlich so zu schildern, dass beim Leser Bilder entstehen. Im mündlichen Dialog in Form einer Befragung ist es viel eher möglich, solche Bilder entstehen zu lassen, weil der Fragende immer wieder Einzelheiten erfragen kann, die ihm an seinem Bild fehlen.

Um dieses Problem plastisch zu machen, will ich einmal beispielhaft schildern, wie eine authentische Einlassung, die gegebenenfalls in mündlichem Dialog zustande gekommen wäre, hätte aussehen können, wie eine detailreiche Aussage hätte aussehen können, welche Fragen sie beantwortet hätte. Auch wenn ich die Einlassung der Angeklagten Zschäpe insgesamt für weitgehend unwahr halte, lege ich sie zunächst im Folgenden zu Grunde. Es zeigt sich dann jeweils, dass die mangelnde Authentizität Beleg für die unwahren Darstellungen der Angeklagten ist. Beispielhaft versuche ich die Anforderungen an eine authentische Einlassung für einen Zeitraum von ca. sechs Wochen Ende November 2000 bis Anfang Januar 2001 deutlich zu machen.

Seit dem 01.07.2000 wohnte das Trio nach dem Umzug nach Zwickau in der Heisenbergstraße, einer drei-Zimmer-Wohnung mit Küche, Bad. Die Kollegin Lunnebach hat bereits dargestellt, wie verlogen die Behauptung von Frau Zschäpe zu der nachträglich hergestellten 4-ZimmerWohnung ist. Ich will dies nur um einen Aspekt ergänzen: Die Umwandlung der Drei-Zimmer-Wohnung in der Heisenbergstr. in die vier-Zimmer Wohnung ist der Angeklagte sehr spät eingefallen. In ihrer Einlassung vom 9.12.2015 sagt sie auf S. 24:

Acht Monate in einem Zimmer, „hausen“, wie in der Altchemnitzer Straße 12 in Chemnitz, war in unguter Erinnerung, so dass wir über die Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnung in der Wolgograder Allee 76 in Chemnitz und in der Heisenbergstr. 6 in Zwickau nun so viel Platz fanden, dass sich jeder in seinem eigenen Zimmer ungestört aufhalten konnte.

Hier hebt die Angeklagte also noch einmal hervor, dass die Heisenbergstr. eine drei Zimmer Wohnung war und dass erst in der Polenzstr. jeder ein eigenes Zimmer hatte. Natürlich hat die Angeklagte auch nicht authentisch geschildert, wie sich eigentlich das Zusammenleben mit dem von ihr geliebten Uwe Böhnhardt in den getrennten MiniZimmern abgespielt hat.

Seit November 1999 war dem Verfassungsschutz bekannt, dass Mundlos und Böhnhardt „jobben“. Wie wir im Prozess erfahren haben, ist dem Verfassungsschutz zumindest heute bekannt, dass darunter in der rechten Szene Bankräubereien verstanden werden. Ende November 2000 hatten dann Böhnhardt und Mundlos wieder einen „Job“. Sie überfielen die Postfiliale in der Johannes-Dick-Straße 4 in Chemnitz und erbeuteten dabei knapp 40.000,00 DM. Das Auto mietete der Angeklagte Eminger für den 30.11. an. Es wurde bis zum 02.12., einem Samstag, angemietet und spätestens an diesem Tag zurückgegeben. Von Frau Z. erfahren wir dazu  auf S. 18 der Einlassung vom 9.12.15:

„Erst kurz vor Verlassen der Wohnung informierten sie mich, dass sie „Geld besorgen“ würden.“

