Ein Führerschein als Freundschaftsdienst – das Ende der Vereinigung NSU

Zu den Plädoyers Eminger und Gerlach

Am 08.05. und 09.05.2018 plädierten (wie immer ausführlich bei NSU-Nebenklage dokumentiert) die Verteidiger des Angeklagten Eminger und des Angeklagten Gerlach.

Wie schon die Verteidigung Zschäpe, zeichneten sich auch diese Plädoyers dadurch aus, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme sehr selektiv und unvollständig dargestellt wurde. Man wird allerdings davon ausgehen können, dass das Gericht über sehr präzise Mitschriften verfügt und viele Einzelheiten, die die Verteidigung gar nicht erwähnt hat, mit in Rechnung stellt. Im Folgenden nur wenige Beispiele:

Das Ende der terroristischen Vereinigung im Jahre 2007?

Beide Verteidigerriegen stellten die Vermutung in den Raum, dass die Vereinigung NSU – soweit sie sich terroristisch betätigt habe – nach dem Mord an der Polizeibeamtin Kiesewetter beendet war und von diesem Zeitpunkt an nur noch eine kriminelle Vereinigung war, da Tötungsdelikte angeblich nicht mehr geplant waren. Einziger Beleg dafür: Es hatte nach dem Mord an Kiesewetter keine weiteren terroristischen Taten gegeben. Welche Gründe die lange Deliktspause zwischen Anfang 2007 und Herbst 2011 gehabt haben könnte, hatte ich in einem Teil meiner Plädoyers ebenso aufgeführt, wie die Hinweise darauf, dass im Jahre 2011 wieder weitere terroristische Taten geplant waren. Ich hatte damals ausgeführt:

„Wir wissen, dass das Paulchen Panther Video Ende 2006/Anfang 2007 als Datei fertig gestellt wurde. Wann diese Dateien dann auf die DVDs kopiert wurden und die DVDs bedruckt, wissen wir nicht. Wir wissen aber dass die Verschickung frühestens ab dem 1.1.2010 geplant gewesen sein kann, da die Briefmarke auf den Umschlägen zur Verschickung erst ab dem 1.1.2010 im Umlauf war. Es spricht einiges dafür, dass zwischen 2007 und 2011 der Lockruf des vielen Geldes, nämlich 265.000 € aus zwei Banküberfällen in Stralsund, dafür gesorgt hat, dass zunächst nicht weitergemordet wurde. Die Tatsache, dass aber im Jahre 2010 – eher 2011 – die Verschickung geplant war, spricht für die Planung weiterer terroristischer Taten. Das Paulchen-Panther-Video war kein Abschiedsvideo, das erst nach dem Tod von UM und UB verschickt werden sollte, wie Frau Z. behauptet. Das ergibt sich bereits aus der Ankündigung einer 2. DVD. Das Ende des Videos mit „Heute ist nicht aller Tage, wir kommen wieder, keine Frage“ ist sicherlich das Gegenteil von „Wenn ihr das hier seht, sind wir schon tot“. ……

Da die Videos aber eingetütet waren, spricht einiges dafür, dass der NSU eine weitere vielleicht große Tat plante, in deren Zusammenhang das Video verschickt werden sollte. Auf dem Rechner (Asservat EDV 1) wurde eine Karte von Google Maps für das jüdische Krankenhaus in Berlin gefunden, die nach April 2011 heruntergeladen sein musste, weil der Computer erst im April 2011 eingerichtet worden war. Es kann also durchaus sein, dass durch den Selbstmord der beiden Uwes am 4.11.2011 ein geplanter größerer Terroranschlag verhindert wurde und dass die Angeklagte Zschäpe die in diesem Zusammenhang ohnehin geplante Verschickung des Bekennervideos als Teil eines größeren Planes durchgeführt hat.“

Warum sollten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt so viel Wert auf das Verschicken des Paulchen-Panther-Videos legen, wenn sie sich angeblich von den darin gefeierten „Erfolgen“ des NSU distanzierten. Allein eine Untätigkeit bedeutet nicht die Beendigung der Vereinigung. Hinzu kommt allerdings, dass Frau Zschäpe selbst nichts zu einer solchen Beendigung erzählt hat. Nach ihrer Einlassung hat es zwar die terroristische Vereinigung nie gegeben (weil sie selbst als notwendige dritte Person nicht daran beteiligt war), dass aber die anderen zwei nach dem Mord an Kiesewetter nunmehr einen ideologischen Umschwung vorgenommen hätten, hat sie ebenfalls nicht behauptet. Im Gegenteil: In ihrer Einlassung aus dem Dezember 2015 heißt es u. a.:

„Zum 01.04.2008 zogen wir in die Frühlingstraße 26 in Zwickau. Der Umzug erfolgte in der Absicht uns abzuschotten. Wir lebten in der ständigen Angst entdeckt zu werden und glaubten uns diese Angst mit einem Umzug nehmen zu können……
Beide erwähnten mehrfach, dass sie sich frei schießen würden, sollten sie durch die Polizei entdeckt werden oder, wenn dies nicht gelingen würde, dass sie sich durch Erschießen das Leben nehmen.“

Schon allein die Tatsache, dass nach dem Eingeständnis von Frau Zschäpe Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bereit waren, Tötungsdelikte zu begehen, um ihrer Festnahme zu entgehen, reicht für die Annahme einer terroristischen Vereinigung aus.

