Heuchelnde Strafverteidiger

Im Prozess um die Ermordung von Walter Lübcke sitzt Stefan Ernst auf der Anklagebank. Auch nachdem am zweiten Verhandlungstag sein auf Video aufgezeichnetes Geständnis im Gerichtssaal vorgespielt wurde, bleibt Stefan Ernst „mutmaßlich“, was wir hier besonders betonen wollen, falls es im weiteren Verlauf des Beitrages untergehen sollte. Nach dem ersten Verhandlungstag wurden auch dessen Verteidiger interviewt. Während Mustafa Kaplan nur ernst in die Kamera guckte (Kaplan wird in diesem Zusammenhang als „NSU-Opferanwalt“ bezeichnet, obwohl er als einziger Nebenklagevertreter es fertig gebracht hatte, in seinem Plädoyer nicht einmal mitzuteilen, wen er überhaupt vertreten hatte) , sprach Frank Hannig:

Wir verteidigen Menschen und keine Taten, wir stehen hier nicht aus Sympathie oder Antipathie zu irgendwelchen politischen Ansichten, sondern weil jeder Mensch das Recht auf ein Faires und rechtstaatliches Verfahren hat.

Im Kölner Express können wir aber  zum Mitverteidiger Kaplan lesen:

Auf die Frage, warum er den Rechtsextremen Stephan E. vertritt, sagt Kaplan: „Mich reizt der hoch spannende Fall.“ Welche politischen Ansichten der Mann habe, spiele für ihn keine Rolle. Nach einem Gespräch in der JVA Kassel habe er sich entschieden, das vom Beschuldigten an ihn herangetragene Mandat anzunehmen, da sich E. ihm gegenüber geöffnet habe.
Jeder habe das Recht auf ein rechtsstaatliches und faires Verfahren, sagt Kaplan. Das erkläre er auch seinem Umfeld; bisher habe er keine negativen Reaktionen erfahren.

„Jeder hat das Recht auf ein rechtstaatliches und faires Verfahren“

Völlig unbestritten. Aber vergessen wird dabei der mindestens ebenso wichtige Grundsatz:  „Niemand hat das Recht, gerade von mir verteidigt zu werden“. Es ist immer noch die freie Entscheidung jedes Anwaltes Mandate anzunehmen oder abzulehnen. So zu tun, als opfere sich der Anwalt für dem Rechtsstaat, weil sich sonst keiner fände, der die Verteidigung übernimmt, ist natürlich Quatsch. Wer als Strafverteidiger tätig ist und damit sein Geld verdient, kann sich naturgemäß nicht auf Mandate beschränken, bei denen er die angeklagten Taten billigt. Aber umgekehrt kann und darf jeder Anwalt eine Negativauswahl treffen, d. h. für sich selbst entscheiden, welche Mandate er nicht übernimmt. Dazu kann dann sicherlich auch die Weigerung gehören, einen rechtsradikalen Mörder zu vertreten.

Eine solche Negativauswahl ist bei Strafverteidigern gang und gäbe, wenn auch oft die Ausschlusskriterien rein finanzieller Art sind, wie der, dass keine Fälle übernommen werden, bei denen nicht mindestens ein Stundenhonorar von ca. 300,00€ (oder höher) gezahlt werden kann. Auch wir können nicht umsonst arbeiten, und so kann es gut sein, dass wir auch ein Mandat ablehnen, bei dem nicht einmal ein Pflichtverteidiger bestellt werden muss. Wer durch deutsche Gerichtsäle geht, kann bei Sitzungen des Amtsgerichtes feststellen, dass eine Vielzahl von Angeklagten ohne Verteidiger vor Gericht erscheinen, in vielen Fällen sicher, weil sie das Geld für einen Verteidiger nicht haben oder nicht ausgeben wollen, und weil die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in Fällen einfacher Kriminalität vom Gesetz nicht vorgesehen ist. Eigentlich hätten natürlich auch diese Angeklagten ein Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. Immerhin: Rechtsanwalt Hannig hatte schon mal angeboten, jeden kostenfrei zu verteidigen, gegen den ein Verfahren wegen Beleidigung eines bestimmten Grünenpolitikers eingeleitet wird.