Was sie genau damit meint, dass sie dies „kurz vor Verlassen der Wohnung“ erfuhr ist unklar. Authentisch wenn auch nicht besonders glaubwürdig wäre z.B. wenn sie gesagt hätte, dass die beiden in der Tür standen und sagten: „Hallo Beate, wir gehen jetzt mal Geld besorgen“ und dann aus der Tür waren, so dass die Angeklagten Ihnen nur nachrufen konnte: „Fahrt vorsichtig“ und vielleicht noch: „Könnt ihr bei der Rückfahrt den Einkauf erledigen?“. Das ist aber unglaubwürdig. Wir müssen also selbst nach der Einlassung der Angeklagten davon ausgehen, dass spätestens am Vorabend im gemeinsamen Wohnzimmer darüber gesprochen wurde, sodass es also auf jeden Fall noch einen Dialog gab, mit Fragen, wo sie hinfahren wollten, wie sie die Sparkasse ausgesucht hätten. Von einem solchen Dialog erfahren wir nicht. Erzählt hat die Ang. auch nichts davon, dass sie natürlich mit den beiden Uwes über die Frage gesprochen hat, woher diese denn das Auto haben und diese ihr natürlich auch mitteilten, dass der André für sie wieder das Auto angemietet habe. Noch viel weniger erfahren wir etwas darüber, was eigentlich für den Fall besprochen war, dass die beiden Uwes erwischt werden. Mit der Selbstmordgeschichte „überraschten“ Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Frau Zschäpe nach deren Angabe erst einige Wochen später nämlich Mitte Dezember 2000. Frau Z. wird nicht ernsthaft behaupten wollen, dass alle diese Fragen nicht von ihr gestellt worden sind, es sei denn, sie war ohnehin – was ich für wahrscheinlich halte – von Anfang in Pläne eingeweiht. Frau Zsch. hat Vieles behauptet aber nicht, dass Mundlos und Böhnhardt ihr irgendwann den Lohengrin gemacht haben mit der Aufforderung „Nie sollst du uns befragen“. Eine authentische Schilderung hätte uns die Szene unter dem Titel: „Erst kurz vor Verlassen der Wohnung informierten sie mich, dass sie „Geld besorgen“ würden“ also konkret vor Augen führen können.

Spätestens am 2.12. kamen dann die beiden Männer mit den knapp 40.000,00 DM zurück. Von dem sicherlich freudigen Wiedersehen erfahren wir nichts. Der 03. Dezember war dann Sonntag und gleichzeitig erster Advent. Authentisch wäre es nun, wenn Frau Zschäpe erzählt hätte, wie man nach diesem erfolgreichen „Job“ darüber gesprochen hat, was man mit dem Geld macht und ob man sich zu Weihnachten auch etwas Besonderes leisten kann.

Sodann überlappen sich zwei Handlungsstränge, die in der Einlassung der Angeklagten getrennt voneinander verhandelt werden, zum einen das Geständnis von Mundlos und Böhnhardt zum Mord an Enver Simsek Mitte Dezember 2000, worüber die Angeklagte ab S.19 der Einlassung berichtet, zum anderen die Vorbereitung und Durchführung des Anschlages in der Probsteigasse, wovon die Angeklagte ab S.23 der Einlassung berichtet. Was in der schriftlichen Einlassung weit auseinandergezogen ist, muss tatsächlich gleichzeitig stattgefunden haben. Es steht fest, dass das Fahrzeug für den Anschlag in der Probsteigasse für den Zeitraum vom 19.12.2000 bis zum 21.12.2000 angemietet wurde. In der Einlassung Seite 23 erklärt die Angeklagte:

Vor der heftigen Diskussion Mitte Dezember 2000 hatte ich mehrfach mitbekommen, dass die beiden über Köln sprachen.

Gemeint ist die angeblich heftige Diskussion um die Ermordung von Enver Simsek. Auf die Frage des Vorsitzenden ,“was sprachen Mundlos und Böhnhardt über Köln?“ Antwortete die Angeklagte am 21.1.2016 (S.12):

 „Details kann ich nicht schildern. Ich hatte nur ab und zu das Wort Köln verstanden. Ich hatte sie nie darauf angesprochen, ob sie in Köln etwas vorhatten.“

