Alle haben es gewusst und keiner hat etwas getan
Nach den Coronafällen in der Fleischindustrie rast nun wieder das Erschrecken über die Zustände in deutschen Schlachthöfen durch die Medien und die Politik. Da ich für die Aktion gegen arbeitsunrecht mich im letzten Jahr mit Tönnies – einem der ganz Großen in der Fleischindustrie auseinandersetzen musste, hatte ich mich schon länger mit dieser Problematik befasst.
Alles was heute so erschreckt mitgeteilt wird, ist lange bekannt. Man lese einfach die Rede von Werner Rügemer, die dieser am 13.09.2019 am Standort Tönnies gehalten hat. Auch er stützt sich auf länger bekannte Tatsachen über die massive Ausbeutung der Arbeiter vor allen Dingen aus Rumänien und Bulgarien.
Wer über Werkverträge ……..
Es schien zunächst so zu sein, dass die Landesregierung NRW nach umfassenden Kontrollen in Schlachtbetrieben endlich durchgreifen würde, wie eine Unterrichtung des Landtages hoffen ließ. Detailliert wurde die Verstöße in der Fleischindustrie angeprangert. Maßnahmen erfolgten nicht. Schon in der Studie zeigt sich das Ministerium hilflos gegenüber dem wesentliche Instrument zur Ausbeutung, nämlich den sogenannten Werkvertragsunternehmern:
Die Werkvertragsnehmer haben mit den Schlachthofbetreibern Werkverträge geschlossen, die beispielsweise die Anzahl der zu schlachtenden Tiere oder Gewichtstonnen an zu zerlegenden Tieren zu einem bestimmten Preis vertraglich regeln. Damit verbleibt die Verantwortung für das Personal und für die Umsetzung des Arbeitsschutzes beim Werkvertragsnehmer, der Schlachthofbetreiber übernimmt rechtlich keine Verantwortung. Der Großteil der Beschäftigten der Werkvertragsnehmer stammt nach den Erkenntnissen aus der Aktion aus Osteuropa (insbesondere Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn).
Es ist der in der Rechtsprechung schon lange anerkannt dass solche Werkunternehmer tatsächlich die vollständige Direktionsmacht über ihre Beschäftigten haben müssten, ihre Beschäftigten müssten räumlich völlig getrennt von der Stammbelegschaft arbeiten, die großen Player und die Stammbelegschaft dürften keinerlei Anweisungen an die Arbeiter der Werkvertragsunternehmer erteilen.
Tatsächlich allerdings zeigen gerade die jetzigen Vorkommnisse, dass die Werkverträge vorgeschoben sind, da eben gerade nicht selbstständig von der Stammbelegschaft gearbeitet wird, sonst hätte Westfleisch ohne weiteres mitteilen können, das nur bestimmte Teile der Produktion, für die auch nur bestimmte abgegrenzte Teile der Halle von Werkvertragsunternehmern benutzt werden, betroffen sind, während die Stammbelegschaft davon unabhängig und ohne Infektion weiterarbeiten könne.
Den zuständigen Behörden, einschließlich dem Sozialministerium NRW sind die durchgreifenden Zweifel an den Werkverträgen bekannt. Wenn sie wollten, könnten Sie sehr kurzfristig dem Spuk ein Ende machen. Handelt es sich nämlich um Scheinwerkverträge, so ist auch der Vertrag zwischen Tönnies bzw. anderen Schlachthofbetreibern mit den Werkvertragsunternehmern in Wirklichkeit ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag. Da allerdings die Werkvertragsunternehmer keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung haben, wäre jeder der ausgebeuteten Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien bei dem Schlachthofbetreiber selbst angestellt und hätte Anspruch auf denselben Lohn wie die Stammbelegschaft. Alternativ könnte er diesen Lohn auch von seinem Unternehmer geltend machen, da sie eigentlich Leiharbeiter sind und deswegen Anspruch auf denselben Lohn wie die Stammbelegschaft gegenüber Ihrem Unternehmer haben. Auch die von Herrn Laumann beklagte „schwer nachvollziehbare Firmenstrukturen“ wären damit geklärt.
….und Mietwucher nicht redet …….
Genauso bekannt ist seit Jahren, dass die beengten Wohnverhältnisse nicht nur gesundheitsschädlich sondern schlicht wucherisch sind. Egal ob vier oder bis zu sieben der rumänischen und bulgarischen Arbeiter in einem Zimmer wohnen und dabei zwischen 150€ und 250 € pro Monat bezahlen, es handelt sich schlicht um Mietwucher gemäß § 291 StGB:
(1) 1Wer die Zwangslage, die Unerfahrenheit, …. eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich oder einem Dritten
1.für die Vermietung von Räumen zum Wohnen oder damit verbundene Nebenleistungen, ………….
Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung oder deren Vermittlung stehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. ….(2) 1In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. 2Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter ….
