Aufklärung abgehakt? Konsequenzen messbar?

Anlässlich des nunmehr zwei Jahre alten Versprechen der Bundeskanzlerin auf rückhaltlose Aufklärung haben sich am 17.2.2014 33 Nebenklagevertreter (Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte) an die Presse gewandt. Eine solche breite Übereinstimmung gab es bisher unter den Nebenklagevertretern noch nicht. Denn die bisherige Bilanz der Aufklärung ist ernüchternd. Die Erklärung hat folgenden Wortlaut:

Aufklärung abgehakt? Konsequenzen messbar?Angehörige und Verletzte der NSU-Mord- und Anschlagsserie fordern weiterhin lückenlose Aufklärung und kritisieren Ermittlungsbehörden und politisch Verantwortliche

Nebenklägervertreter_innen und Angehörige der vom NSU Ermordeten und Verletzten ziehen eine ernüchternde Zwischenbilanz zwei Jahre nach dem Versprechen der umfassenden Aufklärung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Am 23. Februar 2012 hatte Angela Merkel in Berlin bei der zentralen Gedenkfeier für die Opfer der Mord- und Sprengstoffanschlagsserie des NSU erklärt: „Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck.“

Dass eine solche Aufklärung umfangreich und zeitaufwendig werden dürfte, war allen Beteiligten bewusst. Obwohl erst knapp über zwei Jahre lang die Existenz des NSU offiziell bekannt ist, hat das große Abhaken schon begonnen. Die berechtigten Interessen der Angehörigen und Verletzten – vor allem das Interesse der Aufklärung – werden insbesondere vom Generalbundesanwalt längst als lästig hinten angestellt.

Notwendige politische und gesellschaftliche Diskussionen mit dem Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses des deutschen Bundestages als weitgehend abgeschlossen erachtet. Die weiterhin bestehende zentrale Forderung nach einer Neuauflage des Ausschusses wird von der großen Mehrheit des Bundestages abgelehnt. Noch immer gibt es auf die zentralen Fragen der Angehörigen und Verletzten keine Antwort:Wer war noch im Netzwerk des NSU aktiv? Welche Beziehungen gab es ins Ausland? Wer half vor Ort? Wie erfolgte die konkrete Opferauswahl?
– Wie finanzierte sich der NSU? Half ihm staatliches Geld bei der Planung und Ausführung seiner Taten?
– Wieviel und was wussten die Geheimdienste in den Jahren 1998 bis zum 4.11.2011? Haben V-Männer oder ihre V-Mannführer die Taten gefördert, ermöglicht, gedeckt?
–  Warum wurden am 11. November 2011 die Akten von sieben V-Leuten mit engen Bezügen zur Neonaziszene in Thüringen geschreddert?

Angehörige, die Antworten auf diese Fragen suchen, werden von den politisch Verantwortlichen regelmäßig auf den Prozess gegen Beate Zschäpe u.a. vor dem OLG München oder die Arbeit der Ermittlungsbehörden verwiesen. Dort wiederum unternimmt insbesondere die Bundesanwaltschaft alles, um diese Fragen aus dem Verfahren herauszuhalten und verweist ihrerseits darauf, dass ein Strafprozess kein Untersuchungsausschuss sei.

Akten werden zurück gehalten
Akteneinsichten werden faktisch verunmöglicht oder – in die Akten gegen eine unbekannte Anzahl an weiteren Beschuldigten – erst gar nicht gewährt. Der Generalbundesanwalt, zu Beginn des Ermittlungsverfahrens noch ganz darauf bedacht, Kooperation und Transparenz gegenüber den Verletzten und Familien der vom NSU Getöteten darzustellen, versucht heute scheuklappenartig sämtliche Aufklärung zu blockieren, die über ein bloßes Abhaken der
formalen Anklagepunkte hinaus geht.

Der Generalbundeanwalt umgeht damit die berechtigten Interessen und Rechte der Opfer des NSU. Er degradiert sie zu scheinbar unnötigem Verfahrensballast, zu Statisten eines oberflächlichen Abnickens der Anklage. Dieser Eindruck bleibt dabei nicht auf das Verhalten der Bundesanwaltschaft beschränkt. Am 21. Februar soll im Bundestag erneut über die Konsequenzen aus dem NSU-Komplex im Plenum beraten und debattiert werden. Zu erwarten ist, dass mit großer Einigkeit aller Fraktionen formal bekräftigt wird, dass die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses aus der letzten Legislaturperiode tatsächlich umgesetzt werden sollen. Im Abschlussbericht des Ausschusses konnten sich letztlich die Beteiligten jedoch nicht darauf einigen, das Problem des strukturellen und institutionellen Rassismus klar als Mitursache für das Versagen der Ermittlungsbehörden, aber auch der Medien und der Gesellschaft zu benennen. Die gemeinsam formulierten Konsequenzen – wenn sie denn jemals umgesetzt werden – werden genau dieses grundlegende Problem nicht lösen. Darauf haben Vertreter der Verletzen und der Familien der vom NSU Ermordeten, bereits bei Vorstellung des Ausschussberichtes hingewiesen und erheblich erweiterte Konsequenzen gefordert. Doch nun soll auch auf politischer Bühne das große Abhaken beginnen. Wenn das die Antwort von Ermittlungsbehörden und Politik ist, wird sich an der täglich neuen rechten Gewalt – auch mit tödlicher Dimension – in Deutschland wenig ändern. Wir fordern:

Es muss eine Kehrtwende im Verhalten der Ermittlungsbehörden geben – hin zu
Aufklärung und Transparenz!
Der Bundestag muss zumindest eine Enquetekommission einsetzen, um das
Querschnittsthema institutioneller und struktureller Rassismus und wirksame
Mechanismen zu seiner Bekämpfung entsprechend dem Beispiel der
Macpherson-Kommission in Großbritannien voran zu treiben. Das Thema betrifft nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Effektive Lösungen brauchen eine parteiübergreifende und gesellschaftliche Diskussion sowie eine wissenschaftlich fundierte Begleitung.

Rechtsanwältinnen
Seda Basay – Antonia von der Behrens – Christina Clemm – Doris Dierbach
Barbara Kaniuka – Seyran Kerdi-Elvan – Angelika Lex
Rechtsanwälte
Serkan Alkan – Prof. Bernd Max Behnke -Thomas Bliwier – Önder Bogazkaya
Dr. Mehmet Daimagüler – Hasan Dilman – Dr. Björn Elberling – Berthold Fresenius Carsten Ilius – Ali Kara – Alexander Kienzle – Detelf Kolloge – Stephan Kuhn Stephan Lucas – Yavuz Narin – Ogün Parlayan – Jens Rabe – Eberhard Reinecke – Aziz Sariyar – Sebastian Scharmer – Reinhard Schön – Kiriakos Sfatkidis – Isaak Sidiropoulos – Peer Stolle – Bilsat Top –
Turan Ünlücay“

Hase und Igel bei der Aufklärung

Gerade die in der Presseerklärung aufgeworfene Fragen haben die verschiedenen Untersuchungsausschüsse nicht geklärt, teilweise haben sie bewusst davon Abstand genommen, so etwa heisst im Abschlussbericht des NSU Aussschusses des Bundes:

Der Untersuchungsausschuss hat bei seiner Beweisaufnahme Fragenkreise bewusst ausgespart, die den Gegenstand des Strafverfahrens vor dem Oberlandesgericht München betreffen. Beweismittel zu der Frage, ob die dem Trio zugerechneten Taten tatsächlich von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe begannen wurden, haben in der Beweisaufnahme des Ausschusses nur für die Bewertung der Arbeit der damals mit der Sachverhaltsaufklärung betrauten Behörden eine Rolle gespielt.“

Entsprechend hoch waren die Erwartungen an des Strafverfahren in München gerade auch von den Opfern. Doch nach neun Monaten ist absehbar: Wahrscheinlich wird es auch in diesem Verfahren nicht zur Beantwortung wichtiger Fragen kommen, wie wir bereits in unserer Stellungnahme zu Heilbronn ausgeführt haben.

Es klingt mitlerweile hohl, wenn die Bundesanwaltschaft immer wieder erklärt, es würden natürlich weitere Ermittlungen gegen weitere Personen geführt, die Ergebnisse allerdings werden in den meisten Fällen den Prozessbeteiligten nicht zur Kenntnis gegeben. Mit Zähnen und Klauen verweigert die Bundesanwaltschaft z.B. die Beiziehung der Untersuchung zu dem Verfassungsschutzmann T. (Fall Kassel), die Beteiligen können nach Karlsruhe fahren, dort die Akten einsehen, dürfen aber keine Kopien machen sondern nur persönliche Notizen. Ähnliches gilt für umfangreiche Spurenakten in anderen Komplexen. Im Fall Heilbronn hiess es im Untersuchungsbericht der Bundes:

„Die aktuellen Ermittlungen zu beleuchten, gehörte ausdrücklich nicht zum Auftrag des Ausschusses – schon um jede Beeinträchtigung einer rechtlich einwandfreien Durchführung des Strafverfahrens zu vermeiden. Der Ausschuss hat aus der Beweisaufnahme den Eindruck gewonnen, dass in diesem Fall viele Fragen nicht abschließend geklärt sind. Die 2013 erfolgte Bildung der EG „Umfeld“ durch die Landesregierung Baden-Württemberg unterstreicht, dass dies nicht nur der Ausschuss so sieht.“

Die Ergebnisse der EG Umfeld werden in der Süddeutschen Zeitung zu recht mit „Vager Bericht statt umfassender Aufklärung“ umschrieben. Diese Kommission diente wohl eher dazu, einen eigenen Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg zu verhindern, als wirklich Aufklärung zu leisten. Im Prozess versuchen nun Nebenklagevertreter durch Beweisanträge zu klären, ob und welche Bedeutung z.B. die Tatsache hat, dass Michele Kiesewetter häufiger auch im Zusammenhang mit rechten Demonstrationen eingesetzt war, während die Bundesanwaltschaft ihre Version vom Zufallsopfer verteidigt.

So werden also die Opfer und die Angehörigen der Getöteten von einer Stelle zur nächsten geschickt, ihrem Wunsch nach Aufklärung kommen sie damit aber kaum näher.

Eberhard Reinecke