Wir versuchen uns das jetzt mal plastisch vorzustellen. Bevor die Angeklagte angeblich etwas zum 1. Mord erfahren hat und in der guten Stimmung nach dem erfolgreichen Banküberfall sitzen die drei im Wohnzimmer und die Angeklagte hört angeblich immer nur: Murmel, murmel, murmel Köln, Murmel, murmel, murmel Köln, Murmel, murmel, murmel Köln. Warum sie in dieser Situation nicht einmal fragt, was mit Köln ist , hat sie nicht nachvollziehbar erklärt. In dieser Variante ist ja nicht einmal klar, dass die beiden Uwes nicht nur allgemein z.B. über die rechte Szene in Köln gesprochen haben, sondern über eine Fahrt nach Köln. Zumindest die Frage, ob und was die Uwes mit dem vielen Geld jetzt in Köln machen wollen, drängt sich geradezu auf.

In derselben Zeit der Ahnungslosigkeit vor dem Geständnis des ersten Mordes muss dann auch die Herstellung der Bombe in „Uwes Bastelecke“ in dem angeblich 4,5 qm großem Zimmer stattgefunden haben, da zwischen dem Geständnis des Mordes an Enver Simsek (Mitte Dezember) und der Fahrt nach Köln nur wenige Tage liegen, die Bombe also sicherlich schon vorher gebaut wurde und Frau Zschäpe behauptet hat, Uwe Böhnhardt habe die Bombe in seinem Zimmer gebaut.

Nach der Einlassung der Angeklagten erfolgte einige Tage nach dem Gemurmel mit dem nur verstandenen Wort „Köln“ die Offenbarung des Mordes an Enver Simsek : Wie es dazu kam schildert die Angeklagte auf S. 19 ihrer Einlassung wie folgt:

Ich weiß nicht, ob es an der Stimmung zur Weihnachtszeit lag, jedenfalls merkte ich an den Blicken des Uwe Mundlos,·. dass etwas nicht stimmte. Ich sprach ihn darauf an, was mit ihm los sei und er berichtete mir, was rund drei Monate zuvor passiert war ..

Die Einlassung ist schon in sich schlicht unverständlich. Wie mag Uwe Mundlos denn nun geblickt haben. Und was hat das alles mit Weihnachten zu tun. Nach den Angaben der Angeklagten gegenüber dem Zeugen Bauer hat sich das wie folgt abgespielt (S. 22 des Gutachtens):

Sie habe, so Fr. Zschäpe, Mitte Dezember 2000 mit Uwe Mundlos in einem Wäldchen einen Spaziergang gemacht. „Er hat sich irgendwie anders verhalten als normal; ich habe ihn gefragt ob es ihm nicht so gut gehe; darauf rückte er dann ‚raus“ und habe ihr von dem Mord erzählt. Auf die Frage nach ihrer Reaktion: „Mundlos hatte oft einen sehr sarkastischen Humor, ich habe es erst einmal nicht geglaubt.“ Als ihr dann aber klargeworden sei, dass es sich nicht um einen Scherz gehandelt habe, „konnte ich erst einmal gar nichts denken. Mir was bewusst, dass da etwas ganz Schlimmes, etwas Unfassbares passiert, ist.“ Es sei dann zuhause zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen ihr einerseits, und UB und UM andrerseits gekommen. Fr. Z. hat darüber bereits in ihrer Stellungnahme vom 9. 12. 2015 berichtet. „Schlussendlich“, so Fr. Z. in der jetzigen Exploration, „sind wir so verblieben: UB und UM machen das nicht nochmal.“

In dieser Schilderung erregten nicht die besonderen Blicke zur Weihnachtszeit die Aufmerksamkeit der Angeklagten sondern allgemein ein „anderes Verhalten als normal“ Leider hat der Zeuge nicht aufgeklärt was da anders war, als normal.