 „Wir machen keinen Scheiß damit.“

Holger Gerlach versucht, die Weitergabe von Ausweispapieren (insbesondere Führerschein und Pass) damit zu rechtfertigen, dass er den Freunden helfen wollte, damit diese sich in brenzligen Situationen ausweisen könnten. Die Freunde (gemeint das Trio) hätten ihm versichert, dass seine Dokumente nur für Fall einer Polizeikontrolle verwendet werden würden. Er könne sich darauf verlassen, dass sie „keinen Scheiß“ damit machten. Nun hatten die „Freunde“ schon seit 2001 seinen Pass, warum sie dann außerdem den Führerschein benötigen, hat weder Gerlach noch seine Verteidiger erklärt. Das ist allerdings der Unterschied zwischen Verjährung und Tatsache. Auf den im Jahre 2001 übergebenen Pass gehen die Verteidiger nicht ein, dies ist wegen Verjährung nicht angeklagt. Das Gericht ist allerdings nicht gehindert die Behauptung von Gerlach, er habe nicht damit gerechnet, dass mit dem Führerschein Fahrzeuge angemietet werden, auch daran zu messen, dass Böhnhardt zum Zwecke des Ausweisens den Führerschein nicht brauchte, da er seinen Pass hatte.

Gerlach ging auch davon aus, dass das Trio den Lebensunterhalt durch Raubüberfälle verdient und er hatte auch eine Pistole an das Trio geliefert. Will er wirklich nicht gewusst haben, dass mit seinem Führerschein Fahrzeuge angemietet wurden? Im Jahre 2006 traf man sich zum Urlaub in der Nähe von Grömitz an der Ostsee. Das Trio war mit einem Skoda Octavia dahin gefahren, der auf den Namen Holger Gerlach ausgeliehen war. Einige Tage lang verbrachte Holger Gerlach mit dem Trio. Was wird er denn dort besprochen haben? Sollte es ihn wirklich nicht interessiert haben, wie sie das Fahrzeug angemietet haben, wenn nicht mit seinem Führerschein? Und er hat dann auch nicht mit dem Trio darüber gesprochen, durch welche Überfälle sie in der Lage waren, sich derartig großzügig zu zeigen? Kein Wort dazu in den Plädoyers.

Man sieht: Die Plädoyers bleiben im Oberflächlichen, sie erschöpfen den Inhalt der Beweisaufnahme nicht und werden deshalb auch kaum Auswirkungen haben. Bei dem Plädoyer Eminger kommt hinzu, dass das Gericht erst im letzten September im Rahmen des Haftbefehles gegen Andre Eminger den dringenden Tatverdacht bejaht hat. Außer einer Beweiserhebung, die sich als Rohrkrepierer für Eminger erwies, hat sich seitdem nichts getan.

Verfremdung als Stilmittel der Verteidigung

Manches in der Verteidigung erinnert etwas an den Verfremdungseffekt. Schon Zschäpe hatte in ihrer von ihrem Verteidiger formulierten Einlassung im Dezember 2015 mehrfach hervorgehoben, wie sie angeblich mit dem Aussteigen gespielt hätte. Und obwohl sie eigentlich mit den Straftaten nichts zu tun habe, war sie sich sicher, dass man ihr das nicht glauben würde, deshalb sei sie dann im Untergrund geblieben. Zwischen den Zeilen natürlich der Appell an das Gericht: Ihr habt jetzt die Möglichkeit mich Lügen zu strafen, ihr könnt beweisen, dass ihr mir glaubt.

Ähnlich Gerlach: immer habe die Bundesanwaltschaft seine Aussagen gegen ihn verwendet, da habe er sich entschlossen, im Verfahren nicht mehr zu sagen. Soll heißen: Das Gericht könnte jetzt zumindest seine Version glauben, auch wenn er sich zu offensichtlichen Widersprüchen keiner Befragung stellt.

Höhepunkt dieser Verteidigungslinie sicherlich der Auftritt der Verteidigung Eminger. Am 8.5.2018 – 73 Jahre nach dem Sieg über Nazideutschland – erklärt sein Rechtsanwalt Hedrich:

„Unser Mandant ist Nationalsozialist, der mit Haut und Haaren zu seiner politischen Überzeugung steht, auch wenn er sich in der Hauptverhandlung nicht geäußert hat. … Das Wort ‚Ich bin ein Nationalsozialist‘ hat heute hier im Saal Premiere.“

Dann erfolgen die Hinweise darauf, dass dies nicht strafbar sei und Eminger auch nicht verurteilt werden dürfe, weil der NAZI ist. Damit soll dann ein durchaus gewichtiges Indiz gegen Eminger aus der Welt geschafft werden. Das Gericht soll daran gehindert werden, die NAZI-Auffassungen von Eminger bei der Würdigung der Taten zu berücksichtigen. Er ist nun nicht erst seit heut Nazi, sondern schon seit dem Kennenlernen des Trios. Natürlich vertrauen Mundlos und Böhnhardt einem eingefleischten Nazi mehr an, als anderen Freunden, natürlich entspricht es der Naziideologie, rassistische Morde nicht als Verbrechen anzusehen und hier keine Hemmschwelle zu haben. So etwa konnte Himmler die Vernichtung der Juden mit dem „sauberen“ deutschen Soldaten verbinden  wie in der Posener Rede vom 6.10.1943:

„Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. – ‚Das jüdische Volk wird ausgerottet’, sagt ein jeder Parteigenosse‚ ‚ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.’ […] Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von menschlichen Ausnahmeschwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“

In eine solche Tradition stellt sich Eminger, wenn nach dem Auffliegen von Mundlos und Böhnhardt zu Hause eine Art Altar aufbaut mit den Namen der Toten und der Inschrift „unvergessen“. Natürlich ist die Gesinnung als solche nicht strafbar, aber sie belegt, dass die ihm vorgeworfenen Unterstützungshandlungen seiner Auffassung entsprechen, und sein Prozessverhalten – bis zu dem durch seinen Verteidiger abgelegtes Bekenntnis – belegt, dass sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in jeder Hinsicht auf ihn verlassen konnten.

Eberhard Reinecke