Der Anwalt als Prophet – das geht oft schief

Wie Ex CDU-Politiker Bähner seinem Verteidigers
das Pfeifen im Walde überläßt

Während die Initiative „Tatort Porz – keine Ruhe nach dem Schuss“ ein kurzes Video ins Internet stellt, in dem es um den Schuss des ehemaligen CDU-Politikers Bähner auf einen Jugendlichen geht:

gibt der Kölner Stadtanzeiger seinem Verteidiger Mutlu Günal breiten Raum. „Ich gehe von einem Freispruch aus“ erfährt der geneigte Leser schon durch die Überschrift des Artikels vom 02.06.2021. Man erfährt außerdem, dass sich angeblich „noch viele bei Herrn Bähner entschuldigen müssen“. Warum allerdings, kann man dem Artikel nicht entnehmen, insbesondere welche Einwände der Verteidiger gegenüber der vom Landgericht bereits seit einiger Zeit zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft geltend machen will. Natürlich ist von einer angeblichen Vorverurteilung die Rede, aber wie häufig in solchen Fällen steht der sachliche Gehalt der Kritik an der Anklage in umgekehrt proportionalem Verhältnis zum Getöse, dass der Verteidiger darum macht.

Unschuldsvermutung ohne Unschuld

Angriffe auf die Presse unter Verweis auf die Unschuldsvermutung sind in diesem Fall nicht neu. Wir hatten dazu bereits früher einmal aus medienrechtlicher Sicht Stellung genommen, die Medienkanzlei Höcker hatte damals in Richtung CDU-Generalsekretär erklärt:

„Ich fordere Sie als Medienanwalt des zu Unrecht Beschuldigten auf, diesen rechtswidrigen Tweet zu löschen und abzuwarten, was WIRKLICH passiert ist…“

Bis heute allerdings gibt es zumindest keine öffentliche Darstellung von Herrn Bähner oder einem seiner Anwälte „was WIRKLICH passiert ist“ (wir können nur ahnen, dass die richtige Wirklichkeit so bedeutend und überraschend ist, dass sie in Großbuchstaben geschrieben werden muss). Aber eigentlich geht es bei dem Getöse nur um eines: Es soll abgewartet werden, geschwiegen werden über den Vorfall und in der Zwischenzeit soll der Vorfall vergessen werden.

Spekulationen über einen Freispruch

Wenn der Verteidiger einen Freispruch prophezeit ohne dafür eine Begründung zu geben, dürfen wir mal etwas über Freispruchvarianten spekulieren (nur wem juristisches Denken fremd ist, würde meinen, dass die folgenden Varianten 1 – 4 alternativ zueinander stehen, der findige Jurist hingegen weis, wenn nicht 1. dann zumindest 2. oder 3, auf jeden Fall aber 4.):

  1. Es hat überhaupt gar keinen Schuss gegeben, die auf dem oben eingebetteten Video erkennbaren Verletzungen sind nur aufgemalt,
  2. Es hat einen Schuss gegeben, aber Herr Bähner hat nicht geschossen, sondern wie häufig vor Gericht der große Unbekannte oder einer der Jugendlichen selbst,
  3. Herr Bähner hat in Notwehr gehandelt weil der Lärm der Jugendlichen eine Gefahr für seine Trommelfelle darstellte und schwerwiegende Verletzungen hätten herbeiführen können,
  4. Herr Bähner war so hackevoll, dass seine Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen war.

Leider werden wir uns wohl mindestens bis zum Beginn der Hauptverhandlung gegen Herrn Bähner (Termin steht wohl noch nicht fest) gedulden müssen, um zu erfahren welche Freispruchvariante die Verteidigung anstrebt.

Die Prophezeiung im Dienste der Selbstdarstellung

Vorgestellt wird Rechtsanwalt Günal im Artikel im Stadtanzeiger u.a. als früherer Verteidiger von Sven Lau (Urteil: Fünfeinhalb Jahre) und Ibrahim Abu Nagie (Urteil: 13 Monate). Das hält Herrn Rechtsanwalt Günal allerdings nicht davon ab, seine Wahl als Verteidiger durch Herrn Bähner mit dem erkennbar der Eigenwerbung dienenden Satz zu kommentieren:

„Herr Bähner wollte einen erfolgreichen, kompromisslosen und selbstbewussten Rechtsanwalt“

Ja wenn die Urteile gegen Sven Lau und Ibrahim Abu Nagie erfolgreichen Verteidigung sind, könnte man sich für Herrn Bähner auf einen solchen Erfolg sicherlich rasch einigen.