Wenig nachvollziehbar ist vor allen Dingen aber, warum es Mundlos in dieser Situation – wenige Tage, bevor sie nach Köln fuhren, um die zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon fertige Bombe in der Probsteigasse abzulegen – nicht so gut ging wegen des Mordes an Enver Simsek, er der Angeklagten also den Mord an Enver Simsek beichtet, gleichzeitig aber kein Wort dazu verliert, dass man den nächsten Anschlag plane, die Bombe gebaut habe und die nächsten Tage nach Köln fahren werde. Die Vorbereitung des Bombenanschlags wäre schon eine merkwürdige Form der Weihnachtsstimmung. Nun kann ich mich schlecht in die Psyche eines Serienkillers hineinversetzen, ich halte es aber eher für unwahrscheinlich, dass Uwe Mundlos sich wegen des vergangenen Mordes anders als normal verhielt, nicht aber wegen des unmittelbar bevorstehenden nächsten Mordanschlags.

Auch die Schilderung der Reaktion auf die Offenbarung des ersten Mordes ist in keiner Weise authentisch. Man stelle sich auch nur einen Moment eine reale Szene vor, in der die Angeklagte tatsächlich zum ersten Mal erfährt, dass ihre Mitbewohner einen Menschen getötet haben, was sie angeblich vollständig ablehnt. Dies wäre – wenn es denn so gewesen wäre – eine extreme existenzielle Krise. Von Frau Zschäpe hingegen heißt es auf Seite 20 ihrer Einlassung vom 9.12.2015, dass sie geschockt war, es nicht fassen konnte und weiter: „Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt.“ Was das nun allerdings konkret heißt, schildert die Angeklagte nicht. Man kann bekanntlich aus Freude, aus Ärger oder anderen Gefühlen ausflippen, man kann schreien, um sich schlagen, Gegenstände um sich werfen o. ä. So wie die Angeklagte das schildert, ist das völlig nichtssagend. Wir erfahren dann weiter, dass die Angeklagte nicht wusste, wie sie „auf diese unfassbare Tat reagieren sollte“. Als einziges erfahren wir etwas von „massiven Vorwürfen, wie man so etwas tun könne“. Weitere Inhalte einer Diskussion oder auch Konkretisierung der Vorwürfe (was hat sie den Uwes vorgeworfen) findet ebenfalls nicht statt. Sodann erfahren wir noch, dass Frau Zschäpe die Frage gestellt hat, „warum sie einen Mensch getötet hatten“, darauf aber keine klare Antwort erhalten habe. Dass und mit welchen Argumenten sie darauf gedrängt hat, eine Antwort zu erhalten, wie sie sich mit den Behauptungen der Uwe’s auseinandergesetzt habe, erfahren wir nicht. Sie teilt lediglich mit, dass die Erklärungen der Uwe’s für sie „nicht nachvollziehbar“ waren. Aber richtig gedrängt auf eine Erklärung hat sie offenbar nicht. Auf die Frage des Vorsitzenden: „Was hat Mundlos im Dezember 2000 berichtet, das rund drei Monate zuvor passiert war? “ Antwortete die Angeklagte 21.1.2016 (S.10):

Uwe Mundlos hatte mir berichtet, dass er und Uwe Böhnhardt im September einen Türken getötet hatten. Er erzählte, dass ihr Opfer ein Blumenhändler war, auf den sie beide geschossen hatten. Uwe Böhnhardt bestätigte, dass sie beide geschossen hatten. Meine schockierte Reaktion hierauf habe ich bereits in meiner Einlassung vom 09.12.2015 beschrieben. Ich fragte nicht nach Details…….

Nun ist offensichtlich, dass jeder Mensch, der tatsächlich in einer Situation gekommen wäre, wo er mit einer solchen Offenbarung konfrontiert worden wäre, seine tatsächlichen Gefühle, Reaktionen konkret darstellen kann, weil es sich dabei notwendig um ein extrem einschneidendes Erlebnis im Leben eines Menschen handelt. Das alles ist keine authentische Darstellung einer Person, die durch die Offenbarung eines Mordes überrascht wird. Anders natürlich dann, wenn man von vornherein – wovon ich ausgehe – in die Mordplanung einbezogen war.

