Prozessbeobachter, Bauchschmerzen und Entschuldigung

Die erste „richtige“ Woche in München ist zu Ende. Berichtet wird über die Aussage von Carsten S. und Holger G. u.a. im Stern. Bisher allerdings bleibt der „Aussteiger“ Carsten S. jeden Nachweis dafür schuldig, dass er inhaltlich seine politische (nicht nur seine sexuelle) Vergangenheit aufgearbeitet hat.

Dass er aus den Strukturen ausgestiegen ist, ist da noch nicht einmal die halbe Miete. Die Befragung durch den Vorsitzenden war bohrend und man gewann doch mehr und mehr den Eindruck, dass Carsten S. darauf nicht richtig vorbereitet war, vor allem auf die zentrale Frage, was er sich bei der Lieferung der Waffe mit Schalldämpfer gedacht hatte. Dass ein Jugendrichter nicht weiter nachfragt, wenn jemand gesteht, er habe Bauchschmerzen gehabt, als er seinem Kumpel das Mofa überlassen hat, obwohl dieser keine Führerschein hat, mag sein; aber dass sich dieses Gericht sich nicht mit „Bauchschmerzen“ bei der Übergabe einer Waffe mit Schalldämpfer an untergetauchte Rechtsradikale zufrieden geben würde, war nicht wirklich erstaunlich. Mal sehen, was in der nächsten Woche, wenn S. Weiter aussagen will, dazu an Erklärungen kommt.

Staatliche Prozessbeobachter?

So misstrauisch und bohrend der Vorsitzende in der Befragung war, so unverständlicher (oder auch naiv) sein abgrundtiefes Vertrauen gegenüber anderen staatlichen Behörden. Am 4.6. war ein gut begründeter Antrag gegen Prozessbeobachter von BKA, Verfassungsschutz und MAD gestellt worden. Die Gefahr, dass Sicherheitsdienste in ihrem ureigenen Interesse Zeugen instruieren, liegt nach all den „Ermttlungspannen“ durchaus nahe. Doch nach Meinung des Gerichtes lägen keine „konkreten Anhaltspunkte“ für Manipulationsversuche vor. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir im Verlauf des Verfahrens auf Zeugen treffen werden, die bestens – und zwar nicht nur aus Presse und Fernsehen – über den Verlauf informiert sind. Es werden dann wahrscheinlich die „bedauerlichen Einzelfälle“ sein – natürlich ohne jedes System.

Vorbereiteter Beitrag und Entschuldigung

Eine ganz andere Variante bot dann Holger G. Er las zur Sache eine Erklärung vor, war aber nicht bereit, dazu Fragen zu beantworten.  Ein Verfahren, das nicht ohne prozessuales Risiko ist. Bei solchen Teileinlassungen kann das Gericht durchaus die Tatsache bewerten, dass der Angeklagte seine Version nicht hinterfragen lässt. Dabei liegen die Fragen auf der Hand: Von dem Bombenbauen des Trios hatte er 1998 nach dem Untertauchen erfahren:

„Und ich kann Ihnen sagen dass ich regelrecht schockiert war. Denn den Besitz von Sprengstoff hätte ich denen nicht zugetraut.“

Trotz dieses Schocks hat er dann das Trio aber unterstützt, mit Geld, Ausweisen und einer Waffe:

„Am Bahnhof hat mich Beate abgeholt. …. Einer von Ihnen hat dann die Pistole herausgeholt und sie vor meinen Augen durchgeladen. … Ich habe gesagt: ‚Was soll der ‚Scheiss?!‘ Ich habe Ihnen auch klar gemacht, dass ich mit Waffen nix zu tun haben will“

Warum aber nun übergibt G. auch noch eine Waffe an Leute, von deren Sprengstoffbesitz er doch angeblich so schockiert war? Unter drei Aspekten ist die Aussage von Holger G. aber trotzdem wichtig. Bei ihm kam das „Trio“ immer nur geschlossen vor; er differenzierte bewusst nicht und liess keinen Zweifel daran, dass nach seinen Beobachtungen Beate Zschäpe nicht ein Mitglied mit geringeren Kenntnissen als die anderen beiden war. Der zweite Aspekt: Die Täter – insbesondere im Umfeld des Trios – können erneut von der Unfähig(Unwillig)keit der Ermittlungsbehörden profitieren:

„Man darf schliesslich nicht vergessen, dass bis zum Tod der beiden Uwes kein Mensch in Deutschland das Bestehen einer vermeintlichen Terrorzelle erahnte. Das gilt auch für mich.“ (So G. Am Ende seiner verlesenen Erklärung, der auch die übrigen Zitate entnommen sind.)

Ich musste nicht schlauer sein als alle Sicherheitsbehörden mit Ihren V-Leuten und sonstigen Spitzeln. Wenn die nicht wussten, dass es ein Mordtrio war, konnte ich das auch nicht wissen. Der dritte Aspekt: An den Aussagen von S und G wird aber auch deutlich, dass mit der Feststellung der Wahrheit (im Sinne eines tatsächlich stattgefundenen historischen Prozesses) nicht gerechnet werden kann. Zu sehr sind die Angaben vom primären Ziel der Eigensicherung getragen. Allerdings: Im Strafverfahren ist der Nachweis der Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestände ausreichend. Das muss sich nicht mit allen Einzelheiten des historischen Sachverhaltes decken.

Hohl klingt auf dem Hintergrund seiner Aussage die  förmliche Entschuldigung Gs bei den Opfern.  Den Opfern wäre mit Sicherheit mit einer wirklich ehrlichen und umfassenden Aussage, die sich auch hinterfragen lässt, mehr gedient. Vielleicht wollte das auch Herr Yosgat sagen, der sich nach der Aussage zu Wort meldete, aber vom Vorsitzenden auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet wurde. Das war nicht sehr feinfühlig. Zwischen den Zeilen seiner Äusserung lies G. erkennen, dass er sich nun selbst als Opfer fühlt. Einmal verlor er seinen Arbeitsplatz als er Ende 2011 verhaftet wurde und den neuen Arbeitsplatz, den er nach der Entlassung aus der U-Haft antrat, hat er jetzt wegen des Prozesses verloren.

Eberhard Reinecke