Nun ist Rechtsanwalt Günal keineswegs ein Ausnahmefall, es scheint vielmehr so zu sein, dass immer mehr Rechtsanwälte offenbar meinen, sie müssten sich als (Freispruch)-Propheten für Ihre Mandanten profilieren oder doch zumindest ihren naiven Glauben an die Einlassung des Mandanten öffentlich präsentieren. Unbekannt ist natürlich auch, ob solche prophetischen Angaben extra kosten, oder ob jeder Mandant damit rechnen kann, dass Rechtsanwalt Günal sich öffentlich zu seinem Freispruch bekennt. Welch verheerendes Signal an Gerichte wäre es, wenn diese sagen könnten: In diesem Fall hat nicht einmal Rechtsanwalt Günal einen Freispruch prophezeit.

Einige gescheiterte Prophezeiungen

Gehen wir doch einmal einige Prophezeiungen und Beispiele zur Anwaltsnaivität durch:

Am 29.01.2021 berichtete der WDR über die Tötung einer Frau durch einen verschmähten Mann mit 31 Messerstichen. Zu Wort kam auch seine Verteidigerin:

Ich glaube meinem Mandanten, dass er dort nicht mit einem direkten Tötungsvorsatz hingegangen und ihr aufgelauert hat, er wollte mit ihr reden, das ist für die Verteidigung absolut glaubwürdig, die Frau hat angefangen zu schreien und darauf sind bei meinem Mandanten die Sicherungen durchgebrannt.

Immerhin hatte der Mann „zur Besprechung“ einen 12 cm langen Dolch mitgebracht. Mittlerweile liegt das Urteil vor: Lebenslang wegen heimtückischen Mordes.

Als in Köln Führungspersönlichkeiten von Milli Görres wegen Steuerhinterziehung vor Gericht standen, berichtet die Presse:

Einer der Anwälte, Mustafa Kaplan, sagte Journalisten, für seinen Mandanten sei das ein „politisch motivierter Prozess“. Er rechne in dessen Fall mit „einem lupenreinen Freispruch“. Man wolle das Gericht von der Unschuld aller fünf Angeklagten überzeugen.

Heraus kamen Verurteilungen, bei denen die Angeklagten wahrscheinlich froh waren, dass sie noch mit Bewährungsstrafen davonkamen. Offensichtlich reizen aber gerade politische Prozesse zu solchen Prophezeiungen. Rechtsanwalt Kaplan gab als Verteidiger von Stephan Ernst (Mörder von Walter Lübcke)  noch zwei Tage vor der Urteilsverkündung ein langes Interview bei n-tv. Hier ein Auszug:

ntv:
„Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel hat natürlich auch eine große Palette zur Verfügung. Da wär unter anderem eine lebenslängliche Verurteilung, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und zusätzlich die Sicherungsverwahrung. Das würde doch bedeuten für Herrn Ernst, wenn das wirklich tatsächlich letztendlich irgendwann bestätigt würde, dass er nie mehr rauskäme, oder?“

Kaplan:
„Dazu wird es nicht kommen. Die Sicherungsverwahrung wird es nicht geben bei Herrn Ernst, weil das nur geht, wenn Herr Ernst auch wegen der Tat zum Nachteil des Herrn I. verurteilt werden würde. Das wird nicht kommen. Da wird es einen Freispruch geben. Das wäre die einzige Möglichkeit, die Sicherungsverwahrung auszusprechen. Sicherungs­verwahrung ist weg. Die besondere Schwere der Schuld wird es auch nicht geben. Dafür haben wir einfach die rechtlichen Voraussetzungen nicht. Das heißt wir reden nur noch darüber, ob Herr Ernst wegen Mordes oder wegen Totschlages verurteilt wird.“

ntv:
„Was glauben Sie, wie wird das Urteil sein?“

Kaplan:
„Er wird wegen Totschlages verurteilt werden.“

Nun wissen wir, dass Rechtsanwalt Kaplan mit seiner Einschätzung völlig daneben lag. Das Urteil: Verurteilung wegen Mordes mit besonderer Schwere der Tat und vorbehaltener Sicherungsverwahrung.

Inhaltliche Kritik statt Prophezeiung und Selbstdarstellung

Sicherlich gehört es auch zu den Aufgaben von Anwälten und auch Strafverteidigern sich kritisch mit der Anklage oder auch dem Gericht auseinanderzusetzen. Das darf sich aber nicht auf  inhaltsleere Prophezeiungen des Prozessausgangs beschränken sondern sollte gerade umgekehrt die Anklage inhaltlich angreifen. Durchaus beispielhaft ist hier etwa das Interview von Alexander Hoffmann im Spiegel zum Prozess um den Mord an Walter Lübke, oder auch eine Presseerklärung im Fall Lina E.

Hier wird nicht großsprecherich verkündet, was man alles für seine Mandanten erreichen wird, sondern die Öffentlichkeit wird auf eine inhaltliche Auseinandersetzung vorbereitet. Damit werden dann auch inhaltliche Pflöcke eingerammt, so dass Prozeßberichte eingeordnet werden können.

Eberhard Reinecke