Özil, Heuchler und mein erster Tweet

Seit fünf Jahren betreiben wir jetzt unseren Blog. Mit Twitter hatte ich eigentlich wenig am Hut. Unser Homepage Berater hatte aber die Einstellungen so gewählt, dass an „Follower“ jeder neue Artikel getwittert wurde. Gelegentlich bekam ich dann auch Meldungen über freundliche Menschen, die auf diesen oder jenen Artikel hinwiesen. Gestern hatte ich dann allerdings die Heuchelei um Özil satt und spontan nur einen kurzen Tweet abgesetzt:

TweedReineckeHeute (15.5.2018) stelle ich fest, dass 13 Personen der Tweet gefällt, und 16 ihn retweeted haben und Klaus Strank hat geantwortet, was wieder 3 anderen gefällt.

 

AntworttweedEs ist schon etwas niederschmetternd, dass die mühevolle Arbeit der Berichterstattung über den NSU-Prozess weniger Aufmerksamkeit erzeugt als Özil. Wie gut auch, wenn andere aus dem Familienkreis sich nicht mit Juristerei sondern hauptberuflich mit Fußball beschäftigen. Doch Twitter ist mir zu grobschlächtig, differenzierte Darstellung ist da nicht möglich. Deshalb im folgenden meine Gedanken etwas ausführlicher:

Erdogan ist ein autoritärer Präsident, der Demokratie und Menschenrechte in der Türkei untergräbt. Wer für Erdogan ist, liegt politisch falsch und das kann und soll man ihm diskutieren. Alles weitere ist Heuchelei:

Die Übergabe eines Trikots ist deutlich harmloser als die permanente weitere Lieferung von Waffen an die Türkei. Auch diese dienen nicht nur der Kriegsführung, sondern erlauben es Erdogan sich in den Wahlen als großer und erfolgreicher Feldherr darzustellen. Wer also den Ausschluss von Özil aus der Nationalmannschaft fordert, müsste auch den Rücktritt aller Minister fordern, die etwas mit der Waffenlieferung zu tun haben.

Özil ist ein begnadeter Fußballspieler, der seit seinem 18. Lebensjahr nur die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Ich fand ihn immer sympathisch, nicht nur, weil er eine Zeitlang bei Werder Bremer gespielt hat (legendär sein Tor zum 5:4 am 27.9.2008 gegen Hoffenheim), sondern gerade weil er die Nationalhymne nicht mitgesungen hat. Eines ist Özil (wie auch alle anderen Nationalspieler) nicht: Repräsentanten Deutschlands. Merkwürdig, dass denen, die Tränen (bei machen sind es sicherlich Krokodilstränen) über die undemokratischen Verhältnisse in der Türkei vergießen, gar nicht auffällt, dass in der Demokratie Repräsentanten des Staates gewählt und nicht vom Jogi ernannt werden.

Ginge es danach, wer am schönsten die Nationalhymne singen kann, sollte Heino Mannschaftskapitän werden. Wenn mich mein Gedächnis nicht ganz trübt, hat bei der WM 1974 niemand die Nationalhymne mitgesungen, was dem sportlichen Erfolg keinen Abbruch getan hat.

Mit meinem Tweet hatte ich auf die braune Vergangenheit des DFB verwiesen, der überhaupt keine Hemmungen hatte, den Nazi Obersten Rudel im Mannschaftsquartier in Argentinien zu empfangen. Und der brave Berti Vogts, spielerisch eher ein Gegenentwurf zu Özil hatte 1978 erklärt, er habe keine politischen Gefangenen gesehen, so wie auch eine (CSU-nahe) „Lichtgestalt des deutschen Fußballs“ keine Sklaven in Quatar gesehen hatte. Wer allerdings denkt, dass diese Zeiten im DfB vorbeisind, sollte sehen, wie in vielen Stadien AntiNaziPlakate verboten werden, während rechte Gruppierungen ihr Unwesen treiben können. Der Skandal um SV Babelsberg, der ganz aktuell ist, belegt das erneut:

„Am 28. April 2017 hatten Cottbusser Fans beim Brandenburg-Derby in Babelsberg Hitlergrüße gezeigt und in Anlehnung an die Inschrift am Eingang des Stammlagers von Auschwitz „Arbeit macht frei, Babelsberg 03“ skandiert. Nachdem vermummte Energie-Fans auf den Platz gerannt waren, wurde das Spiel zweimal unterbrochen. Beide Fanlager brannten Pyrotechnik ab. Aus dem Babelsberger Block rief zudem jemand „Nazischweine raus“.
In der Folge wurde Cottbus zu einer Geldstrafe in Höhe von 16.000 Euro und einem Geisterspiel verurteilt – wegen des Platzsturms und des Abbrennens von Pyrotechnik, die rechten Slogans wurden nicht erwähnt. Babelsberg muss 7000 Euro wegen der Pyrovergehen bezahlen – hier ist allerdings der Nazischweine-raus-Ruf mit aufgeführt.“

Und um Klaus Strank zu antworten: Es ist ein Riesenunterschied ob eine Institution als ganzes eine bestimmte politische Linie verfolgt, oder ob einzelne Personen diskussionswürdige politische Statements abgeben.

Es geht also bei der Aufregung um Özil und Gündogan im Großem und Ganzen nicht um die Diskussion einer politischen Meinung sondern für viele um eine gezielte Hetze gegen Menschen mit Migrationshintergrund; demnächst sind wir wieder bei der NPD Hetze gegen Patrick Owomoyela (2006): „Weiß – nicht nur eine Trikot-Farbe! Für eine echte NATIONAL-Mannschaft“.

Mir wäre es am liebsten, es würden bei den Fußballspielen keine Nationalhymnen gespielt und gesungen. Ein Prozess um die Verunglimpfung der Nationalhymne aus dem Jahre 1987 gehört immer noch zu den Lieblingsprozessen meiner Laufbahn.  Ich brauche auch keinen „gesunden“ Nationalismus. Wer wissen will, wie schnell dieser in echte Kriegsbegeisterung umschlagen kann, mag sich vielleicht noch mal die englische Presse im Falklandkrieg ansehen.

Eberhard Reinecke

P.S. Manche können viel kürzer ausdrücken, was ich sagen wollte:

Screenshot-2018-5-16 (3) Nachrichten zu #özil auf Twitter