Falsche Schlüsse und fehlende Folgen aus festgestellter Mitverantwortung der Verfassungsschutzämter

Parlamentarische Aufklärung muss weitergehen

Zum nun vorliegenden (vorläufigen) Abschlußbericht des zweiten NSU Untersuchungsausschusses des Bundestages haben 24 Nebenklagevertreter im NSU-Verfahren, u.a. auch RA Reinecke und RA Schön eine gemeinsame Presseerklärung veröffentlicht, die wir im folgenden dokumentieren:

Der Ausschuss zieht die falschen Schlüsse aus dem von ihm festgestellten Vorgehen und der Mitverantwortung der Verfassungsschutzämter.

Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss hat, der Aufklärungsblockade des Bundesamtes für Verfassungsschutz und dem zum Teil zu zaghaften Umgang mit den Verfassungsschutzbehörden zum Trotz, einige wichtige Zwischenergebnisse für die Frage unserer Mandant_innen nach der staatlichen Mitverantwortung gebracht.

Denn der Ausschuss hat zum einen nachgewiesen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz unmittelbar nach dem Untertauchen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in die Suche nach diesen eingebunden war und dass das NSU-Kerntrio und seine Unterstützer_innen von V-Leuten, insbesondere auch des Bundesverfassungsschutzes, umgeben waren. Die Meldungen der V-Leute zum Trio lagen auch dem Amt vor und Mundlos war sogar bei einem V-Mann des Bundesamtes, Ralf M., als Bauarbeiter angestellt. Der Ausschuss zieht daraus den Schluss, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz den Aufenthaltsort des NSU-Kerntrios zumindest hätte kennen müssen.

Zum anderen kommt der Ausschuss zu dem Ergebnis, dass die Aktenvernichtung von V-Mann-Akten im Amt durch den Beamten „Lothar Lingen“ im November 2011 gezielt erfolgte und der Verschleierung der Zahl der im Umfeld des Trios geführten V-Leute diente.

Deutlich ist auch geworden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die parlamentarische Aufklärung blockiert, indem Beweisbeschlüssen des Ausschusses nicht nachgekommen wurde und ihm relevante Informationen, wie die V-Mann-Eigenschaft des Blood and Honour-Divisionschefs Stephan L., vorenthalten wurden.

Zudem kritisiert der Ausschuss, der verengte Blick des Generalbundesanwalts habe die notwendigen Ermittlungen nach der Selbstenttarnung zu dem Unterstützer_innen-Netzwerk des NSU, insbesondere an den Tatorten, verhindert.

Die Schwäche der Bewertungen des Ausschusses ist, dass es trotz dieser Feststellungen in den Schlussfolgerungen lediglich heißt, es dränge sich dem Ausschuss die Frage auf, „aus welchem Grund es Polizei- und Verfassungsschutzbehörden nicht gelang, die Aufenthaltsorte von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aufzuklären“.

„Leider zieht der Ausschuss keine Schlüsse aus dem von ihm festgestellten Vorgehen und der Verantwortung des Verfassungsschutzes und der Bundesanwaltschaft“, kritisieren wir, als Nebenklagevertreter_innen. Wir, die unterzeichnenden Vertreter_innen der Hinterbliebenen und Verletzten des NSU-Terrors, sind aufgrund der in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht München gewonnen Erkenntnissen und den Ergebnissen der Untersuchungsausschüsse inzwischen der Überzeugung, die Morde des NSU hätten verhindert werden können, wenn die Verfassungsschutzbehörden das dort vorhandene – und bis heute weitgehend zurückgehaltene – Wissen dazu genutzt hätten, eine Festnahme von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zwischen 1998 und 2000 herbeizuführen.

Wir fordern deshalb, dass die noch laufenden parlamentarischen Untersuchungsausschüsse diese Frage zum Kern ihrer Aufklärungsbemühungen machen und konsequent gegen die Verschleierungsversuche des Verfassungsschutzes vorgehen.

Auch nach Abschluss der Arbeit des zweiten Untersuchungsausschusses müssen wir deshalb konstatieren, was wir bereits zu dessen Einsetzung vor eineinhalb Jahren gesagt hatten: Die Aufklärung des NSU-Komplexes ist noch lange nicht erreicht und benötigt noch einen langen Atem.

Alkan, Rechtsanwalt; Basay, Rechtsanwältin; Prof. Behnke, Rechtsanwalt;
v.d. Behrens, Rechtsanwältin; Bogazkaya, Rechtsanwalt; Dr. Daimagüler, Rechtsanwalt;
Dr. Elberling, Rechtsanwalt; Erdal, Rechtsanwalt; Hartmann, Rechtsanwältin;
Hoffmann, Rechtsanwalt; Ilius, Rechtsanwalt; Kaniuka, Rechtsanwältin; Kara, Rechtsanwalt
Kuhn, Rechtsanwalt; Fresenius, Rechtsanwalt; Lunnebach, Rechtsanwältin; Narin, Rechtsanwalt;
Reinecke, Rechtsanwalt; Scharmer, Rechtsanwalt; Schön, Rechtsanwalt; Sfatkidis, Rechtsanwalt;
Sidiropoulos, Rechtsanwalt; Dr. Stolle, Rechtsanwalt; Ünlücay, Rechtsanwalt;

Hinweis: Die Presserklärung von Nebenklagevertreter_innen vom 23.08.2014 zum Bericht des ersten NSU-UA des Bundestages finden Sie hier.