Geradezu rührend auch die Rücksichtnahme der beiden Uwes auf die Gefühle der Angeklagten bei der Offenbarung der Mordtat an Enver Simsek. Auf S.20 der Einlassung sagt die Angeklagte dazu:

Uwe Mundlos erwiderte, dass sie – …- genau gewusst hätten, wie ich reagieren würde und dass sie mir deshalb drei Monate lang nichts gesagt hätten.“

Da verwundert es nicht, wenn zur Probsteigasse die Angeklagte auf S. 23 behauptet:

„Sie wollten die Aktion vor mir verheimlichen, weil sie keine Lust hatten, mit mir zu diskutieren.

So richtig große Diskussionen mussten die Uwes doch aber eigentlich gar nicht fürchten, wenn wir zu Grunde legen, was Frau Z. uns von dieser Diskussion erzählt hat. Und warum gestehen sie denn überhaupt den Mord an Simsek und bestreiten nicht einfach den Bombenanschlag in der Probsteigasse, wenn Sie keine Lust zur Diskussion hatten? Es sei an dieser Stelle schon angemerkt dass ich noch in anderem Zusammenhang darauf eingehen werde, dass die beiden Uwes der Angeklagten den in der Vorbereitung angeblich verheimlichten Anschlag in der Keupstr. sofort erzählt haben.

Genauso absurd die Vorstellung – und wenig authentisch – dass in dieser angeblich heftigen Diskussion um die Tötung von Enver Simsek die Angeklagte wenige Tage vor der Abfahrt nach Köln nicht danach gefragt hat, was die Uwes denn nun in Köln wollten und – wenn sie tatsächlich so empört war wie sie behauptet – ob sie denn auch vor hätten, in Köln Menschen umzubringen. Die mitgehörten Gespräche über Köln vor der Offenbarung des Mordes an Enver Simsek waren offenbar so konkret, dass die Angeklagte unmittelbar, nachdem sie angeblich Zeitungsberichte über Köln gelesen hat, auf die Idee kam, dass es eventuell Mundlos und Böhnhardt waren.

Angeblich wusste die Angeklagte nicht, wohin U.M und U.B. kurz vor Weihnachten gefahren sind. Angeblich waren diese ohne Verabschiedung weggefahren. Was macht man da? Man ruft den besten Freund an, den Mitangeklagten Eminger und fragt ihn, ob er weis, wo die beiden sind. Er hatte auch das letzte Auto für den Banküberfall angemietet. Und Eminger hätte auch ohne weiteres der Angeklagten sagen können, dass er ein Wohnmobil angemietet hat. Wir erfahren hingegen nichts dazu, wie die Angeklagte reagiert hat.

Wenig authentisch ist auch, dass die Angeklagte nichts darüber berichtet, dass sie nach dem Bericht von Böhnhardt und Mundlos über die Probsteigasse diesen vor allen Dingen auch deswegen Vorwürfe gemacht hat, weil sie ihr zwar den Mord an Enver Simsek mitgeteilt haben, mit keinem Wort aber erwähnt haben, dass sie parallel dazu eine weitere Mordtat planen. Das wäre ohne Zweifel die typische Reaktion gewesen, wenn die Angeklagte tatsächlich so unwissend und empört war, wie sie sich darstellt.

Wie bereits bei Enver Simsek erfahren wir auch zur Probsteigasse nichts, was irgendwie konkret vorstellbar ist. Nach ihrer Einlassung war Frau Zschäpe nicht einmal empört, sondern hat den Uwe’s gesagt, dass dies „aus meiner Sicht brutal und willkürlich“ sei und was sie eigentlich mit der Aktion erreichen wollten. Weitere Diskussionen hat sie offenbar auch in diesem Zusammenhang mit den beiden Uwe’s nicht geführt.