„Wir verteidigen Menschen und keine Taten“

Damit soll natürlich die unangenehme Frage umschifft werden, warum man jemanden verteidigt, dem Derartiges vorgeworfen wird. Das haben wir bereits am Anfang des NSU Prozesses von der Verteidigerin der Angeklagten Zschäpe hören müssen. Leider hat auch noch keiner erklärt, wie das eigentlich gehen soll. Man könnte durchaus die These aufstellen, dass ein Verteidiger der nur den Menschen verteidigt, nicht aber die Taten, Parteiverrat begeht. Was Gegenstand der Verhandlung ist, ergibt sich aus der Anklage. Dazu bestimmt § 200 StPO:

1Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz)

Wie man sieht, ist Gegenstand der Hauptverhandlung zwar der Angeschuldigte, dessen Daten und Vorleben sind aber zumeist schnell abgehakt. Wesentlicher Teil der Verhandlung ist also die Tat, ihre Merkmale und die anzuwendenden Strafvorschriften. Soll ein Strafverteidiger ernsthaft erklären, er wolle sich damit nicht auseinandersetzen, weil er nur Menschen verteidigt aber keine Taten? Ähnliches gilt im Übrigen für die Strafzumessung, also die Frage, wie ein Angeklagter zu bestrafen ist. Den Strafrahmen gibt das Gesetz vor, innerhalb dieses Rahmens muss der Richter allerdings nach § 46 StGB folgende Gesichtspunkte berücksichtigen:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende,
die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,
das Maß der Pflichtwidrigkeit,
die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,
das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie
sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

Bei der Strafzumessung kommt es also erkennbar darauf an, welche Motivation der Täter bei seiner Tat hatte, z.B. auch, ob es um rassistische oder sonstige menschenverachtende Ziele ging. Da wird man dann kaum ohne Sympathie oder Antipathie für die aus der Tat sprechende Beweggründe verteidigen können. Würde man nur den Menschen verteidigen, könnte man sich vielleicht gerade noch zu seinem Vorleben oder seinem Verhalten nach der Tat äußern, nicht aber den anderen Gesichtspunkten die untrennbar mit der Tat verbunden ist, die angeblich nicht verteidigt werden soll.

Und weil das so ist, haben wir uns nicht nur im NSU Verfahren von der Verteidigung die Verharmlosung der Beteiligung der Angeklagten Zschäpe an den Taten anhören müssen, sondern auch im Verfahren gegen Stefan Ernst werden wir die Verniedlichung der Tat hören müssen (versehentlich gelöster Schuss).

„Mich reizt der hoch spannende Fall“

Nun ja, wenn man die Möglichkeit hat, ohne immer anstehen zu müssen sicher einen Platz im Gerichtssaal zu haben, um auch noch gegen Bezahlung dabeizusein, kann dies durchaus reizvoll sein. Was allerdings für den Verteidiger Kaplan noch spannend sein soll, wissen wir nicht so genau. Die einzig spannende Frage im Prozess, wie nämlich Stefan Ernst erklären will, dass er erkennbar freiwillig zunächst ein volles Geständnis abgelegt hat, das er später widerrufen hat, müsste für Rechtsanwalt Kaplan ja schon beantwortet sein, da Stefan Ernst sich ihm gegenüber geöffnet haben soll. Bisher zumindest hat es auch nicht den Anschein, als ginge es in diesem Prozess um irgendwelche schwierigen juristischen Fragen, die einen Strafverteidiger reizen könnten.

Warum nicht einfach mal ehrlich sein?

Wenn ein Verteidiger gefragt wird, warum er in einem solchen Prozess verteidigt, könnte er natürlich auch schlicht antworten: wegen Geld und Werbung. Strafverteidiger ist sein Beruf, und damit verdient er seinen Lebensunterhalt. Die Beträge bei einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem OLG sind auch nicht unbedingt niedrig. Der Pflichtverteidiger des inhaftierten Mandanten erhält pro Verhandlungstag 517,00€, dauert der Verhandlungstag länger als 5 Stunden sind es 725,00€, dauert der Tag länger als 8 Stunden 937,00€. Das sind Nettobeträge, Reisekosten, Übernachtungen etc kommen noch hinzu.

Mindestens genauso wichtig dürfte der (vermutete) Werbeeffekt sein. Strafverteidiger leben natürlich auch von ihrer Bekanntheit. Die Hoffnung über ein solches Verfahren bekannt zu werden, dürfte immer mitspielen. Und mehr als in anderen Branchen gilt gerade bei der Strafverteidigung: „Selbst die negativste öffentliche Aufmerksamkeit ist eben Aufmerksamkeit“ Aber da hilft dann auch noch die schwülstige Überhöhung profaner Motive.

Eberhard Reinecke