2.die Tat gewerbsmäßig begeht,
Da die Vermieter der entsprechenden Schlafplätze gewerbsmäßig handeln, droht Ihnen eigentlich eine Strafe von sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe. Offensichtlich fühlt sich aber wieder einmal kein Staatsanwalt dafür zuständig, mit diesen offensichtlich rechtswidrigen Zuständen – unabhängig von den Sanitärzuständen – aufzuräumen (ich habe es aber schon erlebt, dass Staatsanwaltschaften nach Demonstrationen ganz besonders aufmerksam die Zeitung lesen, um festzustellen, ob es dabei eventuell zu Straftaten gekommen ist, die die Polizei noch nicht einmal bemerkt hatte). Dabei gilt für solche Heime nichts anderes als wie für gewöhnliche Wohnungen. Schon 1977 hat das Landgericht Mannheim (4 S 105/76) festgestellt (ähnlich im Übrigen das OLG Stuttgart im Jahre 1981 – 8 ReMietR 5/81):
1. Ob der Mietzins iS des WistrG § 5 überhöht und deshalb an den Mieter zurückzuzahlen (bzw nicht mit Erfolg einklagbar) ist, richtet sich auch bei ausländischen Gastarbeitern nach der ortsüblichen Vergleichsmiete für alle am Ort in Betracht kommenden Mietwohnungen; ein Teilmarkt für Ausländerwohnungen ist für die Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete abzulehnen. …
3. Bei der Beurteilung, ob ein vereinbarter Mietzins unzulässig hoch und deshalb unverbindlich ist, kommt es stets nur auf einen Vergleich mit der ortsüblichen Miete für vergleichbare Wohnungen an. Unerheblich ist daher, ob von Gastarbeitern allgemein höhere Mieten gefordert werden oder ob der Vermieter für die Räume seinerseits eine überhöhte Miete hatte zahlen müssen.
Mithin: wenn 4 Wanderarbeiter, die sich ein Zimmer teilen, zwischen 600,00€ oder 1.000,00€ zahlen, wird man dies mit der normalen Miete in den meist ländlichen Gebieten vergleichen müssen, also einer Miete von wahrscheinlich maximal 5,00€ pro m². Die Mieten dürften also das 5 bis 10fache der ortsüblichen Miete betragen (Da wird sich mancher Clan im Ruhrgebiet fragen, warum er sich noch die Mühe mit dem Rauschgift macht, wenn es doch hier deutlich bessere Gewinnmargen gibt).
…soll sich seine Heuchelei sparen.
Diese ganze Haltung findet nur seine Erklärung darin, dass es sich eben „nur“ um Rumänen und Bulgaren handelt, vielleicht auch noch mit dem zusätzlichen Gedanken, dass diese trotz der Zustände hier immer noch froh sein können, dass sie überhaupt so viel verdienen.
Und so werden sie erst dann wieder zu einer Meldung, wenn die große Zahl der Infizierten unter ihnen dazu führt, dass ein ganzer Landkreis Lockerungen nicht durchführen kann (Da wundert es dann nicht, dass die 200 Infizierten in der Nähe von Pforzheim vor ca. 14 Tagen niemanden aufgeregt haben, befanden sich da doch alle noch im shut-down). So wie auch erst 1892 in Hamburg eine Cholera Epidemie – anders als die vorangegangenen im 19. Jahrhundert – zu einer Verbesserung der Trinkwasserversorgung führte, weil die Epidemie zum Zusammenbruch von Handel und Gewerbe führte. Das Leid der arbeitenden Bevölkerung hätte den nur von Reichen gewählten Hamburger Senat wohl kaum interessiert.
Seit Jahren wird die bekannte Situation der Arbeiter in der Fleischindustrie durch Untätigkeit gegenüber den offensichtlichen Rechtsbrüchen toleriert. Aber nicht nur das. Schuld sind angeblich die Verbraucher, weil die billiges Fleisch wünschten. Das gilt aber nur, solange es dieses Angebot gibt. Wenn faire Löhne in der Fleischindustrie gezahlt werden, steigen die Preise. Na und. Die Verbraucher würden dann bewusster und wahrscheinlich weniger Fleisch kaufen, was verdammt viele Vorteile für Tiere und Umwelt hätte, Nachteile eigentlich nur für die Fleischindustrie. Im Übrigen: Die Verbraucher wollen auch billige Fahrräder, manche sogar billige Autos. Würde hier irgendjemand auf die Idee kommen, deswegen von Automobilarbeitern zu verlangen, dass Sie für einen Mindestlohn arbeiten und in 6 Betten Zimmern hausen?
Schluss mit den Vorwänden: Mit Maßnahmen gegen Scheinwerkverträge und Mietwucher kann jederzeit begonnen werden. Nichts charakterisiert das jetzige System besser, als die Behauptung, dass diese Fleischindustrie systemrelevant sei.
Eberhard Reinecke