Man kann an diesen wenigen Beispielen aus der Einlassung der Angeklagten schon sehr deutlich sehen, dass die mangelnde Authentizität ein deutliches Lügenanzeichen ist. Auf einzelne weitere Beispiele werde ich noch im weiteren Plädoyer eingehen. Man könnte allerdings auch die ganze Einlassung der Angeklagten unter der Fragestellung „Wie authentisch ist das?“ durchgehen und würde nirgendwo auf eine authentische Darstellung stoßen. Die mangelnde Authentizität deckt sich mit der Unfähigkeit der Angeklagten in einem persönlichen Dialog Fragen zu beantworten. Offensichtlich ist ihr und ihren jetzigen Vertrauensverteidigern klar, dass Frau Z. eine mündliche Befragung nicht durchstehen kann.

Wer geschickt lügen will, der macht es so, wie Herr Hess, Vorgesetzter des Herrn Temme diesem in einen Telefongespräch empfohlen hat, nämlich „möglichst nah bei der Wahrheit zu bleiben“. Authentisch kann der Lügner nur sein, wenn er weitestgehend eine zutreffende und auch authentische Schilderung abgibt und lediglich an bestimmten neuralgischen Punkten das wahre Geschehen verändert. Frau Zschäpe hingegen stand vor der Aufgabe fast 14 Jahre im Untergrund umzulügen. Das wirkliche vertraute Zusammenleben, in dem natürlich niemand Geheimnisse vor jemand anderes hatte, durfte sie aus prozesstaktischen Gründen nicht authentisch schildern. Es ist aber nur wenigen Menschen gegeben, fiktive Sachverhalte so zu schildern, dass für Leser tatsächlich ein Bild vor Augen entsteht. Das sind dann regelmäßig hervorragende Werke der Literatur. Frau Zschäpe hätte vor der Aufgabe gestanden, das Zusammenleben im Untergrund frei erfunden anders darzustellen als es tatsächlich stattgefunden hat. Das ist ihr natürlich nicht gelungen und die mangelnde Authentizität Ihrer Einlassung ist dafür ein besonders guter Beleg.

Wäre Schweigen „besser“ gewesen?

Dass einzig Positive am Aussageverhalten der Angeklagten ist, dass damit in der Beweiswürdigung nur zwei Alternativen zu berücksichtigen sind, die der Anklage oder die schriftliche Version der Angeklagten. Bei einer schweigenden Angeklagten ist das Gericht eventuell gehalten, verschiedene und auch alternative Geschehensabläufe zu prüfen, im vorliegenden Verfahren gibt es dazu allerdings keinerlei Veranlassung, da ausgeschlossen werden kann, dass es andere entlastende Geschehensabläufe als die von der Angeklagten behaupteten gäben könnte. In dieser Alternative – Anklage oder Einlassung – fällt die Entscheidung aber ziemlich leicht zu Gunsten der Anklage.

Damit hier keine Missverständnisse auftauchen: Ich will nicht sagen, dass Frau Z besser nach dem Rat ihrer ursprünglichen Verteidiger geschwiegen hätte. Glücklicherweise ist es so, dass auch schweigende Angeklagte verurteilt werden können, und Frau Zschäpe hatte nach dem Verlauf der Hauptverhandlung anders als ihre damaligen Verteidiger die realistische Einschätzung, dass ihr das Schweigen nichts nutzt. Insofern war nachvollziehbar, dass die Angeklagte den Drang hatte, etwas zu sagen. Die Alternative zum Schweigen ist aber nicht die verlogene Einlassung. Es gab aber wohl – so stellt es sich von außen dar – niemanden unter den Verteidigern, der Frau Zschäpe deutlich gemacht hat, das weder Schweigen noch eine verlogene Erklärung hilft, dass eine wahrheitsgemäße Erklärung zwar auch zu einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe und Feststellung der besonderen Schwere der Schuld führt, aber vielleicht die Haftzeit verkürzen könnte. Aus heutiger Sicht mag es der Angeklagten egal sein, ob sie 20, 25, 30 Jahre oder noch länger im Gefängnis sitzt. Da scheint es dann verlockend zu sein, sich an einen Beihilfestrohhalm zu klammern, den Verteidiger anbieten. Hat die Angeklagte allerdings einmal 20 Jahre gesessen wird sie den Unterschied zu 25, 30 oder mehr Jahren erkennen.