Beginn der Plädoyers – nach Art der Echternacher Springprozession

Hoch umstritten ist die „richtige“ Echternacher Springprozession. Sind es zwei Schritte vor und ein Schritt zurück oder drei Schritte vor und zwei Schritte zurück. Wie es nun mit den Plädoyers weitergeht ist heute (am 19.7.2017) genauso unklar. Die Plädoyers standen schon lange an, ich hatte mich sogar im letzten Jahr noch  – wie ich heute weiß zu Unrecht – über die Presse lustig gemacht, die meinte, der Prozess würde bis September 2017 dauern.

Jedes mal wenn ich dieses Jahr in den Urlaub fuhr, hatte ich Angst, den Anfang der Plädoyers zu verpassen.  Diese Woche hatte mit einem Speed begonnen wie schon lange nicht mehr. Plötzlich am 18.7.2017 erkundigte sich der Vorsitzende Richter Götzl nach den Plädoyers der  Bundesanwaltschaft. Antwort: „Wir können morgen (19.7.2017) anfangen“. Ich hatte noch versucht, für etwas Verständnis für die Kollegen zu werben, die schon wegen der Vielzahl der Termine, die im letzten halben Jahr ausgefallen waren, zwischendrin auch einmal andere Termin annahmen, und deshalb nicht in München waren. Andere Kollegen wiesen darauf hin, dass es bei einem solchen Vorgehen ihren Mandanten – den Opfern – nicht möglich sei, zum Termin zu erscheinen. Als Richter Götzl dann ein Zugeständnis machen wollte (Beginn des Termin vom 19.7. um 13 Uhr) beharrte die Verteidigung Wohlleben auf dem „Beschleunigungsgrundsatz“ und wollte auch jeden Fall um 9.30 beginnen. 11 Uhr war dann der Kompromiss. Tatsächlich erschienen dann am 19.7. einige Opfer, um Nachmittags unverrichteter Dinge wieder gehen zu müssen.

Mitschnitt des Plädoyers der Bundesanwaltschaft

Erwartbar lehnte das Gericht einen Antrag auf Audiomitschnitt der Plädoyers der Vertreter der Bundesanwaltschaft ab; dann wieder das übliche Prozedere: kurze Unterbrechung, dann Antrag auf längere Unterbrechung wegen eines „prozessualen Antrages“ (natürlich auch von der Verteidigung Wohlleben, die am 18.7. sogar einer Terminierung auf 13 Uhr widersprochen hatte). Große Spekulation: Was wird es werden? Befangenheitsantrag oder Gegenvorstellung? Es wurde (vorerst – nur) eine Gegenvorstellung. Dann die Entscheidung des Gerichtes: Weitere Beratung ist erforderlich, am 19.  und 20. finden keine Plädoyers statt. Fortsetzung am Dienstag dem 25.7.

Zum Mitschnitt des Plädoyers: Ohne Zweifel erleichtert es die Arbeit, wenn der Text vorliegt, oder als Audio-Datei verschriftet werden kann. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass entscheidend für das Urteil nicht die konkrete Formulierung ist (an die das Gericht ohnehin nicht gebunden ist), sondern der Gedankengang. Als Verteidiger sollte man natürlich sehr konkrete Vorstellungen darüber entwickeln, wie der eigene Gedankengang ist. Es wird nun sicherlich auch keine großen Überraschungen dazu geben, was die Bundesanwaltschaft sagt, so dass es natürlich im Regelfall möglich ist, den Gedankengang (als Bestätigung und/oder Kontrapunkt zum eigenen Gedankengang) festzuhalten und dazu Stellung zu nehmen. Man muss sich mit dem jeweiligen Kern des Argumentes auseinandersetzen, die konkrete Formulierung kann dafür wenig austragen. Die Bundesanwaltschaft wird sicherlich alle Taten noch einmal Revue passieren lassen, wobei das Tatgeschehen selbst und die Verantwortung von Mundlos und Böhnhardt kaum zu diskutieren ist. Ein nicht unerheblicher Teil des Plädoyers muss also wahrscheinlich von den übrigen Beteiligten gar nicht kommentiert werden.

Im Strafprozess haben natürlich nicht nur die Angeklagten im wahrsten Sinne „das letzte Wort“ sondern auch ihre VerteidigerInnen haben den unschätzbaren Vorteil schon auf die Argumentation von Staatsanwaltschaft und Nebenklage eingehen zu können. Die Verschriftung wäre hilfreich, erforderlich für eine ordnungsgemäße Verteidigung ist sie nicht.

Wie geht es am 25.7.2017 weiter?

Wird da nun plädiert? Sollen wir versuchen, unsere Mandanten für diesen Termin zu mobilisieren? Es ist nun eher wahrscheinlich, dass das Gericht die Gegenvorstellung zurückweist. Da es sich dabei um ein in der StPO nicht vorgesehenes Rechtsmittel handelt, könnte das Gericht sicherlich auch außerhalb der Hauptverhandlung entscheiden. Aber vielleicht soll über die Gegenvorstellung auch nur der nächste Befangenheitsantrag vorbereitet werden. Niemand weiß dann noch, ob tatsächlich vor der Sommerpause überhaupt plädiert werden kann. Sicherlich wird die Bundesanwaltschaft nicht anfangen, wenn nicht sichergestellt ist, dass sie vor dem 2.8. auch zu Ende kommt. Und eine Vorstellung, nach der dann am Abend des 1.8. zwischen 19.00 und 20.00 Uhr die konkreten Strafanträge der Bundesanwaltschaft erfolgen (das steht immer am Ende des Plädoyers) wäre auch nicht sehr verlockend.

Planen kann man eigentlich erst, wenn tatsächlich das erste Wort des Plädoyers gefallen ist, und eine Unterbrechung dann in den nächsten 22 Stunden Verhandlungszeit nicht mehr möglich ist. Die Hartnäckigkeit der Verteidigung in diesem Punkt ergibt sich auch aus der absoluten Aussichtslosigkeit einer Revisionsrüge wegen der „Nichtaufzeichnung“. Der absolute Revisionsgrund, dass die Verteidigung „in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluss des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist“ setzt eine Erheblichkeit voraus, also die Darlegung, was im Plädoyer anderes und/oder weiteres vorgetragen worden wäre, wenn man die Mitschrift gehabt hätte (die man dann auch immer noch nicht kennt). Will ein Verteidiger nun von sich behaupten, dass er gerade entscheidende Gedankengänge der Bundesanwaltschaft nicht verstanden hat? Dass man durch einen anschließenden Befangenheitsantrag – wenn die Gegenvorstellung zurückgewiesen wird – die Frage revisibel gestalten kann, ist allerdings auch ein Irrtum zu dem wir früher schon einmal Stellung genommen haben.

Wer eine Kurzfassung des Standes des Verfahrens wünscht, kann diese in einer Radiosendung des Bayrischen Rundfunks vom 16.7. nachhören.

Eberhard Reinecke

P.S. Noch eine Notiz am Rande.  Mehrfach betonte Rechtsanwalt Heer (Altverteidiger Zschäpe) er stelle seine (heutigen) Anträge in eigenem Namen und dem von Frau Rechtsanwältin Sturm. Den neben ihm sitzenden Kollegen Stahl (auch Altverteidiger) erwähnte er nicht. Man darf spekulieren warum. Ich halte am wahrscheinlichsten: RA Stahl hat (auch) die Schnauze vom Verfahren voll, will es nur zu Ende bringen und nicht noch durch aussichtslose Anträge verlängern.