Der Ahnenpass – neuer Auftrieb für eine alte Idee

Aus dem Papiernachlass meiner Mutter liegen in unserem Keller noch die Ahnenpässe meiner Eltern. Warum diese meinten auf ihrer Flucht 1945 gerade auch diese Dokumente aufheben zu müssen, habe ich mit meiner Mutter nie besprochen. Mit den Ahnenpässen sollte in der Zeit des Faschismus der Nachweis geführt werden, dass selbst in entfernten Generationen keine Juden zur Familie gehörten.

Im Abgeordnetenhaus von Berlin fordert nun die CDU die Mitteilung unter anderem der Vornamen der angeblich nach der sogenannten Krawallnacht festgenommenen Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft (nach einer Meldung von heute – 12.01.2023 – sollen es im Übrigen nicht über 100 Festgenommene sein, sondern nur 38 und davon zwei Drittel Deutsche). Der Hintergrund dieser Anfrage ist ziemlich klar, die CDU will feststellen, wer trotz deutscher Staatsbürgerschaft eigentlich kein richtiger Deutscher ist, weil er Migrationshintergrund hat, was eventuell an seinem Vornamen zu erkennen ist.

Das ist aber natürlich halbherzig. Es ist bekannt, dass Vornamen in Deutschland verheerende Wirkungen haben können. So etwa ist empirisch belegt, dass Kinder mit den Vornamen Kevin oder Chantal bei gleicher Leistung ca. eine Notenstufe schlechter in der Schule bewertet werden. Dass Menschen mit ausländisch klingenden Namen und Vornamen bei der Job- und der Wohnungssuche benachteiligt werden, ist auch bekannt.

Was also tun, wenn deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund ihren Kindern vorsichts­halber auch ganz normale deutsche Vornamen geben. Hier hilft dann tatsächlich nur der Ahnenpass, mit dem auch deutsche Staatsbürger den Nachweis führen können und vielleicht demnächst nach Willen der CDU auch führen müssen, dass Sie bis zurück ins dritte Glied niemanden in der Familie haben, der aus dem Ausland insbesondere der Türkei, Afrika oder dem Nahen Osten stammt. Nur mit einem solchen Ahnenpass lassen sich dann auch die echten Biodeutschen, von solchen „nur“ mit deutscher Staatsangehörigkeit unterscheiden.

Aber mal im Ernst: Weite Teile der Öffentlichkeit und auch der Medien merken offenbar gar nicht, wie rassistisch die ganze Diskussion um den angeblichen Migrationshintergrund angeblicher Täter ist. Da werden Silvesterangriffe von deutschen Neonazis auf Polizei und Rettungskräfte totgeschwiegen, und auch Herr Reul will sich offenbar nicht so gerne daran erinnern, dass er dringend vor einem Generalverdacht warnte, weil es ja nur eine verschwindende Zahl von Polizeibeamten gäbe (ca. 100 von 50.000) die sich an rechten Chat-Gruppen beteiligten. Ich darf einmal vermuten, dass die Zahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Berlin in die Hunderttausende geht, sodass aus diesem Grund die angeblichen Krawallmacher eine absolute Minderheit wären und daher auch der Migrationshintergrund nicht für die Krawalle entscheidend sein kann.

Statt einen solchem rassistischen Quatsch zu verbreiten, sollte man sich – kulturübergreifend – mit machohaften Verhalten von jungen und älteren Männern auseinandersetzen (z.B. auch mit der nur schlecht religiös verbrämten Vorherrschaft der Männer in der katholischen Kirche). Diese Auffassung und Strukturen gilt zu bekämpfen, egal ob Silvester, im Fußballstadion oder in der Raserszene und auch völlig unabhängig von der Herkunft, Religion und Anlass.

Eberhard Reinecke